„Wir sehen Chancen, wo andere Risiken sehen“ – Im Gespräch mit Thomas Rücker, Designwerk Technologies
Die Designwerk GmbH wurde 2008 von Tobias Wülser und Frank Loacker in Winterthur gegründet. Das erste Elektrofahrzeug war ein dreirädriges Postzustellfahrzeug. Bekannt wurden die beiden Tüftler mit dem selbst entwickelten Zerotracer, einem hocheffizienten E-Roller. In 80 Tagen schaffte man damit die Weltumrundung und gewann das Zero Emission Race. Das Unternehmen entwickelte sich rasch weiter. Seit sieben Jahren sind elektrisch angetriebene Wertstoffsammelfahrzeuge von Designwerk für den Schweizer Bund auf der Straße. Zum Portfolio des Unternehmens gehören heute batterieelektrische Lkw, Sonderfahrzeuge und Zugmaschinen. Hinzu kommen mobile Schnellladegeräte sowie modulare Hochvolt-Batteriesysteme. 2021 erwarb die Volvo Group 60 Prozent des Unternehmens.
Wir haben uns mit Thomas Rücker, Director of Sales and After Sales bei der Designwerk Technologies AG über die Technologien, die Alleinstellungsmerkmale, die Unternehmensstrategie und über Persönliches unterhalten.
Sehr geehrter Herr Rücker, Sie sind seit 27 Jahren in der Pkw- und Nfz-Branche zuhause. Zuletzt waren Sie Managing Director bei IVECO Schweiz. Erst kürzlich sind Sie zur Designwerk Technologie AG gewechselt. Was hat Sie zu dem Schritt bewogen?
Ich wollte nach langen Jahren bei IVECO etwas Neues machen. Nachdem ich zuletzt bei der Konzern-eigenen Importgesellschaft verantwortlich für rund 60 Vertriebs- und Servicebetriebe und rund 270 Angestellte war, reizte mich die Möglichkeit meine Erfahrungen in ein mittelständisches Unternehmen einzubringen. Zudem kenne ich die beiden Gründer von Designwerk, Tobias Wülser und Frank Loacker schon seit 2011 und schätzte ihre Macher-Mentalität und Innovationskraft. Seit Februar bin ich bei Designwerk verantwortlich für den Vertrieb von E-Trucks und den Kundendienstbereich aller Produktgruppen. Ich freue mich, dass wir gemeinsam Großes und Schweres bewegen können.
Zur Person
Thomas Rücker (47) war rund 12 Jahre bei der IVECO (Schweiz) AG, zuerst als Key-Account Manager und zuletzt viereinhalb Jahre lang als Managing Director tätig. Rücker startete seine berufliche Karriere bei der Mercedes-Benz (Schweiz) AG und arbeitete später bei Wälchli & Bollier und General-Motors, zuletzt als Director Sales der Marke Opel, ebenfalls in der Schweiz. Rücker studierte an der Robert Gordon University in Aberdeen und schloss mit einem Bachelor of Arts und einem Master of Scienes ab.
Designwerk ist im Bereich E-Mobilität breit aufgestellt, aber auch individueller Problemlöser in Nischensegmenten. Kann man die Unternehmensstrategie mit einem Schweizer Taschenmesser vergleichen?
Ein interessanter Gedanke, tatsächlich. Ja, wir bauen nicht nur vollelektrische Lkw, sondern sind auch Problemlöser für die Belange drumherum. Wir entwickeln eigene Getriebe, kümmern uns selbst um das Thermo- und Batteriemanagement und um das Laden. Je kniffliger und anspruchsvoller die Anforderung, desto besser. Deswegen beschäftigen wir uns auch mit dem Sonderfahrzeugbau, elektrisch angetrieben versteht sich. Das zeichnet Designwerk aus und unterscheidet uns von zahlreichen anderen, zumal großen Lkw-Herstellern. Wir sehen uns auch nicht als Wettbewerber der OEM, so realistisch sind wir. Vielmehr positionieren wir uns als kleine, feine Manufaktur und sehen Chancen, wo andere vielleicht eher Risiken sehen. Ein Beispiel: Wir koppeln heute 400V-Batterien um eine schnellere Ladeleistung (350 kW) zu ermöglichen. Damit können wir uns differenzieren und es birgt noch weitere Vorteile für unsere Kunden. Ja, das Schweizer Taschenmesser passt gut, wir haben mehrere Tools an der Hand.
„Auf der Welt gibt es mehr Steckdosen als Tanksäulen“
Die Volvo-Group hat vor zwei Jahren 60 Prozent an Designwerk übernommen. Das bestätigt nicht nur die Innovationskraft des Unternehmens, sondern eröffnet auch ganz neue Perspektiven?
Für uns war der Einstieg von Volvo unternehmerisch sehr bedeutungsvoll. Einerseits profitieren wir von der starken Marke, dem Service-Netz und den Fahrzeugplattformen. Andererseits ergeben sich eine Vielzahl weitere Synergien. Was den Service unserer Designwerk-Lkw angeht, profitieren wir vom Zugang zu Ersatzteilen und Spezialwerkzeugen und vor allem auch vom Know-how von Volvo, auch was die Ausbildung an Hochvoltfahrzeugen von Mechatroniker*innen angeht.
2022 stellte Designwerk die vollelektrische Sattelzugmaschine (HIGH CAB Lowliner) auf Basis eines Volvo-FH-Chassis vor. Sie runden also das Portfolio mit einem 40-Tonner nach oben ab?
Ja, wir steigen bei 18t ein und gehen hoch bis 44t als MID- oder LOW CAB. Als Basisplattformen dienen der Volvo FM und FH, aber auch der Mercedes-Benz Econic. Was alle Fahrzeugprojekte eint, ist die Performance. Wir suchen quasi die Komplexität in der Nische, alles was extrem und anforderungsreich ist. Am Ende des Tages geht es um die Effizienz und die Frage ob es sich rechnet. Der Erfolgsfaktor der Zukunft ist nicht die staatliche Incentivierung, sondern die TCO.
Welche Zielmärkte verfolgen Sie mit Ihren E-Lkw und wie sieht die Markteintritts-Strategie aus?
Zu unseren Zielmärkten gehören alle europäischen Länder. Jedoch legen nicht alle Regionen die gleiche Bereitschaft und Offenheit gegenüber der Elektromobilität an den Tag. Dies wird sich aber ändern. Aktuell gehören die Schweiz, Deutschland und Norwegen zu den Zielmärkten. Hinzu kommt beispielsweise Dänemark, Schweden, Finnland, die Niederlande, Belgien aber auch Österreich. Es erreichen uns aber auch Anfragen aus Polen, Spanien, Portugal und Frankreich. Interessant ist, dass sich viele südeuropäische Länder noch eher in Zurückhaltung üben. Zuständig für die europäischen Märkte ist die Designwerk Europe GmbH mit Sitz in Lottstetten (Deutschland).
Designwerk entwickelt auch Batteriesysteme und konfiguriert sie individuell. Ein Novum in der Branche.
Die Batteriemodule selbst kommen von einem Zulieferer, aber das Kühl- und Batterie-Managementsystem entwickeln und produzieren wir komplett selbst. Wir müssen wissen wie die komplexe Technik funktioniert, nur so können wir an permanenten Verbesserungen arbeiten und die Gesamtleistung optimieren. Zudem sind uns Nachrüstoption und Upgrades sowie die Rückwärtskompatibilität unserer Batteriesysteme wichtig. Zusätzlich arbeiten wir an Second-Life-Konzepten. Ältere Batteriemodule können beispielsweise als Stromspeicher dienen.
Neu im Portfolio ist die Batteriezelle mit Lithium-Eisenphosphat-Zelltechnologie (LFP). Wo liegen die Vorteile?
Die Vorteile einer LFP-Batterie (Lithium-Eisenphosphat) liegen in der Ladezyklen-Festigkeit und der hohen thermischen Stabilität, was sich positiv auf das Balancing auswirkt. Unsere Low-Liner-Lkw sind mit LFP-Batterien ausgerüstet. Sie haben auch einen Gewichtsvorteil. Parallel arbeiten wir aber auch mit NMC-Batterien (Nickel-Mangan-Cobalt), die wiederum andere Vorteile bieten. Wir testen sehr viel, haben zahlreiche Technologien im Blick und wägen permanent zwischen Vor- und Nachteilen ab. Interessant sind zukünftig auch andere Batterietechnologien – hier gibt es noch viel Potenzial für die Elektrifizierung des Schwerverkehrs.
Auch um die Ladetechnik kümmert sich die Designwerk Technologies AG?
Ja, das dritte Geschäftsfeld bildet die Produktion und der Vertrieb von mobilen Ladelösungen. Mit unseren Power-Chargern auf Gleichspannungsbasis erreichen wir sehr hohe Ladeleistung über eine herkömmliche Industriesteckdose. So sind Ladegeschwindigkeiten von 22 bis 88 KW möglich. Mit den Geräten verfügen wir quasi über ein Alleinstellungsmerkmal. Sie sind ideal für Werkstatt- und Testumgebungen oder Showrooms.
Wie viele Lkw sind momentan bereits auf der Straße und wie sieht es mit den Produktionskapazitäten und dem Servicenetzwerk aus?
Aktuell sind 180 Fahrzeuge im Einsatz. Es wurden bereits über sechs Millionen Kilometer von unseren Kunden zurückgelegt. Die Fahrzeuge unterliegen einem permanenten Monitoring. So wissen wir immer über die Ladesituation, den Zustand der Batterien und des Antriebsstrangs Bescheid. Unser Produktionsziel für dieses Jahr liegt bei 120 Fahrzeugen. Die Lkw werden in Winterthur komplett auf Elektro umgerüstet. Dabei liefert uns Volvo fahrbereite Fahrzeuge. Wir bauen den Antriebsstrang und zahlreiche weitere Komponenten aus und liefern sie an Volvo zurück. Die Daimler-Truck AG stellt uns Glider zur Verfügung, also Fahrzeuge ohne Antriebseinheit.
In der Geschäftsleitung sind Sie Teil eines siebenköpfigen Teams. Das klingt nach Arbeitsteilung und flachen Hierarchien. Wie würden Sie die Unternehmenskultur bei Designwerk beschreiben?
Wir sind quasi als Start-Up gestartet, hatten vor einigen Jahren noch rund 30 Mitarbeiter*innen und entwickelten uns in jüngster Zeit rasant zu einem mittelständischen Unternehmen mit 190 Mitarbeiter*innen. Wir konnten aber immer schnell reagieren und skalieren. Natürlich hat sich heute die Unternehmenskultur etwas geändert. Bei einem Unternehmen in der Größe sind definierte Prozesse und Strukturen notwendig, die es zu Beginn so nicht gab. Wir pflegen aber nach wie vor eine sehr offene und kommunikative Unternehmenskultur, sind auf ‚Du und Du‘ in einem jungen Team. Im Übrigen hat der Einstieg von Volvo nichts daran geändert, wir können die Vorteile eines KMU voll ausspielen.
Am Ende eine persönliche Frage: Über was haben Sie sich kürzlich am meisten gefreut, über was am meisten geärgert?
Am meisten gefreut habe ich mich über unsere gelungenen Messeauftritte auf der Transport-Logistik in München und der Ro-Ka-Tech in Kassel. Hinzu kam die Fahrzeugpräsentation unseres Low-Liner auf dem Flugfeld in Mendig. Wir führten sehr gute Gespräche und ich spürte die Begeisterung der Menschen was unsere Technik angeht. Geärgert hat mich kürzlich, dass wir wider besseren Wissens einen unserer Kunden nicht optimal im Fokus hatten. Wir gaben notwendige Informationen zu spät weiter, obwohl wir den Sachverhalt längst erledigt hatten. So bleiben wir weiterhin wachsam für Kundenanliegen und setzen uns für eine größtmögliche Kundenzufriedenheit ein.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 2-2023 der Krafthand-Truck.