Vor 90 Jahren bei MAN: Erster Lkw mit Diesel-Direkteinspritzung
Am 12. März 1924 starten die MAN-Ingenieure Sturm und Wiebicke vom Werksgelände in Augsburg zur Fahrt nach Nürnberg mit einem M.A.N.-Saurer-Lkw. Angetrieben wird der 4-Tonnen-Pritschenwagen von einem Versuchs-Dieselmotor, der den Kraftstoff erstmals direkt in die vier Zylinder einspritzt.
Mit rund 40 PS legen die Testfahrer die 140 Kilometer Strecke in fünfeinhalb Stunden zurück. Die erfolgreiche Fahrt ist die Feuertaufe für eine Technologie, mit der die sparsamen Dieselmotoren erstmals so kompakt und leicht konstruiert werden konnten, dass sie zum Antrieb von Fahrzeugen geeignet waren.
Das Direkteinspritzverfahren ist von entscheidender Bedeutung, erklärt Bernd Maierhofer, Vorstand Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus: „Der erste MAN mit Diesel-Direkteinspritzung war ein Meilenstein der Motorentechnologie. Seine enorme Tragweite zeigt sich heute: Jeder moderne Dieselmotor, ob im Lkw oder im Pkw, arbeitet nach dem Prinzip der Direkteinspritzung. Die modernste Ausprägung ist die Common-Rail-Einspritzung. Wir setzen sie in allen MAN-Dieselmotoren ein und können damit den Ablauf der Verbrennung im Zylinder effizient steuern.“
Die Lösung: Einspritzpumpe und Einspritzdüsen
Rudolf Diesel hatte den ersten Dieselmotor bereits 1897 als Patent angemeldet. Aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts waren Dieselmotoren bis Mitte der 1920er Jahre als Stationärmotoren in Fabriken in Betrieb oder wurden als Antrieb für Schiffe eingesetzt. Die ersten M.A.N.-Saurer Lkw und Busse fuhren mit Benzinmotoren.
Von 1919-1923 entwickelte MAN den Dieselmotor für den Einsatz in Fahrzeugen weiter. Bei der Entwicklung des Dieselmotors für Nutzfahrzeuge waren vor allem zwei technische Knackpunkte zu lösen: Zum einen musste die Antriebstechnik so verkleinert werden, dass der Motor unter eine Motorhaube passte. Zum anderen galt es, bei der Motorkonstruktion auf einen schweren und leistungshungrigen Hochdruck-Kompressor zu verzichten. Dessen Funktion war es, Luft zu verdichten, und damit den Kraftstoff in den Zylinder des Motors einzublasen.
Die Kraftstoffeinspritzung ohne Lufteinblasung war ein entscheidender Schritt nach vorn. Die Verbrennungsluft wird innerhalb des Zylinders durch die Kolben-Aufwärtsbewegung auf 20 Atmosphären (20 bar) verdichtet und erhitzt sich dadurch stark. Der Kraftstoff wird in diese hochverdichtete Luft eingespritzt. Durch seine feine Zerstäubung und die hohe Gastemperatur im Zylinder entflammt das Diesel-Luftgemisch.
Die Einspritzung in die komprimierte Luft im Zylinder war erst mit einer mechanischen Einspritzpumpe möglich, die den Kraftstoff unter sehr hohem Druck in die Einspritzventile presst. Die Einspritzventile zerstäuben den Kraftstoff in feine Tröpfchen und erhöhen damit die Zündfähigkeit. Die Einspritzpumpe, für deren Fertigung höchste Präzision erforderlich war, baute MAN selbst.
Auch die Anordnung der Ventile war ausschlaggebend für das Gelingen des Direkteinspritz-Verfahrens. Im neuen M.A.N. Motor wurde der Kraftstoff durch zwei seitlich im Zylinderkopf eingesetzte offene Düsen eingespritzt. Durch die tangentiale Anordnung der beiden Einspritzdüsen gelang die innermotorische Durchmischung des eingespritzten Brennstoffs mit der verdichteten Luft.
1924 wurden in Augsburg die ersten drei Versuchsmotoren gebaut und mit Erfolg in einem Lkw und einem Motorpflug getestet. Diese ersten Dieselmotoren mit Direkteinspritzung hatten 105 mm Bohrung, leisteten 35 bis 40 PS bei 1.000 U/min und wogen rund 420 Kg.
Premiere 1924 auf der Automobilausstellung in Berlin
Im ersten halben Jahr legte der Versuchs-Lkw 2500 Kilometer zurück, bevor MAN die Neuerung auf der deutschen Automobilausstellung in Berlin vom 10-18. Dezember 1924 präsentierte.
Ingenieur Sturm ließ es sich nicht nehmen, den Lkw selbst zum Messegelände nach Berlin zu fahren. Zwei Tage brauchte er für diese Fahrt von Nürnberg aus. Unterwegs keine Pannen, von ein paar verdreckten Ventilen abgesehen. „Fahrt gut beendet“ schreibt Sturm via Telegramm an seine MAN-Kollegen in Augsburg kurz nach dem Eintreffen an der Spree.
Die neue Technik begeistert Publikum und Fachpresse: Die VDI Nachrichten urteilten: „Im Bereich der Maschinen für Lastkraftwagen und der damit zusammenhängenden Brennstoff-Frage stellte wohl der kompressorlose Dieselmotor der MAN die wichtigste Neuerung dar, die überhaupt auf der Ausstellung geboten wurde.“ Heute steht der Ausstellungsmotor von 1924 im Deutschen Museum in München.
Die Direkteinspritzung geht in Serie
Der Erfolg in Berlin ist der Startschuss für die Serienproduktion der neuen Dieselmotor-Baureihe D 1580 B und damit der serienmäßigen Dieselmotorenproduktion für Nutzfahrzeuge bei MAN – ein wichtiger Schritt. Als erste Kunden erhalten der Kraftverkehr Bayern sowie die Reichspost in München, Augsburg und Nürnberg je einen Fahrzeug-Dieselmotor zu Testzwecken. Der erste Kunden-Lkw mit Dieselmotor fuhr bei der Aktienbrauerei zum Hasen in Augsburg. Dieser erste Bierlaster war in Augsburg über Jahrzehnte ohne größere Ausfälle im Dauereinsatz. Den ersten Omnibus-Dieselmotor erwirbt 1925 die Reichspost.
Von Anfang an stehen zwei Verkaufsvorteile fest: das geringe Fahrzeuggewicht des Motors und seine enorme Betriebskosteneinsparung von 80 Prozent gegenüber herkömmlichen Vergaser-Motoren. Argumente, die schon damals für die Kunden entscheidend sind. Bereits Mitte der 20er-Jahre steigt der Bedarf der Lastwagenabteilung derart, dass die Fertigung der Nutzfahrzeugdieselmotoren vollständig an den dafür ausgebauten Standort Nürnberg verlegt wird.
Das Werk in Nürnberg ist bis heute das MAN-Zentrum für Motorenkompetenz. Dort werden alle Motoren für die gesamte Produktion entwickelt, getestet, in hohem Umfang gefertigt und montiert.