Runderneuerung 4.0: „Das Verantwortungsbewusstsein muss zunehmen“
Dem ADAC zufolge fielen 2022 allein in Deutschland rund 700.000 Tonnen Altreifen an. Dies entspricht einer Menge von rund 70 Millionen Pneus. Wohlgemerkt sprechen wir von Reifen über alle Fahrzeugklassen hinweg. Zudem haben wir alle die Bilder von brennenden Reifenbergen im Kopf. Immer wieder werden Altreifen auf illegale Art und Weise ins Ausland geschafft, deponiert und auf Kosten der Umwelt illegal entsorgt. Dabei sind Altreifen eine wertvolle Rohstoffquelle. Die Bestandteile können für Antirutsch-Matten, Bodenbeläge, Dämmmaterial, Anfahrpuffer, Schneepflugleisten, Gummigranulat, Straßenbelagsmischungen und vieles mehr, verwendet werden. Mitunter gelangen abgefahrene Pneus auch in andere Länder, wo weniger strenge Auflagen bezüglich der Profiltiefe herrschen, immerhin wächst so die Einsatzzeit. Was jedoch danach mit den Reifen passiert lässt sich nur erahnen. In vielen Fällen ist jedoch die thermische Verwertung das Mittel der Wahl, mit entsprechenden Implikationen für die Umwelt. So werden nach wie vor bis zu 50 Prozent der Altreifen (beispielsweise in Zementwerken) verbrannt.
Die Weiterverwendung hat Vorrang
Doch bevor überhaupt eine stoffliche oder thermische Verwertung im Raum steht, sollte grundsätzlich eine Runderneuerung und Weiterverwendung geprüft werden. Die Nutzfahrzeugbranche hat hier naturgemäß die Nase vorn: Über 30 Prozent der Lkw-Pneus in Deutschland sind runderneuert. Voraussetzung ist natürlich die Runderneuerungs-Fähigkeit. Das ist wirtschaftlich und vor allem ökologisch sinnvoll. Die Quote stagniert allerdings.
Leider werden Pkw-Reifen fast gar nicht runderneuert, da die Anzahl unterschiedlicher Reifendimensionen stetig zunimmt. Zusätzlich ist die Akzeptanz bei den Autofahrern (noch) nicht gegeben. „Vorbehalte lassen sich durch entsprechende Aufklärungsarbeit jedoch schnell ausräumen“, so Günter Ihle, Geschäftsführer beim Runderneuerer Rigdon aus Günzburg. In Frankreich startete jüngst Renault in seiner Handelsorganisation mit dem Verkauf von runderneuerten Reifen der Marke Léonard (Black Star / Mobivia-Gruppe) – ein Lichtblick! Rigdon, hat im September auf der Nutzfahrzeugmesse NUFAM einen runderneuerten All-Season-Reifen für Transporter gezeigt. Günter Ihle spricht von enormem Potenzial, das man wieder nutzen müsse. Man habe bis 2014 Jährlich über 300.000 der Pneus verkauft. Im Pkw-Bereich müssen die Fertigungstechnologien laut Ihle weiter ausgebaut werden um sie durchgängig auf Neureifenniveau, zu heben.
Umdenken und Handeln
„Das Verantwortungsbewusstsein der Flottenbetreiber im Hinblick auf eine Kreislaufwirtschaft muss weiter zunehmen. Es reicht nicht aus über den Klimawandel zu lamentieren, dann aber den billigsten Fernostreifen zu kaufen, der zudem nicht runderneuerungsfähig ist“, so Christina Guth, Netzwerkkoordinatorin bei AZuR. Die ‚Allianz Zukunft Reifen‘ dient als Innovationsplattform für Altreifen-Recycling. Mit im Boot sind nicht nur zahlreiche Reifenhersteller und Runderneuerer, sondern auch Entsorger, Verwertungsunternehmen sowie Verbände und Vertreter aus Forschung und Wissenschaft. Der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e. V. (WdK) unterstützt die Initiative seit 2021 und ist Schirmherr der AZuR.
„Die EU und die Bundesregierung sind gefragt, um den Billigimporten aus Fernost einen Riegel vorzuschieben, das Anti-Dumping-Verfahren sollte weitergeführt, die Regularien angepasst werden. Ein Lkw-Reifen wiegt zwischen 70 und 80 Kilogramm. Bei einem Rohkautschukpreis auf dem Weltmarkt von rund 1,70 bis 2,00 Euro pro Kilogramm kann es nicht sein, dass teilweise Lkw-Reifen für knapp unter 100 Euro (exklusiv Zoll von rund 30, 00 Euro) angeboten werden“, so Günter Ihle.
Handlungsoptionen
Um die Runderneuerungsquote weiter zu erhöhen gäbe es laut Guth zahlreiche Ansatzpunkte. Zum einen müssten die Flottenbetreiber noch besser informiert werden. AZuR sei mit der Plattform www.runderneuert.de dabei schon sehr aktiv. Ferner müsste die öffentliche Hand, mit gutem Beispiel voran gehen und verstärkt auf runderneuerte Reifen setzen.
Darüber hinaus geht es auch um die einheitliche Qualität der Karkassen. Hier arbeitet AZuR aktuell an einem DBU-Förderprojekt. Die Netzwerker hoffen, dass sie eine Förderzusage erhalten. Leider fehle es laut Guth aktuell an Grundlagen. Die Frage was eine qualitativ hochwertige Karkasse auszeichnet wird unterschiedlich beantwortet. Das Wissen sei nicht spezifiziert, meist handle es sich um Erfahrungswissen der Runderneuerer. Auch Referenzen der Flottenbetreiber wären sinnvoll.
Letztendlich müsse die EU das Labeling für runderneuerte Reifen forcieren und umsetzen. Leider dauern die Prozesse sehr lang, so Guth. Der positive Einfluss von runderneuerten Reifen auf die CO2-Bilanz müsse ebenso besser bewertet werden. Last but not least geht es um das positive Image von runderneuerten Reifen. „Die Branche ist bestens aufgestellt und könnte noch viel mehr produzieren. Jetzt liegt es an den Rahmenbedingungen“, so Günter Ihle.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4-2023 der Krafthand-Truck.