Bild links: Ab 01. Juli 2024 müssen alle neu zugelassenen Nutzfahrzeuge serienmäßig über ein Reifendruck-Kontrollsystem (RDKS) oder ein Reifendruck-Regelsystem (Trailer) verfügen. Das Sensor-Handling verlangt entsprechendes Know-how und das geeignete Serviceequipment. Bild: Bartec

Reifendruck-Kontrollsysteme: Sicher mit Druck umgehen!

Reifenschäden aufgrund eines zu geringen Fülldrucks finden sich seit Jahren auf den vordersten Plätzen der Pannenstatistiken. Bei Nutzfahrzeugen können sie noch schwerwiegendere Folgen haben als beim Pkw. Neben schweren (Auffahr-) Unfällen kann es zu Bränden kommen, je nach Art der Fracht. Zudem führen laut Statistik rund 30 Prozent der Reifendefekte zu Liegenbleibern, die sich in der Transportbranche niemand leisten kann. Reifendruck-Kontrollsysteme (RDKS) können dies verhindern. Sie sind zwar nicht grundsätzlich neu, doch bislang war ihre Anschaffung freiwillig. Ab 01. Juli 2024 müssen gemäß EU-Verordnung UN ECE-R-141 alle neu zugelassenen, ziehenden und gezogenen Einheiten, ein RDKS an Bord haben. Die Verordnung bezieht sich auf die Klassen N1 bis N3, O3 und O4 sowie M2 und M3 mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 Tonnen. Bei Trailern ist alternativ ein Reifendruck-Regelsystem zulässig, welches einen auftretenden Druckverlust automatisch ausgleicht. Damit kommt der Nutzfahrzeugfachmann künftig öfter mit RDKS in Kontakt.

Exakt definierte Funktionen

Mit mehrmarkenfähigen Reifenservicetools wie dem ‚TMPS Pro‘ lassen sich Daten wie Sensor-ID, Fülldruck, Reifentemperatur, Position am Fahrzeug etc. auslesen und die Räder nach einem Reifenwechsel oder Rädertausch fachgerecht initialisieren. Bild: Continental

Der Funktionsumfang der Systeme ist in der Richtlinie genau beschrieben: Tritt ein Druckverlust von mehr als 20 Prozent ein oder eine Fehlfunktion des RDK-Systems auf, muss der Fahrer innerhalb von zehn Minuten eine entsprechende Warnung erhalten. Ein Reifendruck-Regelsystem dagegen muss innerhalb von zehn Minuten eine Druckabweichung um fünf Prozent automatisch ausgleichen. Eine Warnanzeige hat in beiden Fällen im Fahrerhaus zu erfolgen, wobei es den Systemlieferanten offensteht, ob sie die Sensordaten per Kabel oder drahtlos übertragen werden.

Da gerade im Fernverkehr Zugmaschinen und Trailer bekanntlich nie lange ein Paar sind, hat der Gesetzgeber eine spezielle Kommunikationsschnittstelle für den drahtgebundenen Datentransfer vom Trailer zum Truck definiert. Die Übertragung selbst läuft über den ohnehin vorhandenen Bremsen-CAN-Bus (nach ISO 11992). Die Drucksensoren senden ihre Daten an einen Empfänger am Auflieger, welcher über den CAN-Bus mit der EBS-Einheit verbunden ist. Diese wiederum überträgt die gesammelten Daten via Kabel an die Zugmaschine. Dort werden die Daten je nach Philosophie des Lkw-Herstellers in der Armaturentafel oder auf einem separaten Display angezeigt. Manche Hersteller zeigen die konkreten Reifendrücke des Aufliegers an, manche setzen nur eine Warnlampe im Fall eines ‚Unterluftdrucks‘. Durch die standardisierte Schnittstelle kann quasi jeder Trailer, der eine entsprechende EBS-Einheit besitzt, seine Reifeninformationen an jede mit RDKS ausgerüstete Zugmaschine senden.

EBS-Einheit ist Bindeglied

Die Funkfrequenz von Nutzfahrzeug-RDK-Sensoren liegt wie bei Pkw-Systemen bei 433 MHz, sowohl bei der Zugmaschine als auch beim Trailer. Prinzipiell enthalten auch die Funkprotokolle die gleichen Daten, allerdings unterscheiden sie sich teils im Protokollaufbau sowie in anderen Eigenschaften, je nach Sensor- oder Fahrzeughersteller. Ein weiterer Unterschied zum Pkw ist die EBS-Einheit als elementares Bindeglied zwischen Truck und Trailer. Ohne sie wäre eine standardisierte Kommunikation nicht möglich. Um eine automatische Zuordnung der Sensoren zur Radposition zu ermöglichen, besitzen Zugmaschinen teilweise mehrere Empfangsantennen. Bei Trailern ist der Systemaufbau mit meist einer Antenne deutlich einfacher.

Facettenreicher Reifenservice

RDK-Systeme von Pkw und Lkw unterscheiden sich technisch durchaus. Speziell die Art der Sensorbefestigung weicht bei Trailern mitunter vom bekannten Pkw-Standard ab. Zudem verlangt das Handling von Kompletträdern und der Räder-/Reifentausch innerhalb des Fuhrparks eine entsprechende Organisation, damit Sensoren nicht ‚verloren gehen‘, weder physisch, noch für das fahrzeugseitige RDKS-Steuergerät.

Experten rechnen damit, dass es Nutzfahrzeug- und Reifenprofis künftig mit bis zu 30 oder mehr unterschiedlichen OE- und Nachrüstsystemen und entsprechenden Sensoren – Ventilsensoren, Bandsensoren, Reifensensoren, etc. – zu tun haben werden. Wobei die meisten Sensoren direkt-messende, also Systeme mit aktiven Drucksensoren sein dürften. Indirekte Varianten, wie sie bei Pkw und Kleintransportern üblich sind, welche die Fülldruckunterschiede über die ABS-Sensoren erkennen, dürften in der schweren Klasse wohl eher die Ausnahme sein. Zudem vermuten die Experten, dass in Zugmaschinen überwiegend Ventilsensoren, bei Trailern Bandsensoren zum Einsatz kommen. Das bedeutet für den Werkstattfachmann, dass er nicht in jedem Fall gleich auf den ersten Blick abschätzen kann, mit welchem Sensortyp beziehungsweise Befestigungssystem er es gerade zu tun hat.

Unterschiedliche Sensortypen

Wie bei den Pkw, so gibt es auch bei Nutzfahrzeugen klassische Ventilsensoren. Sie befinden sich innerhalb der Felge, sind im Felgenloch angebracht und OE-seitig aufgrund von Vorteilen in der Serienfertigung überwiegend bei Lkw verbaut. Bei einem Sensortausch oder einer Wartung sind beim Verschrauben von Ventil und Sensorkörper die Drehmomentvorgaben des Fahrzeug- beziehungsweise des Sensorherstellers zu beachten. Möglicherweise ist eine spezielle Schraubensicherung gegen ungewolltes Lösen aufgrund der Zentrifugalkräfte vorgesehen. Bei der Reifendemontage und -montage muss der Mechatroniker darauf achten, dass er den sehr nah am Hump sitzenden Sensor nicht beschädigt. Hier sind die Empfehlungen des Fahrzeug- und des Montiergeräte-Herstellers zu befolgen.

Gurt-Sensoren

Universelle Gurt-Sensoren können im Ersatzfall auch serienmäßige Ventilsensoren ersetzen. Sie sind einfach zu montieren und kommen häufig bei Trailern zum Einsatz. Da sie im Tiefbett der Felge sitzen, besteht keine Gefahr, dass sie bei der Reifenmontage zerstört werden. Bild: Alcar

Da es bei Trailern eine viel größere Zahl unterschiedlicher Radgrößen und Felgendesigns gibt, setzen viele Trailerhersteller auf Sensoren, die mit einem speziellen Befestigungsgurt (meist mit Klettverschluss) verrutschsicher im Felgentiefbett fixiert werden. Ein Vorteil dieses Systems: Der Gurt lässt sich universell, flexibel und ohne Werkzeug bei den unterschiedlichsten Felgenausführungen verwenden. Zudem muss die Werkstatt nur eine Teileposition (Universalsensor und Band) vorhalten und muss nicht unzählige verschiedene Sensoren, Ventile und Montagesätze bevorraten. Da der Sensor weit von der Montagezone entfernt montiert ist, verlangt er bei der Reifenmontage kaum die Aufmerksamkeit des Monteurs.

Sensor-Container

Mit dem passenden Spezialwerkzeug lässt sich der ‚Redi-Sensor‘ einfach und beschädigungsfrei aus- und einbauen. Bild: KS Tools

Eine weitere Variante ist der „Sensor in der Tasche“. Er sitzt fest eingeschlossen, aber entnehmbar, in einem auf den Innerliner des Reifens geklebten Container. Dadurch lässt er sich beim Reifenersatz auf einfache Weise entnehmen und wiederverwenden. Voraussetzung ist, dass der neue Pneu ebenfalls über einen Container verfügt. Ist dies nicht der Fall, lässt er sich problemlos nachrüsten – am einfachsten mit den am Markt erhältlichen Spezialwerkzeugen. Dies gilt sowohl für Neu- als auch für bereits gelaufene Bestandsreifen. Spezielles Werkzeug, etwa ein Manschetten-Spreitzer, um den Sensor beim Wechsel beschädigungsfrei aus dem Container entnehmen und eindrücken zu können, erleichtern die Arbeit. Beim Einsetzen des Sensors ist auf die Laufrichtung (Markierung!) zu achten.

Frei programmierbare Universalsensoren

Das Thema ‚Programmieren und Anlernen von RDK-Sensoren‘ wird viel diskutiert, etwa beim saisonalen Räderwechsel, beim Sensorersatz oder beim Durchtauschen der Räder innerhalb des Fuhrparks. Da sich OE-Sensoren teilweise nur mit OE-Testern anlernen lassen, bedeutet das bei einem bunt gemischten Fuhrpark einen beträchtlichen finanziellen Aufwand für den Werkstattbetreiber. Beim Anlernen neuer OE-Sensoren besteht das Hauptproblem darin, dass die Fahrzeughersteller bei ihren Lkw, Trailern und Bussen vielfach so genannte ‚Basic-Systeme‘ verbauen, bei denen die Sensoren mit einem (Original-)Tester über die OBD-Schnittstelle an das RDKS-Steuergerät angelernt werden müssen. Aus diesem Grund finden universell einsetzt- und frei programmierbare Sensortypen speziell bei freien Nutzfahrzeug-Werkstätten und Reifenservicebetrieben immer mehr Zuspruch. Sie sind problemlos kompatibel zu den OE-Systemen und können sie somit 1:1 ersetzen. Das gilt sowohl für Ventil- als auch für Band-Universal-Sensoren.

Das Klonen und Anlernen von Sensoren

Bei Lkw und Zugmaschinen werden überwiegend Ventilsensoren verbaut. Universal-Typen wie der ‚IntelliSens UVS01HD‘ decken eine breite Modellpalette ab und helfen so, die Lagerhaltung schlank zu halten. Sie lassen sich mit einem geeigneten Reifenservicetool klonen, so dass am Fahrzeug praktisch keine weitere Programmierung mehr nötig ist: Bild: BH Sens

Mit einem geeigneten, mehrmarkenfähigen Reifenservicetool kann der Werkstattfachmann – soweit der Sensor nicht beschädigt ist – die Original-Herstellerdaten (Sensor-ID, Protokoll, etc.) aus dem OE-Sensor auslesen, zwischenspeichern und auf den universellen Ersatzsensor übertragen. Dabei entsteht quasi ein Klon, der exakt dem Original-Sensor entspricht. Damit erkennt das RDKS-Steuergerät der Ersatzsensor als Original-Sensor ohne weiteres Anlernen, ohne OBD-Zugriff oder Anlernfahrt, so dass das RDKS mit dem neuen Universal-Sensor wie gehabt funktioniert. Aufgrund dieser freien Wireless-Programmierbarkeit lassen sich Radsätze problemlos vorkonfektionieren, so dass sie sich auf unterschiedlichen Zugmaschinen und Trailern nutzen lassen. Ein in der klassischen Wechselsaison nicht zu unterschätzender Vorteil. Vergleichbares gilt, wenn man im Container montierte Sensoren auf neue Reifen übernimmt – vorausgesetzt, der neue Reifen kommt wieder an die gleiche Position am Fahrzeug. Diese Sensoren müssen auch nicht umprogrammiert werden.
Manche RDKS verfügen über eine so genannte Autolearn-/Autolocate-Funktion. Durch diese lernen sich die Sensoren der Räder automatisch und positionsrichtig an, so dass nach dem Radwechsel normalerweise kein Werkstattaufenthalt mehr zur Initialisierung der richtigen Position notwendig ist.

Batterie-Lebensdauer

Die Lebensdauer der Batterien von RDK-Sensoren ist begrenzt. Sie sind nicht austauschbar. Je nach Hersteller soll sie zwischen fünf und sieben Jahren halten, wobei die tatsächliche Lebensdauer auch davon abhängt, wie viele Software-Pakete die Sensoren übertragen müssen. Um den Energieverbrauch gering zu halten, senden sie üblicherweise bei stehendem Fahrzeug weniger häufig und werden erst richtig aktiv, wenn die Radgeschwindigkeit einen gewissen Schwellwert (meist 20 km/h) überschreitet.

Die Zeit läuft

Der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) sieht dennoch Probleme auf die Nfz-Werkstätten und die Reifenservice-Betriebe zukommen und informierte dazu bereits im Oktober 2023 (siehe Krafthand-Truck 4-2023). So würde bei den Sattelzugmaschinen der Zugang zur OBD-Schnittstelle des Fahrzeugs, der für das Konfigurieren oder Anlernen von RDKS-Sensoren erforderlich ist, von einigen Fahrzeugherstellern immer mehr eingeschränkt. Über die im Reifenhandel für den RDKS-Service an Pkw weit verbreiteten Handheld-Geräte zur RDKS-Diagnose und -Programmierung sei dann eine Wiederherstellung der RDKS-Funktion nicht zu leisten. Und: Fahrzeuge mit ‚Autolocation‘-Funktion, die ein selbstständiges Anlernen oder Erkennen einer neuen Sensor-ID oder -position sichert, setzten meist einen mehr oder weniger langen Fahrzyklus voraus. Das Servicepersonal müsse also auch über die entsprechende Fahrerlaubnis verfügen.

Grund genug also, sich rasch mit der Materie auseinanderzusetzen. Zwar werden nach dem 1. Juli 2024 die neuen RDKS-Systeme noch nicht geballt in den Werkstätten aufschlagen, doch die Zeit bis zum nächsten Winterräderwechsel vergeht schnell. Schon deshalb sollten sich die Reifenfachleute in den Nutzfahrzeug-Werkstätten frühzeitig das erforderliche Wissen aneignen. Diverse Sensoranbieter stehen bereits mit entsprechenden Schulungen in den Startlöchern.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1-2024 der Krafthand-Truck.