„Neben der Werkstattdiagnose treiben wir das Angebot im Bereich Fern-Diagnose und vorausschauende Wartung weiter voran.“
Knorr-Bremse ist Weltmarktführer im Bereich Bremssysteme für Nutzfahrzeuge und ein führender Anbieter weiterer Systeme für Nutzfahrzeuge. Das Unternehmen mit Hauptsitz in München, beliefert zahlreiche namhafte OEM weltweit. Zum Portfolio gehören Brems- und Fahrerassistenzsysteme sowie technische Lösungen rund um den Antriebsstrang. Der Unternehmensbereich Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge ist mit Produktions-, Vertriebs- und Servicestandorten in über 20 Ländern vertreten. Die Konzernsparte erwirtschaftete 2023 einen Umsatz von rund 4,2 Milliarden Euro und beschäftigt aktuell rund 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Nfz-Aftermarket spielt dabei eine zentrale Rolle.
Wir haben mit Bernd Spies, Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge, über die Entwicklungen im Nutzfahrzeugbereich, den Aftermarket, die Dienstleistungen für Nfz-Werkstätten sowie über Persönliches gesprochen.
Sehr geehrter Herr Spies, kürzlich fand die IAA Transportation in Hannover statt. Sie gilt als weltweite Leitmesse für die Nutzfahrzeugbranche. Auch Knorr-Bremse stellte aus. Was waren die thematischen Schwerpunkte, die Highlights?
Ein thematischer Schwerpunkt im Bereich Bremstechnologie war die Scheibenbremsenfamilie SYNACT, die eine neue Dimension bei Leistung, Gewicht und Effizienz erreicht. Das Active-Caliper-Release (ACR) dient zur Verringerung des Restschleifmoments und sorgt so für eine Kraftstoffeinsparung. Unsere Bremssteuerung Global Scalable Brake Control stellt die Schnittstelle zu modernen ADAS-Systemen und die Redundanz für hochautomatisiertes Fahren dar. Das elektromechanische Bremssystem, das als Innovationsthema vorgestellt wurde, kann Vorteile bezüglich Bauraum, Geräuschentwicklung und Regelgenauigkeit bieten.
Bei den Lenksystemen standen die vollelektrische Lenkung EPS und die elektrohydraulische AHPS im Fokus. Die EPS reduziert mit ihrem Power-on-Demand-Prinzip den Energie- beziehungsweise den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge und schafft die Voraussetzungen für Steer-by-Wire. Highlights im Bereich Air-Supply waren das Luftaufbereitungssystem GSAT und der Flügelzellenkompressor. Wir haben aber auch die ölfreie Kompressor-Technologie im Blick. Darüber hinaus kombiniert unser intelligentes elektronisches Trailer-Bremssystem iTEBS X als globale Plattform die elektronische Steuerungseinheit, Sensortechnologie und pneumatische Bremssteuerung sowie Bremsfunktionen wie ABS und lastabhängiges Bremsen in einer kompakten Baugruppe. Auch das war ein Thema auf der IAA Transportation.
Wie fällt Ihr persönliches Resümee zur Messe aus?
Die IAA Transportation war für uns ein großer Erfolg. Insgesamt konnten wir eine dreistellige Zahl an Kundengesprächen verzeichnen. Wir haben sehr positives Feedback zu unseren Innovationen, aber auch zu unserem nachhaltigen Standkonzept erhalten. In diesem Jahr haben wir auf hochwertige Container gesetzt, die weiterverwendet werden können, und halten so den Materialeinsatz gering. Unsere Messeinhalte bringen wir derzeit mittels einer nachgelagerten Truck Roadshow direkt zu unseren Kunden und setzen die Gespräche unmittelbar fort.
Der Nutzfahrzeugmarkt entwickelt sich hochdynamisch. Es geht um alternative Antriebe, um ADAS, um die Digitalisierung bis hin zum softwarebasierten Truck. Wie ist Knorr-Bremse aufgestellt?
Wir sind ein präferierter Partner bei der Umsetzung der EU-Richtlinie GSR II zum Beispiel mit dem Blind Spot Information System und dem Moving Off Information System, das vor der möglichen Kollision mit Fußgängern und Radfahrern beim Anfahren warnt. Mit Knorr-Bremse ADAS Fusion Front haben wir ein neues ADAS-System präsentiert, das mit der Fusion von Frontkamera und -radar Informationen komplexer Verkehrssituationen und relevanter Objekte detektiert. Es beinhaltet unter anderem den Fußgänger detektierenden Notbremsassistenten sowie den Spurhalteassistenten und bildet auch die gesetzlich vorgeschriebenen Funktionen des Notbremsassistenten und des Spurhaltewarnsystems ab. Ein entscheidender Vorteil unseres Notbremsassistenten sind dabei die verbesserten Detektionsraten bei vergleichsweise geringen Fehlwarnraten. In Kombination wird hierdurch die Fahrerakzeptanz erhöht, das manuelle Abschalten verhindert und somit durchgehend für mehr Sicherheit gesorgt.
Mit Blick auf das hochautomatisierte Fahren entwickeln wir unsere Redundanzlösungen konsequent zur Marktreife weiter. Wir besitzen das nötige Know-how und die Fähigkeiten, um Redundanzsysteme für Bremse, Lenkung und Energieversorgung zu realisieren und unsere Kunden damit für SAE-Level 4 zu befähigen. Bereits heute können wir bei Lkw der SAE-Level 2 bis 4 für hohe Systemverfügbarkeit und Sicherheit im Fahrbetrieb sorgen.
„Wir bieten OEMs und Flottenbetreibern neue, digital optimierte Produkte und Dienstleistungen sowie innovative Geschäftsmodelle.“
Im Digitalisierungsbereich bieten wir OEMs und Flottenbetreibern neue beziehungsweise digital optimierte Produkte und Dienstleistungen sowie innovative Geschäftsmodelle. Zu den Neuheiten zählt Knorr-Bremse Diagnostics. Die Lösung basiert auf der Benutzeroberfläche und dem Workflow-Konzept der von Cojali entwickelten Mehrmarken-Nutzfahrzeug-Diagnosesoftware Jaltest. Sie bietet exklusiven Zugang zu Diagnosefunktionen und technischen Dokumentationen für Knorr-Bremse-Produkte. Neben der Werkstattdiagnose treiben wir das Angebot im Bereich Fern-Diagnose und vorausschauende Wartung in Zusammenarbeit mit Cojali voran.
Es wird in der Branche viel über die Lade- und Wasserstoff-Infrastruktur sowie über Kaufanreize gesprochen, um die CO2-Flottengrenzwerte der EU für schwere Nfz bis 2040 (- 90 Prozent für neu zugelassene Fahrzeuge) zu erreichen. Immerhin muss bis 2030 (gegenüber 2020) eine Reduktion um 45 Prozent realisiert werden. Wie kann man das schaffen?
Wir unterstützen die OEMs bei der technologieoffenen Entwicklung maximal effizienter und emissionsreduzierter Nutzfahrzeuge mit unserem gesamten Produktportfolio. Zero Emission kann über mehrere Wege erreicht werden: durch elektrische Antriebe mit Batterien oder mit Brennstoffzellen, oder auch durch einen Verbrennungsmotor, der mit alternativen Kraftstoffen funktioniert. Alle Konzepte verlangen erhebliche Eingriffe in die Infrastruktur, die Betankungssysteme, die Art, wie wir Trucks auf Raststätten versorgen, damit genügend Zeit für Nachfüllen, Nachtanken oder Nachladen bleibt. Hier wünsche ich mir einen wesentlich engeren Schulterschluss zwischen Gesetzgebung und Industrie, um schneller konkrete Anforderungen mit Blick auf die Technologien von morgen festzulegen.
„Ich wünsche mir einen wesentlich engeren Schulterschluss zwischen Gesetzgebung und Industrie, um schneller konkrete Anforderungen mit Blick auf die Technologien von morgen festzulegen.“
Bernd Spies – Zur Person
Bernd Spies ist seit März 2022 Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG und verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge. Zuvor war Spies seit 2013 Mitglied der Geschäftsführung und seit 2014 Vorsitzender der Geschäftsführung der Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH. Davor hatte Bernd Spies führende Positionen bei Hella und der Robert Bosch GmbH inne.
Auch der Nachwuchskräfte- beziehungsweise Personalmangel (Mechatroniker(innen), Lkw-Fahrer(innen)) war auf der IAA und der Automechanika ein großes Thema. Die Technik entwickelt sich rasant, der Personalmarkt hängt hinterher. Woran liegt es und wie lässt sich aktiv gegensteuern?
Talent-Shortage ist für uns auch ein sehr wichtiges Thema. Hier verfolgen wir unterschiedliche Ansätze, um gegenzusteuern. Im Bereich Werkstätten versuchen wir zum Beispiel die Einstiegshürde für die Verwendung der Werkstatt-Tools zu reduzieren, gerade was die Nutzerführung betrifft. Ferner sind wir aktives Mitglied bei Talents4AA, einem Verein zur Talentförderung im Aftermarket. Hinsichtlich des Fahrermangels lässt sich ergänzen, dass automatisierte Abläufe entlang der Lieferkette Fahrer entlasten und dazu beitragen können, das Tätigkeitsfeld angenehmer und noch attraktiver zu gestalten.
Mit der Marke ‚TruckServices‘ adressiert Knorr-Bremse den Nfz-Aftermarket, also die Werkstätten, den Teilehandel und die Flottenbetreiber. Auf den Internetseiten ist von einer deutlichen Erweiterung des Portfolios die Rede. Was ist neu?
Wir erweitern unser Portfolio kontinuierlich gemäß der technologischen Weiterentwicklung unserer Kernprodukte. Knorr-Bremse TruckServices arbeitet getreu unseres neuen Mottos „Future Ready Aftermarket. Products & Services for today. Solutions for tomorrow.“ mit unterschiedlichen Initiativen als Partner und Vermittler in der gesamten Wertschöpfungskette an seinem holistischen Ecosystem. Ein Beispiel ist das neue Werkstatt-Buchungssystem PleaseFix, das Flotten- und Werkstattkunden bei der Planung, Buchung und Verfolgung von Reparaturen und Wartungsvorgängen unterstützt. Neu ist auch ein Werkstatt-Benchmarkingsystem in Kooperation mit dem Unternehmen WESP, das Nfz-Werkstätten ermöglicht Umsatz- und Prozesseffizienzsteigerungs-Potentiale zu identifizieren. Wir haben ferner ein überarbeitetes Händler- und Werkstattkonzept, einen europaweiten Reparatur-Service für elektronische Steuergeräte mit dem ESB REMAN-Programm sowie smarte Servicekonzepte für das iTEBS X, das Global Scalable Air Treatment und den Flügelzellenkompressor vorgestellt. Neu ist auch unser Active-Pad-Release-System (APR), eine Retrofit-Lösung für pneumatische Scheibenbremsen von Knorr-Bremse, dass die Bremsbeläge schneller von der Bremsscheibe löst und so für geringere Kraftstoffkosten und eine CO2-Reduzierung sorgt.
Sie haben sich zum Ziel gesetzt am Markt das beste Altteileprogramm (aufbereitete Teile) anzubieten. Sie möchten in dem Bereich weiter wachsen?
Ja, wir wollen das Remanufacturing-Portfolio kontinuierlich ausbauen – mit einer klaren Roadmap für den Independent-Aftermarket und entwickeln gleichzeitig neue für die Kreislaufwirtschaft optimierte Produkte. Mit EconX haben wir eine Marke für industriell aufgearbeitete Produkte geschaffen, mit denen auch ältere Nutzfahrzeuge sicher und effizient auf der Straße bleiben.
Knorr-Bremse TruckServices bietet auch zahlreiche Spezialwerkzeuge an. Woher kommen die Impulse und wer setzt die Werkzeuge um?
Wir bieten zahlreiche Spezial- und Hilfswerkzeuge zur schnellen und sicheren Reparatur beziehungsweise Wartung an. So wird sichergestellt, dass jedes Nutzfahrzeug so schnell wie die möglich und in einwandfreiem Zustand wieder einsatzbereit ist. Denn in den Werkstätten spielt das richtige Arbeitsgerät eine zentrale Rolle. Diese Spezialwerkzeuge werden in enger Kooperation mit renommierten Herstellern von Spezialwerkzeugen entwickelt. Ergänzt wird das Sortiment um Hilfswerkzeuge, die den Arbeitsalltag einfacher gestalten.
Herr Spies, am Ende (in der Rubrik ‚Köpfe‘ ist es bereits schöne Tradition), noch zwei persönliche Fragen: Über was haben Sie sich kürzlich am meisten geärgert, über was haben Sie sich am meisten gefreut?
So leicht bringt mich nichts aus der Ruhe. Sehr gefreut habe ich mich über das riesige Besucheraufkommen an unseren IAA- und Automechanika-Messeständen und das positive Kundenfeedback zu unseren Auftritten, Produkt-Präsentationen und Zukunftsvisionen. Das ist ein schöner Lohn für unsere Arbeit.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4-2024 der Krafthand-Truck.