KRAFT-Schluss?! Lkw-Kupplungen, Technik und Service
Die Kupplung sorgt für den Kraftschluss zwischen Motor und Getriebe und überträgt das Drehmoment. Letztendlich ausschlaggebend für die Kraftübertragung sind die Reibpartner – also die Kupplungsscheibe(n) und die Druckplatte(n). Dabei ist das Gesamtsystem ‚Kupplung‘ viel komplexer und diversen Störfaktoren wie ständigen Lastwechseln, motorbedingten Vibrationen oder unterschiedlichen Systemtemperaturen ausgesetzt. Dämpferfunktionen sind beispielsweise im Zweimassenschwungrad (Reisebusse) und in der Mitnehmerscheibe integriert. Im Lkw-Bereich müssen zudem dauerhaft Drehmomente bis zu 3.500 Nm und mehr übertragen werden. Alle Kupplungen sind im Übrigen so konstruiert, dass sie bei der Überschreitung des Drehmoment- oder Drehzahllimits, zum Beispiel bei Problemen seitens des Motors/Getriebes, abscheren oder bersten.
Auf die richtigen Teile kommt es an
Sämtliche rotierende Kupplungselemente unterliegen dem Trägheitsprinzip. Diese Trägheit wird – entsprechende Abstimmung der Kupplungskomponenten vorausgesetzt – auch als Vorteil genutzt, um einen Teil der Motordrehinstabilität zu absorbieren. „Deshalb ist es von zentraler Wichtigkeit, dass geeignete Ersatzteile, beziehungsweise genau auf das Fahrzeug abgestimmte Kupplungskits bei der Reparatur der Lkw-Kupplung verwendet werden. Im Ergebnis spielt auch der Komfort eine Rolle. Hochwertige Kupplungskomponenten sorgen für sanfte Gangwechsel und ein ebenso sanftes Anfahren. Letztendlich schützt eine hochwertige Kupplung den ganzen Antriebsstrang vor vorzeitigem Verschleiß oder Beschädigung“, so Michael Wendt, Technischer Trainer bei Valeo Service Deutschland.
Gezogen oder gedrückt?
Zu den Hauptkomponenten von Kupplungen gehören die Kupplungsscheibe, die Druckplatte, das Schwungrad und das Ausrücksystem. Bei Lkw-Kupplungen unterscheidet man die gezogene und die gedrückte (Ein- oder Zweischeiben-)Kupplung. Der Anpressdruck der Druckplatte beträgt zwischen 25.000 und 45.000N (4.500 kg). Deshalb benötigt man zum Aus-/Einrücken der Kupplung eine etwa einhundertfache Verstärkung. Dies bewerkstelligt meist ein hydropneumatischer Nehmerzylinder. „Die Vorteile von gezogenen Kupplungen sind der höhere Anpressdruck bei gleicher Durchmesserabdeckung, die niedrigere Pedalkraft, weniger Verschleiß an den Hebelpunkten sowie kompaktere Abmessungen“, so Wendt.
Kraftübertragung und Wärme
Die Kupplung überträgt die Antriebsenergie des Motors von der Kurbelwelle an das Getriebe. In der Praxis gelingt das nicht zu einhundert Prozent. Es kommt auf den Reibungskoeffizienten der Reibpartner an. Je nach Qualität der Oberflächen des Schwungrades und der Druckplatte sowie des Reibbelags selbst, liegt der Reibungskoeffizient (µ) zwischen 0,23 und 0,50. Dabei bedeutet ein optimaler Kraftschluss ohne Schlupf µ = 1 (Reibkraft = Normalkraft). Wo also Rotationsenergie und Reibung im Spiel sind, entsteht zwangsläufig Wärme. Die Aufgabe der Kupplung besteht also zusätzlich darin, diese Wärme über die Schwungradkomponenten abzuführen. Der kritischste Moment ist dabei das Ein- und Auskuppeln. Ein vorzeitiger Ausfall erfolgt meist durch übermäßige Beanspruchung von Kupplung und Ausrücksystem.
Dämpfungsfunktion, Schwingungstilgung
Der Dämpfungsfunktion der Kupplung kommt eine zentrale Aufgabe zu. Die Leistung moderner Motoren steigt, das maximale Drehmoment liegt bereits bei rund 1.100 Umdrehungen pro Minute an. Die entstehenden Vibrationen werden durch die Torsionsdämpfer in der Mitnehmerscheibe absorbiert, ein zusätzlicher Vordämpfer sorgt für die Schwingungsdämpfung im Leerlauf. „Eine falsche Mitnehmerscheibe kann Schwingungen erzeugen und sogar die Ursache für Getriebeschäden sein. Der Nfz-Profi sollte also stets auf die korrekten Bauteile achten“, erklärt Wendt.
In den meisten Pkw hingegen sorgt ein Zweimassenschwungrad (ZMS) für die Schwingungsdämpfung. Das ZMS ist bereits in Reisebussen zu finden, steigert den Komfort und schützt den Antriebsstrang. Neue Dämpfertechnologien wie zum Beispiel der TH-Dämpfer von Valeo, sind zusätzlich in die Mitnehmerscheibe integriert und dämpfen ebenfalls die Vibrationen effektiv. Zum Einsatz kommt der TH-Dämpfer beispielsweise bei Euro-6-Fahrzeugen von Scania.
Druckplatte, Schwungrad inklusive Pilot- und Ausrücklager
Die Druckplatte ist mit dem Schwungrad, das als zusätzliche Trägheitsmasse und zur Zentrierung der Kupplung dient, fest verschraubt. Die Druckplatte presst die Kupplungsscheibe mittels Tellerfeder gegen das Schwungrad. Betätigt wird die Kupplung über das Ausrücklager, dass auf einem Führungsrohr in der Getriebeglocke axial verschiebbar ist. Zur Info: Hier gibt es unterschiedliche Ausführungen!
Beim Einkuppeln wird die Kupplungsscheibe quasi zwischen Schwungrad und Druckplatte ‚verpresst‘ und sorgt für die Kraftübertragung. Das Ausrücklager ist je nach Kupplungsart (gedrückt oder gezogen) entsprechend ausgelegt und wird über Aus-/Einrückgabeln durch einen Geber- oder Nehmerzylinder oder einen hydraulischen Zentralausrücker, betätigt.
Die Betätigung der Kupplung kann auch über einen Aktuator erfolgen. Er vereint den Geber- und Nehmerzylinder und wird mittels Stellmotor bewegt. Das Pilotlager sorgt für die Zentrierung der Getriebeeingangswelle am Schwungrad. Es erlaubt unterschiedliche Drehzahlen bei der Unterbrechung des Kraftflusses, beziehungsweise beim Auskuppeln. Ist es verschlissen und wird nicht ersetzt kommt es zu einem schlechten Kupplungsverhalten.
Bei modernen halbautomatisierten Getrieben, zum Beispiel dem Getriebe des Mercedes-Benz Actros Euro-6, kommen heute selbst-nachstellende (Verschleiß-ausgleichende) Kupplungsdruckplatten zum Einsatz. Die sogenannte SAT (Self-Adjusting-Technology) von Valeo ist problemlos ohne Spezialwerkzeuge zu verbauen. Andere Kupplungshersteller benötigen laut Michael Wendt dazu spezielle Tools.
Kupplungsbeläge
Moderne Kupplungsbeläge werden auf einen Träger genietet und verfügen über einen hohen Reibungskoeffizienten und trotzdem über eine gute Verschleißfestigkeit. Zudem kommen im Materialmix (beispielsweise bei F830-Belägen) keine Schwermetalle, Aramidfasern oder organische Lösungsmittel zum Einsatz. Valeo Service Deutschland bietet auf alle seine Kupplungssätze eine zwei Jahres Gewährleistung ohne Kilometerbegrenzung an.
Lebensdauer, Schäden
Die Lebensdauer von Lkw-Kupplungen variiert stark und hängt vom Einsatzzweck des Lkw, der Fahrweise und der Beanspruchung ab. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass eine Lkw-Kupplung auf der Langstrecke bis zu 600.000 Kilometer halten kann, im Verteilerverkehr rund 250.000, bei Müllfahrzeugen sind es aufgrund des permanenten Stop+Go-Einsatzes im Schnitt 30.000 Kilometer.
Zu den häufigsten Schäden an Lkw-Kupplungen gehören beispielsweise beschädigte Tangentialfedern der Druckplatte, ein beschädigtes Ausrücksystem, defekte Simmerringe und Führungslager. Hinzu kommen verschlissene Kupplungsscheiben aufgrund von Fehlern im Kupplungssystem, von Ölauftrag oder Überlastung. Häufige Fehlerquellen beim Service sind eine unsachgemäße und unsaubere Montage oder falsche Bauteile. „Valeo Service Deutschland bietet eine Vielzahl von Kupplungssätzen für fast jeden Lkw an. Zudem sind sie nach OE-Kriterien gefertigt“, so Wendt. Die Sätze beinhalten alle relevanten Ersatzteile, die für den Kupplungsservice notwendig sind. Zudem wurde Valeo kürzlich von Frost & Sullivan mit dem Innovation Award 2022 für den Truck-Clutch-Kit-Finder ausgezeichnet. Das Tool erleichtert das Auffinden des richtigen Kupplungssatzes.
Praxistipps (Beispiele)
• Die Getriebeeingangswelle sowie die Nabe der Mitnehmerscheibe sollten im Rahmen des Kupplungswechsels an der Verzahnung und der Nabe (geringe Menge) gefettet werden um Rostbildung, Schaltabbrüche und Fehlermeldungen zu vermeiden. Achtung: Dabei ist stets auf den korrekten Schmierstoff zu achten (zum Beispiel BR2+ von Molykote oder LM47 von Liqui Moly).
• Bei der Montage der Druckplatte sind die Einbauvorgaben (Drehmomente, Anzugsreihenfolge) einzuhalten, da sich sonst die Druckplatte verziehen kann und ein einwandfreies Kuppeln nicht möglich ist. Eventuell vorhandene Klammern, die der Druckplatte eine gewisse Vorspannung geben, sind erst nach der Montage zu entfernen!
• Beim Wechseln des Ausrücklagers ist auf die korrekte Version und die Einbauposition zu achten!
• Valeo empfiehlt die Druckplatte mit der lösbaren Ausrücklageraufnahme in eine bestimmte Position zu bringen, um die korrekte Endposition des Lagers zu erreichen. Der Einrastvorgang sollte alle 90° wiederholt werden (dazu den Motor mit geeignetem Werkzeug drehen).
Valeo und Valeo Service Deutschland
Valeo hat in Deutschland rund 8.800 Mitarbeiter an 24 Standorten und betreibt acht Forschungs- und Entwicklungszentren. Zu den Kernkompetenzen des Unternehmens gehören Komfort- und Fahrerassistenz-, Antriebs- und thermische Systeme sowie die Fahrzeugbeleuchtung. Neben den unterschiedlichen Geschäftsbereichen kommt die Aftermarket-Sparte Valeo Service Deutschland in Ratingen hinzu. Im Bereich Nfz-Erstausrüstung zählen Sensoren und Aktoren für ADAS, Heizungs-, Klima- und Kupplungssysteme, Zweimassenschwungräder, Scheinwerfer/Rücklichter, Ladeluftkühler, Lichtmaschinen, Lenkstockhalter, Fensterheber sowie Wischer- und Wischermotoren (SWF) zum Portfolio. Ein Großteil dieser Produkte ist auch im Aftermarkt verfügbar. Valeo Service Deutschland bietet zusätzlich umfangreiche technische Schulungen an und veröffentlicht entsprechende Video-Tutorials. Weitere Informationen sind unter www.valeoservice.de zu finden.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1-2023 der Krafthand-Truck.