Korrosionsknacker
Hitze als Lösungsmittel
Festgebackene Schraubverbindungen, ‚rostverschweißte‘ Haltebolzen, festkorrodierte Rohrverbindungen, schwergängige Gelenke, verklebte Pass- und Schraubverbindungen, ein- oder aufgeschrumpfte Lager und Zahnräder, verbogene Aufnahmen von Zusatzgeräten oder krumme und verzogene Fahrzeugrahmen – die Liste mit den täglichen Herausforderungen eines Nutzfahrzeug-Profis ließe sich noch ange fortsetzen. Solche hartnäckigen Fälle erfordern allerdings nicht nur das Geschick des Fachmanns, sondern häufig auch den gezielten Einsatz von Wärme. Doch der klassische Schweißbrenner kann bei modernen Nutzfahrzeugen gefährlich für Mann und Material sein, zudem ist sein Einsatz aus den vorgenannten Gründen zunehmend zeitaufwendig. „Geht es darüber hinaus auch noch eng her oder handelt s sich um eine Schraube in einem Sackloch, dann ist mit der offenen Flamme meist sowieso nichts auszurichten“, weiß Thomas Vauderwange, Geschäftsführer von Vauquadrat (www.vauquadrat.com). Das Offenbacher Unternehmen vertreibt seit 2009 die Induktionsheizgeräte von ‚Alesco‘ in Deutschland. „Denn spätestens seit der Erfindung der Induktionsherdplatte weiß man, dass sich Hitze auch elektromagnetisch – und damit flammenlos – erzeugen lässt. Und zwar genau dort, wo sie gebraucht wird: etwa im Inneren einer festgefressenen Schraube oder eines festkorrodierten Bolzens“, so der ausgebildete Schweißfachingenieur. Eine ‚werkstattgerechte Abwandlung‘ der Induktionskochplatte ist demnach also der Induktionserhitzer, im Fachjargon auch Induktionsheizer, Induktionsheizgerät oder Induktionserwärmer genannt. In der metallverarbeitenden Industrie und im Fahrzeugbau sind diese Geräte mittlerweile weit verbreitet – und wegen Ihrer Vorteile halten sie zunehmend auch in Nutzfahrzeug-Werkstätten Einzug.
Simple Handhabung
Die Handhabung eines Induktionsheizers ist simpel, wie die Vorführung bei den Dachauer Nutzfahrzeug-Spezialisten zeigt: Mit dem Handstück des Heizgeräts, dem Induktor, erwärmt der Mechaniker den Kopf der Stoßdämpferbefestigungsschraube an zwei bis drei Stellen mehrfach in Sekundenschnelle bis zur Rotglut und lässt die Wärme so quasi ‚in das Material hineinziehen‘. Anschließend darf das ‚Problemkind‘ etwas abkühlen, bevor er sie schließlich nahezu ohne Kraftaufwand mit der Ratsche herausschraubt. Der Trick dabei ist, das erwärmte Befestigungsteil nicht zu lösen, solange es noch glüht, sondern erst, nachdem es abgekühlt ist. Hintergrund: Beim Erwärmen mit dem Induktionserhitzer dehnt sich das direkt erwärmte Bauteil nämlich viel schneller aus als dessen Umgebung, wodurch der Rost in den Gewindegängen regelrecht zerquetscht und ‚pulverisiert‘ wird. Nach dem Abkühlen schrumpft das Teil wieder und die Verbindung lässt sich ohne großen Kraftaufwand lösen. Dieser schnelle und gezielte Wärmeeintrag ist einer der wesentlichen Vorteile, die ein Induktionsheizer gegenüber dem altgedienten Schweißbrenner bietet. Außerdem sind durch den kurzzeitigen und definierten Wärmeeintrag eine schädliche Gefügeveränderung oder ein Härteverlust des erwärmten Bauteils so gut wie ausgeschlossen, was sich bei einer offenen Flamme jedoch vielfach nicht vermeiden lässt. Zudem lässt sich der lösende Wärmeeffekt mit dem Induktionsheizer bei deutlich geringeren Temperaturen erreichen. Auch ein Oberflächenangriff, wie er bei einer offenen Flamme kaum zu vermeiden ist, ist bei Induktionswärme nicht zu befürchten. „Denn während die Autogenflamme des Schweißbrenners das Metall nicht selten auf mehr als 3.000 °C erhitzt, reicht beim Induktionserwärmen in den meisten Anwendungsfällen eine Temperatur von 500 bis 600 °C aus“, erklärt Vauderwange. Vorsicht sei allerdings bei gehärteten Schrauben geboten: Diese sollte man unbedingt ersetzen, denn wenn man diese über +250 °C erhitzt, verändern sich durch sogenannte Anlass-Effekte die Härteeigenschaften des Materials.
Erst vergleichen, dann kaufen
Gegenüber früheren, meist klaviergroßen Geräten der ersten Stunde sind aktuelle Modelle deutlich kompakter und mobiler. Selbst als Handheldgerät sind diese ‚hitzigen‘ Problemlöser mittlerweile bei diversen Werkstattausrüstern für ‚kleines Geld‘ erhältlich. Wobei man fairerweise sagen muss, dass sich letztere aufgrund ihrer geringen Leistung und ihrer Arbeitsfrequenz nur für einfachere Arbeiten beziehungsweise kleine Gewinde- und Bauteildurchmesser eignen. Wer darüber nachdenkt, sich einen Induktionsheizer anzuschaffen, sollte sich also umfassend beraten lassen und genau vergleichen. Denn Induktion ist nicht gleich Induktion. Laut Dirk Hochschwender, Geschäftsführer beim Sinsheim-Hilsbacher Schweißtechnikspezialisten Cebotech (www.cebotech.de), kommt es nämlich nicht nur auf die elektrische Leistung des Transformators in Kilowatt an, sondern vor allem uf die erzielbare Wirk- und Eindringtiefe. Diese hängt dem Schweißtechnikfachmann zufolge wesentlich von der Arbeitsfrequenz des Trafos ab, der die Induktionswirkung erzeugt. Demnach gilt die Faustformel: ‚Je geringer die Arbeitsfrequenz, desto größer die Tiefenwirkung‘. Höherfrequente Geräte mit nominell geringerer Leistung brächten das Metall zwar auch vergleichsweise schnell zum Glühen, doch meist bei deutlich geringerer Eindringtiefe. Zudem verlangten solche Geräte häufig auch speziell geformte Induktoren, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen. Darüber hinaus empfiehlt Hochschwender für den harten und rauen Einsatz flüssigkeitsgekühlte Geräte, bei denen auch der Induktor über eine aktiv gekühlte Spitze verfügen sollte, um eine möglichst lange Einsatzdauer zu gewährleisten.
Probieren geht über studieren
Bereut hat Thomas Schneider seine Anschaffung bislang nach eigenem Bekunden noch nicht, zumal sie von seinen Mechanikern gut angenommen werde. „Die finden immer wieder neue Einsatzmöglichkeiten für den Induktionsheizer. Kürzlich haben sie einem Kunden die außenliegende Sonnenblende gerettet, die mit Stahlschrauben in Aluminium verschraubt und deshalb entsprechend festgegammelt war. Unser Mechaniker hat kurz mit dem Handstück des Induktionsheizers draufgehalten und die Schrauben ließen sich problemlos rausdrehen. So haben wir dem erstaunten Kunden eine Menge Geld gespart“, berichtet Schneider. Zudem gelte im Hause Schneider für besonders aussichtslose Fälle die Devise „Ausprobieren – mehr kaputt geht nicht“. Dem Einsatzspektrum sind demnach keine Grenzen gesetzt, denn nicht nur korrodiertem Metall geht es mit der punktgenau einsetzbaren Induktionswärme ‚an den Kragen‘. Mit Spezialaufsätzen für den Induktor lassen sich auch alter, harter Unterbodenschutz, Aufkleber, Spachtelmasse und Lack meist beschädigungsfrei und ohne beißenden Qualm entfernen. Mit entsprechender Übung sollen sich an Stahlund Aluminiumblechen auch Dellen, „Frösche“ und Schweißverzug ohne aufwendige Demontagearbeiten beseitigen lassen. Auch bei der Demontage und Montage von Lagern und Lagersitzen sollen Induktionsheizer punkten können. Und dies ohne ‚Kollateralschäden‘, wie man sie vom Schweißbrenner oder dem Werkstattföhn her kennt, denn der Wärmeeintrag ist auf ein sehr kleines Areal begrenzt – angesichts immer knapperer Bauräume, armdicker Kabelstränge sowie zahlreichen Kraftstoff-, Harnstoff- und Luftleitungen aus Kunststoff ein nicht zu verachtendes Argument.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4/18 der Krafthand-Truck.
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