Korrekt geschmiert? Warum der Einsatz des richtigen Radlagerfetts eine wichtige Rolle spielt
Speziell Radlager sind in Lkw hohen Belastungen ausgesetzt. Zudem müssen Sie auch bei höheren Temperaturen funktionieren. Um die Funktion dauerhaft aufrechtzuerhalten, kommen spezielle Fette zum Einsatz. Wir haben bei Samuel Braun, Produktmanager Heavy Commercial Vehicles bei Schaeffler Automotive Aftermarket nachgefragt, was moderne Lagerfette leisten müssen.
Herr Braun, warum benötige ich spezielle Fette für die Schmierung von Radlagern bei Lkw?
Die Fette müssen zahlreiche Anforderungen für Kegelrollenlager im Lkw-Einsatz erfüllen. Als Radlagerspezialist liegt unser Know-how darin, diese Anforderungen genau zu kennen und abprüfen zu können. Dafür bilden wir in vielen Untersuchungen die Realität nach und testen systematisch, ob ein Fett die Anforderungen erfüllt. Wir reden dabei nicht von Laborprüfungen, sondern ganzen Prüfständen. Die von Schaeffler eingesetzten und geschützten Radlagerfette sind keine gezielten Spezialentwicklungen, aber dank unserer Prüfungen können wir sie als optimal für Lkw-Radlageranwendungen einstufen.
Welche Eigenschaften, neben der Schmierung selbst, müssen die Fette aufweisen?
Neben der reinen Schmierung für Reibungsminderung und Verschleißschutz müssen Lkw-Radlagerfette eine gute mechanische Stabilität bieten, um die geforderten Laufzeiten erzielen zu können. Mechanische Stabilität bedeutet in diesem Kontext eine Widerstandskraft auf molekularer Ebene, die der Zerstörung der Molekülstrukturen durch die hohen Wälzkräfte der Kegelrollen entgegenwirkt. Hinzu kommen Randbedingungen wie unterschiedliche Temperaturen, insbesondere die hohe Bremswärme am gesamten Rad und ein noch akzeptables Verhalten im Tieftemperaturanlauf in kälteren Ländern, wie beispielsweise in Skandinavien. Ein guter Korrosionsschutz aller metallischen Lagerkomponenten durch das Fett ist ebenfalls unverzichtbar.
Aus welchen Materialien besteht ein modernes Lagerfett?
Lkw-Radlagerfette unterscheiden sich grundsätzlich nicht von anderen Fetten: die Zusammensetzung besteht üblicherweise etwa aus 80 Prozent Grundöl, 15-20 Prozent Verdicker und 0-5 Prozent Additiven. Mineralöle werden oft als Grundöle eingesetzt und Metall- oder Metallkomplexseifen kommen als Verdicker zum Einsatz. Grundsätzlich sind auch andere Kombinationen denkbar, aber eine andere Zusammensetzung würde die Fette und damit auch die Radlager deutlich verteuern. Eine entscheidende Rolle spielen die Additive: Hier liegen die Geheimnisse von Fettherstellern und Lkw-Radlagerspezialisten. Die Additive bestimmen die Erfüllung der genannten Eigenschaften maßgeblich. Nicht nur die Zusammensetzung eines Fettes bestimmt die Eigenschaften und die Leistung, sondern auch der Herstellungsprozess. Es ist wie beim Kuchenbacken: Hier sind ebenfalls die Zutaten wichtig, aber auch die Reihenfolge, wie sie in welchen Mengen zu verwenden sind.
Was passiert metallurgisch, mechanisch bei der Schmierung von Radlagern?
Das ist eine sehr komplexe Frage, dessen Beantwortung diesen Rahmen aufgrund der zahlreichen Vorgänge sprengen würde. Vereinfacht gesagt läuft es so ab: Das gesamte Fett zirkuliert bei Bewegung der Radlager und die Wälzkräfte der Kegelrollen pressen das Öl zur Schmierung aus dem Fett. Weiterhin finden Vorgänge auf molekularer Ebene an der Grenze zwischen Fett und metallischen Komponenten statt, beispielsweise der Aufbau spezieller Schichten zum Korrosionsschutz oder der Verschleißminderung. Teilweise konkurrieren diese Vorgänge an den gleichen Stellen miteinander oder haben Wechselwirkungen. Hier ist die Forschung noch an ihren Grenzen und liefert keine weiteren Erkenntnisse, warum das so ist. Für uns ein Beleg dafür, dass für die Fettanwendung die Anwendungsanforderungen und deren Prüfungen entscheidend sind.
Sind Lagerfette mit anderen Fetten kompatibel?
Hier kommt es stark darauf an, wie ‚kompatibel‘ definiert wird. Basierend auf den Erfahrungen mit unseren Kunden unterscheiden wir zwei Fälle. Zum einen die Frage, welche Auswirkungen ein ‚Nachschmieren‘ mit einem anderen Fett als dem im Lager befindlichen hat. Hiervon raten wir ab und mahnen zur größten Vorsicht, denn die Auswirkungen sind von den konkreten Fetten und vom Mischungsverhältnis stark abhängig und quasi nicht vorhersagbar, sondern lediglich möglich abzutesten. Im anderen Fall geht es darum, ob ein Fett durch ein anderes Fett ersetzt werden kann. Auch hier ist durch die Verteilung des Fettes im Radlager selbst bei einer Reinigung kein einhundertprozentiger Ersatz möglich, weil stets Reste des alten Fettes im Lager verbleiben. Dies ist jedoch weniger als kritische Mischung, sondern eher als Verunreinigung des neuen Fettes anzusehen. Diese ist in der Regel unbedenklich und potentiell kritische Fälle können von Spezialisten durch die Sichtung der beiden Fettspezifika nahezu ausgeschlossen werden.
Wir bei Schaeffler raten dazu, nur hochwertige Fette zu nutzen, da nur diese auf ihre Eignung für spezielle Anwendungen geprüft sind und so frühzeitige Radlagerschäden vermieden werden können. Entsprechend eigenen sich unter anderem die vorgefetteten, abgedichteten und vormontieren Radlagerreparaturlösungen aus unserem Hause.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4/2021 der Krafthand-Truck.