Intelligenter Service statt Pannendienst
Nur ein Lkw der läuft, ist rentabel. Werkstattaufenthalte sollten deshalb auf ein Mindestmaß reduziert werden und bei Bedarf so kurz wie möglich ausfallen. Plötzliche Pannen und vermeidbare ‚Liegenbleiber‘ gehören zu den ‚No-Go’s‘ in der Transportbranche. Die ‚Uptime‘, also die Einsatzfähigkeit und Verfügbarkeit eines Nutzfahrzeugs, möglichst hoch zu halten, gehört daher zu den wichtigsten Herausforderungen der Fahrzeughersteller. Themen wie die vorausschauende und bedarfsgerechte Wartung, die Ferndiagnose und die Vermeidung von Fahrzeugausfällen gewinnen deshalb immer mehr an Bedeutung.
Starres kontra flexibles Wartungssystem
Ein Nutzfahrzeug, unabhängig von der Antriebsart, das ohne jegliche Wartung auskommt, wird es auch in Zukunft nicht geben. Seit es einen professionellen Nutzfahrzeugservice gibt, machen sich Experten darüber Gedanken, mit welchen Maßnahmen sich eine optimale Einsatzfähigkeit gewährleisten lässt und was Werkstätten tun müssen, damit die Fahrzeuge ihrer Kunden pannenfrei unterwegs sind.
Lange Zeit arbeiteten Werkstattfachleute dazu fahrzeug- und einsatzspezifisch modifizierte, starre Wartungslisten ab. Obwohl es bei Verschleißkomponenten schon immer klare KO-Kriterien, etwa eine Mindestdicke bei Bremsbelägen und -scheiben, gab, lag dennoch vieles im Ermessen des Werkstattfachmanns. Nicht immer lag er mit seiner Einschätzung richtig. Dies führte zu außerplanmäßigen Werkstattaufenthalten oder provozierte gar eine Panne unterwegs. Die Kehrseite der Medaille: Vermeintlich zu früh getauschte Verschleißkomponenten führten immer wieder zu heftigen Diskussionen zwischen Flottenbetreibern und der betreuenden Werkstatt.
Mit der Zunahme intelligenter Sensoren hielten schließlich flexible Wartungssysteme Einzug ins Servicegeschäft. Die Sensorik erfasst im Fahrbetrieb kontinuierlich Daten und liefert sie an den Bordrechner, welcher die Restlaufzeit verschleißbehafteter Komponenten errechnet. Das Ziel lautet, Bauteile und Betriebsmittel möglichst bis zur jeweiligen Verschleißgrenze zu nutzen.
Bedarfsgerechte, vorausschauende Wartung
Seit rund zehn Jahren beschäftigen sich die Serviceverantwortlichen bei allen namhaften Nutzfahrzeugbauern mit Computer- und seit neuestem auch KI-unterstützten Wartungs- und Reparatursystemen. Das Ziel ist, die Uptime sowohl der ziehenden als auch der gezogenen Einheit maximal zu erhöhen. Dabei haben die Verantwortlichen stets die Gesamtbetriebskosten (TCO) des Fahrzeugs über die Nutzungsdauer, im Blick. Das Prinzip der vorausschauenden Wartung (Predictive-Maintenance‘) ist dabei ebenso simpel wie logisch, aber auch komplex. Daten werden in Echtzeit gesammelt und mit weiteren Quellen verknüpft, beispielsweise mit Erfahrungsdatenbanken, Pannenstatistiken und Nutzungsmustern. Mit Hilfe entsprechender Algorithmen und unter Einbeziehung von Künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich so Muster und Trends erkennen, welche frühzeitig auf einen anstehenden Wartungsbedarf, auf drohende Fahrzeugprobleme oder einen sich anbahnenden ‚Liegenbleiber‘ hinweisen.
Zu den Pionieren der vorausschauenden Wartung zählen Volvo Trucks und Mercedes-Benz Trucks, doch auch der Rest der ‚Big Seven‘ zieht längst nach. Die Systeme sind unterschiedlich weit entwickelt, wobei die meisten Fahrzeugzustandsdaten und Fehlercodes auslesen und übermitteln können. Die genaue Vorhersage von Problemen hängt im Wesentlichen davon ab, wie weit die Leistungs- und Lernfähigkeit des maschinellen Lernens des jeweiligen Wartungsmanagement-Systems ausgeprägt ist. Neben den OEMs treiben vor allem auch zahlreiche Zulieferer und Start-Ups die Weiterentwicklung dieser Technologie voran.
Lösungen für den freien Markt
Auch im freien Reparaturmarkt beschäftigt man sich mit vorausschauender Wartung. Der italienische Nutzfahrzeugdiagnose-Spezialisten Texa hält beispielsweise mit ‚eTruck‘ eine herstellerunabhängige und mehrmarkentaugliche Lösung vor. Bei der Entwicklung stand nach eigenem Bekunden nicht nur die bloße Ferndiagnose im Fokus. Vielmehr wollte Texa speziell auch Fuhrparkmanagern und Truckern einen Mehrwert bieten und so alle drei Parteien – Werkstatt, Fahrzeugbesitzer und Fahrer – zusammenbringen.
Beim ‚eTruck‘ handelt es sich im Prinzip um einen OBD-Dongle, wie er in den unterschiedlichsten Ausprägungen auch für Pkw-Fahrer zu haben ist. Allerdings haben Flottenverantwortliche ganz andere Prämissen als Privatpersonen, weshalb das ‚eTruck‘ als professionelle B2B-Lösung konzipiert ist, zu der es ergänzend spezielle Apps sowie eigene Softwareplattformen für Werkstätten und Fuhrparkmanager sowie eine eigene Fahrer-App gibt. Die Installation und Konfiguration erfolgt in der Partnerwerkstatt des Fuhrparkbetreibers.
Das etwa streichholzschachtelgroße Tool wird einfach in die OBD-Steckdose gesteckt und agiert anschließend als Bindeglied zwischen Nutzfahrzeug und Werkstatt sowie dem Fuhrparkmanager und Fahrer. Dank des smarten Dongles können die Werkstatt und der Fuhrparkverantwortliche den aktuellen Fahrzeugzustand jederzeit aus der Ferne überwachen. Je nach individueller Einstellung lassen sich anhand entsprechender Parameter aus den verschiedenen Fahrzeugsteuergeräten demnächst fällige Wartungen frühzeitig und im Voraus planen – und so zeitig passende Termine für die Werkstattaufenthalte abstimmen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch der Nutzfahrzeug-Systemspezialist Knorr-Bremse mit seinem spanischen Partnerunternehmen Cojali. Mit der Flottenmanagementlösung ‚Jaltest Telematics‘ von Cojali bietet man zusammen mit der Remotefunktion des Jaltest-Diagnosesystems eine Kombination aus stationärer Diagnose und Ferndiagnose. Mit der Lösung sollen Flottenbetreiber den Zustand bestimmter Bauteile und ganzer Fahrzeugsysteme sowohl stationär in Nfz-Werkstätten als auch während der Fahrt prüfen können. Die daraus gewonnenen Daten ermöglichen neue digitale Möglichkeiten wie eine vorausschauende Wartung und weitere digitale Services mit dem Ziel, die Verfügbarkeit von Fahrzeugflotten weiter zu steigern. „Wir benützen Modelle Künstlicher Intelligenz um mögliche Störungen zu erkennen, bevor sie auftreten, und um Wartungsfenster in Übereinstimmung mit der Nutzungsdauer der einzelnen Komponenten festzulegen“, ist auf der entsprechenden Webseite zu lesen.
Funktionsweise
Auch wenn die verschiedenen Wartungs- und Ferndiagnose-Systeme der Hersteller und des freien Reparaturmarkts unterschiedliche Reifegrade aufweisen, funktionieren sie ähnlich. Dank der intelligent vernetzten Sensoren – je nach Ausstattung über 200! – erkennen die Systeme frühzeitig Ereignisse, welche schließlich zu Einschränkungen im Fahrbetrieb führen können. Die Daten gelangen via Mobilfunk auf die Rechner in der Serviceabteilung des jeweiligen Herstellers. Aus einzelnen Fehlercodes und ihrer KI-gestützten Interpretation, verknüpft mit zusätzlichen CAN-Messwerten und weiteren Eingangsgrößen, bilden die Systeme daraus komplexe Regeln. Dabei können sie freilich nur auf Schäden und Störungen reagieren, welche sich über die Sensoren oder Algorithmen direkt erfassen lassen. Defekte oder Verschleiß an rein mechanischen Bauteilen lassen sich damit nur eingeschränkt respektive indirekt erkennen.
Hinzu kommt, dass nicht jeder Fehler zwangsläufig auch zu einer Meldung führt. Ein Wartungssystem entbindet den Fahrer zudem nicht von der Verantwortung, Meldungen im Fahrzeugdisplay zu beachten und vorgeschriebene Prüfungen (zum Beispiel die Abfahrts- oder Füllstands-Kontrolle etc.) regelmäßig selbst durchzuführen. Überdies können diese Systeme, obwohl sie permanent weiterentwickelt und verbessert werden, nicht garantieren, dass es nicht doch noch unvorhersehbare, plötzliche Reparaturen oder Pannen gibt.
Was kann geprüft werden?
Zu den Systemen die mit entsprechender Sensorik, Software und KI geprüft werden können gehören unter anderem Komponenten des Antriebsstrangs, die Druckluft-, Abgas- und Bremsanlage, Reifen & Räder oder die Beleuchtung. Wartungsmanagementsysteme bewerten Ereignisse wie:
- Abweichungen von Sollwerten: Ladedruck, Öldruck, Füllstände unter- oder überschritten (Kühlmittel, Motoröl),
- Fehlercodes, die auf Abweichungen der Sollfunktion hinweisen, beispielsweise „Zeitüberwachungsfehler Zylinder“, „Abgasrückführrate zu gering“ oder „Verbrennungsaussetzer“,
- Funktionsstörung der Blinkleuchten, Kurzschlüsse oder Unterbrechungen in Kabelsträngen,
- unplausible Messwerte bei Drehzahlsensoren oder des Bremsdrucks, ungleicher Bremsverschleiß an einer Achse,
- das Erreichen von Verschleißgrenzen oder fällige Wartungen und lösen entsprechende Hinweise aus.
Darüber hinaus gibt es mittlerweile auch Ansätze, kritische Zustände der gezogenen Einheit zu erfassen, soweit deren technische Ausstattung dafür vorbereitet ist. Dafür muss der technische Aufbau des Trailers die ISO 11992 erfüllen, was bei aktuellen Modellen üblicherweise der Fall ist. Das Wartungsmanagementsystem ‚Uptime‘ von Mercedes-Benz beispielsweise überprüft bei Anhängern und Aufliegern den Bremsverschleiß, die Dichtheit des Druckluftkreises, Fehler des Trailer-Bremssystems (Warnungen) oder die Reifen und Ventile (Leckagen, Reifenluftdruck und RDKS-Sensoren). Auch die Trailer-Hersteller und Komponentenzulieferer bieten entsprechende Systeme.
Software-Updates via Mobilfunk
Softwarefehler können ebenso zu Werkstattaufenthalten und Pannen führen, wie Defekte an mechanischen Komponenten. Damit dies nicht passiert, verbessern die Softwareentwickler die Produkte permanent und beseitigen etwaige Fehler mit dem nächsten Update.
Für den Spediteur lassen sich unrentable Standzeiten für Software-Updates mittlerweile auf ein Minimum reduzieren, da sie vielfach ‚Over-the-Air‘ (OTA), also via Mobilfunk und vielfach ohne, dass es der Fahrer bemerkt oder dazu stehenbleiben muss, ablaufen. Größere Fehlerkorrekturen und Verbesserungsaktionen werden aufgrund der großen Datenmengen (und mit Blick auf die Übertragungs- und Funktionssicherheit) vermutlich auch die nächste Zeit noch von den Herstellern autorisierte Servicebetriebe stationär bei einem Werkstattaufenthalt erledigen. Interessant ist zudem die Möglichkeit, dass sich mit OTA gewisse technische Probleme, etwa ein in den Notlauf geratener Motor, lösen lassen, ohne dass der Lkw dazu in die Werkstatt oder ein Pannendienst ausrücken muss.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4-2023 der Krafthand-Truck.