Herausforderung Lkw-Ladeinfrastruktur – Schaffen wir das?
Die Nutzfahrzeugbranche steht vor dem größten Wandel in Ihrer Geschichte. Es geht darum die hochgesteckten Klimaziele zu erreichen und die Dekarbonisierung der Lkw-Flotten voranzutreiben. Ein Weg dorthin ist die Elektrifizierung der Fahrzeuge. Die etablierten OEM und zahlreiche neue Unternehmen am Markt bieten bereits batterieelektrische Lkw (BEV) in unterschiedlichen Leistungsklassen und Reichweiten an. Doch eine Frage bleibt: Wie sieht es mit der notwendigen Ladeinfrastruktur in Europa aus? Wir haben mit Alexander Krug, Partner bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little über die Herausforderungen und die Lösungsansätze gesprochen.
Herr Krug, laut Ihrer Prognose benötigt bis 2030 die stark wachsende E-Lkw-Flotte in Europa (+67 Prozent zu 2022, zirka 562.000 Fahrzeuge) rund ein Drittel der Ladeenergie des gesamten Straßenverkehrssektors (139 TWh). Sie sprechen in Ihrer jüngsten Analyse von rund 45 TWh. Kommen wir da mit dem Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur überhaupt hinterher?
Der Aufbau ist tatsächlich ambitioniert aber grundsätzlich machbar. Im Truck-Bereich wird voraussichtlich weniger der Aufbau der Ladehardware vor Ort ein Problem sein als die dahinterliegende Netzinfrastruktur. Die Netzkapazitäten stellen einen entscheidenden Flaschenhals dar, denn es gilt: Leistungsbedarfe für 2030 beziehungsweise 2040 müssen bereits heute bei den Verteilnetzbetreibern angemeldet werden, damit diese in die künftigen Netzplanungen aufgenommen werden können. Handlungsbedarf zur Erreichung der Zielvorgaben ist somit gegeben und muss bereits jetzt adressiert werden. Häufig wird der Planungsaufwand unterschätzt.
„Die Netzkapazitäten stellen einen entscheidenden Flaschenhals dar. Leistungsbedarfe für 2030 beziehungsweise 2040 müssen bereits heute bei den Verteilnetzbetreibern angemeldet werden.“
Sie erwarten für den Nutzfahrzeugbereich unterschiedliche Ladeszenarien. Welche sind das und welche Anforderungen ergeben sich daraus?
In der Tat sehen wir hier vier verschiedene Kategorien. Mit dem Depot-Charging meinen wir das Aufladen auf dem heimischen Firmengelände, vergleichbar mit dem Laden zuhause im Pkw-Bereich. Der Ladevorgang passiert größtenteils über Nacht und je nach Batteriegröße wird AC-22 oder DC 100/150 Ladehardware dafür benötigt. Für Flotten kann auch das Schnelladen interessant sein. Das Destination-Charging bezeichnet das Laden am Zielort (zum Beispiel an Logistik-Hubs, Häfen, etc.) – es zielt auf das Laden während der Be- und Entladung ab. Dabei ist die Ladegeschwindigkeit abhängig von der Dauer des Be- und Entladevorgangs, durchschnittlich kalkulieren lässt sich mit ein bis zwei Stunden beim 350 kW HPC Charger. Mit dem Public-Fast-Laden ist das Schnelladen der Batterie in der 45 Minuten Pause der Lkw-Fahrer nach den vorgeschriebenen viereinhalb Stunden gemeint. Die Batterie muss für weitere viereinhalb Stunden Fahrzeit geladen werden. Dazu werden 500 – 1.200 kW benötigt, abhängig von der Batteriegröße des Lkw. Zuletzt besteht die Möglichkeit des Public-Overnight-Ladens: Es bezeichnet das Übernachtladen am Rastplatz, an der Raststation oder am Autohof. Hier sind 100 kW im Regelfall ausreichend.
Auch die entsprechende Technik und das Know-how muss bereitstehen. Standards müssen definiert, Projekte geplant und von Experten umgesetzt werden. Hinzu kommt die nötige Hard- und Software sowie die Integration in entsprechende Telematik-Systeme. Es wird also ein neuer Markt entstehen?
Im Bereich DC-Charging wird der Trucksektor bis 2030 den Pkw-Bereich überholen, zusätzliche Softwarefunktionalitäten wie Reservierungen und Integration in das Flottenmanagementsystem sind ebenso wichtig. Es ist unumgänglich, hier eine holistische Planung zu forcieren. Deshalb ist davon auszugehen, dass hier ein lukrativer Markt entsteht.
Letztendlich müssen die Ladestation perspektivisch bis 2040 / 2050 durchgeplant werden, ansonsten drohen massive Implikationen was den Warengüterverkehr angeht. Wie sieht Ihre Prognose aus?
Absolut richtig: Im Grunde muss man bereits heute ein Zielnetz für 2040 entwerfen und die Voraussetzungen schaffen, dass dieses umgesetzt werden kann. Durch die niedrigere Nutzungsdauer und das Durchschnittsalter wird sich die Lkw-lotte viel schneller elektrifizieren als die Pkw-Flotte. Wir erwarten hier in den kommenden Jahren deutliche Entwicklungssprünge.
Am Ende hängt die industrielle Transformation hin zur Elektrifizierung der Nutzfahrzeugflotte auch von weiteren Faktoren ab. Welche sind das?
Die wichtigsten Beschleuniger sind sicher die Gesamtkosten, die Energiepreise, die Zusammenarbeit der relevanten Stakeholder und staatliche Förderungen beziehungsweise Gesetze. So gilt es auch parallel zu beobachten, was sich an der Wasserstofffront tut, da die Technologie bei ausreichend günstigsten grünem Wasserstoff eine ernstzunehmende Alternative im Langstreckenbereich darstellt. Aktuell muss es aber darum gehen, die Infrastruktur für die Elektrifizierung bereitzustellen und technologische Komponenten anzupassen. Über Softwarelösungen sprachen wir ja bereits.
„Wenn der Gesetzgeber die Prozesse nicht beschleunigt wird uns die Transformation nicht gelingen.“
Zuletzt steht eine zentrale Frage. Wo kommt der benötigte Strom her? Kommen wir mit dem Ausbau der regenerativen Energien hinterher, um ein entsprechend dichtes und leistungsfähiges Ladenetz für Nutzfahrzeuge aufzubauen?
Grundsätzlich sind genügend Flächen und Technologien vorhanden, diesen Grünstrom in Europa zu erzeugen. Leider sind die Genehmigungsverfahren für viele Erzeugungsprojekte – aber vor allem auch für Netzprojekte sehr aufwendig. Wenn der Gesetzgeber diese Prozesse nicht beschleunigt wird uns die Transformation nicht gelingen.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 3-2022 der Krafthand-Truck.