Embotech: Die Zukunft des Autonomen Fahrens
Embotech ist kein Industrieunternehmen, die Firma mit Sitz in Zürich produziert auch keine Hardware, keine Sensoren oder Steuerungen. Vielmehr beschäftigt sich ein internationales Expertenteam mit der Programmierung intelligenter Software, um ein (teil-) autonomes Fahren von Fahrzeugen zu ermöglichen. Auch Industrieanwendungen und Lösungen für Logistiker gehören dazu. Embotech ging 2013 aus einem Spin-Off der ETH Zürich hervor. Heute arbeiten rund 50 Ingenieure und Softwarespezialisten für das Unternehmen. Wir haben mit Andreas Kyrtatos, CEO bei Embotech, gesprochen. Wo geht die Reise in Sachen autonomes Fahren bei Lastkraftwagen hin, was ist heute schon möglich?
Sehr geehrter Herr Kyrtatos, Embotech entwickelt Softwarelösungen wie ‚PRODRIVER‘ für das Autonome Fahren von Lkw auf Level 4. Was steckt genau dahinter?
Der Schwerpunkt unserer Software PRODRIVER liegt in der Entscheidungsoptimierung. Es ist nämlich genau dieser Teil des Software-Stacks, der über die Reaktion des Fahrzeugs entscheidet, ob der Lkw nach links oder rechts abbiegt, ob gebremst oder beschleunigt wird. All dies bedingt eine präzise Abbildung der Fahrzeugumgebung.
PRODRIVER funktioniert auf jedem beliebigen Fahrzeugtyp und trifft Entscheidungen binnen Millisekunden. Basis für die Software bildet die mathematische Optimierung auf Embedded Hardware, das heißt, wir setzen auf eine deterministische mathematische Vorgehensweise und physikalische Prozesse, welche die notwendigen Kalkulationen zirka 50 Mal pro Sekunde durchführen.
Wo liegen speziell die Herausforderungen?
Die Herausforderungen sind vielfältiger Art. Um ein Beispiel zu nennen, wenden wir uns mal der „Perception“ als einem anderen Teil des Software-Stack zu: Diese muss speziell für jede konkrete Anwendung optimiert werden, um einerseits eine hohe Systemverfügbarkeit, andererseits tragbare Kosten sicherzustellen. Zudem muss der virtuelle Fahrer lokale Regeln einhalten, welche seine volle Funktionsfähigkeit allenfalls einschränken. Man denke da etwa an Ausweichmanöver, die unter bestimmten Umständen und lokalen Voraussetzungen erlaubt sind, unter anderen eben nicht.
Wie ist der Entwicklungsstand? Gibt es bereits Versuchsfahrzeuge?
Die Software PRODRIVER ist weltweit schon in verschiedenen Anwendungen zum Einsatz gekommen, darunter beispielweise bei Leicht-Lkw im Bergbau oder in Automobilfabriken beziehungsweise auf Werksgeländen, wo die Fahrzeuge vom Ende der Fertigungslinie autonom zu den Logistikzentren gefahren werden. Letztere Anwendung startet in Q3 2022 in die Serienproduktion. Schon seit 2020 sammelt unser Team für Nutzfahrzeug-Automatisierung Flottenerfahrung in einem Logistikzentrum in Germersheim. Seit Februar dieses Jahres haben wir auch mit der Produktion des ersten ZF-Embotech Lkws begonnen.
ZF kooperiert mit Embotech
Jüngst gab der Technologiekonzern ZF Friedrichshafen eine Kooperation mit Embotech bekannt. Hintergrund der Zusammenarbeit sind skalierbare und zuverlässige Lösungen für vielfältige Anwendungen im Bereich Transport-as-a-Service (TaaS), beispielsweise auf abgesperrten Arealen wie Betriebshöfen. Ein weiteres gemeinsames Projekt ist ein intelligenter und vorausschauender Geschwindigkeitsassistent, der den Verkehrsfluss, Straßenschilder sowie topografische Bedingungen berücksichtigen soll. Mit der Software von Embotech können Fahrzeuge letztendlich selbstständige Entscheidungen treffen. Das Know-how kombiniert ZF mit der Kompetenz in Sachen Sensoren, Aktoren sowie elektronischer Steuerungen für selbstfahrende Nutzfahrzeuge der Stufe 4, einschließlich der Technologieplattform ADOPT (Autonomous-Driving-Open-Platform-Technology).
Ihr Fokus liegt also auf dem Vollautomatisierten Fahren?
Ja, unser Unternehmen legt seinen Fokus auf die Entwicklung und den Einsatz automatisierter Fahrsysteme, nicht auf Fahrerassistenzsysteme (ADAS). Für Lkw haben wir mit dem Zertifizierungsprozess für unsere virtuelle Level 4 Fahrersoftware PRODRIVER angefangen und zwar auf Privatgelände wie Betriebshöfen und Werksgeländen.
Problemfelder des autonomen Fahrens sind einerseits die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer, andererseits die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie die Haftungsfrage bei Unfällen. Wird es dazu in Zukunft einheitliche Lösungen geben?
Zunächst einmal wird es noch einige Jahre dauern, bis das rechtliche Umfeld rund um das autonome Fahren einen gewissen Reifegrad erreicht hat und somit Teil unseres Alltags darstellen wird. Langsam aber sicher wird das Thema von den Zertifizierungsbehörden wie dem deutschen TÜV ernst genommen. Sie bauen mehr und mehr Expertise auf, damit sie die ihnen vorgelegten Sicherheitsnachweise entsprechend beurteilen können. Bei Embotech arbeiten wir intensiv mit dem TÜV Rheinland zusammen, um unser System in Anwendungen wie Betriebshöfen zertifizieren zu lassen. Der Zertifizierungsprozess beinhaltet eine sehr ausführliche Gefahren- und Risikoanalyse, die speziell darauf ausgerichtet ist, die Sicherheit nicht-motorisierter, das heißt ungeschützter Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Fahrradfahrer und auch anderer Fahrer zu gewährleisten.
Wie wird sich das Autonome Fahren im Nutzfahrzeugbereich in Zukunft entwickeln? Geben Sie uns bitte einen kurzen Ausblick.
Wir gehen davon aus, dass sich der Markt in drei Segmente untergliedern wird: Fernverkehr-Lkw, Direktlieferungen (last-mile-deliveries) sowie die Automatisierung auf Betriebsgelände. Die Anforderungen für jedes dieser autonomen Systeme unterscheiden sich stark voneinander. Aber letztendlich wird es notwendig sein, dass die Systeme alle kompatibel sind und miteinander kommunizieren können.
Bei Embotech konzentrieren wir uns auf Betriebsgelände, weil wir damit unsere effiziente und sichere Lösung schon heute in den Einsatz bringen können, ohne auf die Freigabe in Hinblick auf öffentliche Straßen angewiesen zu sein. Durch die Transportautomatisierung auf Betriebsgelände ermöglichen wir einen lückenlosen autonomen Warentransport, von der Laderampe der Fertigungshalle bis hin zur Einfahrt des Geländes, zum Beispiel durch Trailer-Yards. Ab dort wird dann entweder ein Fernlaster oder ein Fahrzeug für last-mile-delivery übernehmen.
„Letztendlich ist es eine Frage der Zeit, bis autonome Lkw für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen werden“, erklärt Andreas Kyrtatos.
Kunden, die den Verkehr auf Ihrem Firmengelände automatisieren möchten, können in Zukunft auf verschiedene Alternativen zugreifen. Neben autonomen Lkws bieten sich auch Autonome Mobile Roboter (AMRs) oder automatisierte Landfahrzeuge an. Autonome Lkw haben jedoch den Vorteil, dass sie mit Sondergenehmigungen wie etwa vom TÜV, über kurze Strecken auch öffentliche Straßen befahren dürfen. Letztendlich ist aber nur noch eine Frage der Zeit, bis autonome Lastwagen dann in ein paar Jahren gänzlich für den öffentlichen Verkehr zugelassen werden.
Autonomes Fahren – Die fünf Stufen:
- Level 1: Assistiert (Fahrer führt Längs-/Quersteuerung durch)
- Level 2: Teilautomatisiert (Fahrer überwacht Fahraufgabe/Fahrumfeld permanent, System übernimmt Längs-/Querführung in definiertem Anwendungsfall)
- Level 3: Hochautomatisiert (Fahrer überwacht Fahraufgabe nicht, muss aber permanent eingreifen können, System übernimmt Längs-/Querführung in definiertem Anwendungsfall, erkennt Leistungsgrenzen und fordert Fahrer in ausreichendem Zeitraum auf zu übernehmen)
- Level 4: Vollautomatisiert (Im definierten Anwendungsfall ist kein Eingreifen des Fahrers notwendig)
- Level 5: Autonom (Das System übernimmt die komplette Fahraufgabe)
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1/2022 der Krafthand-Truck.