Zweistufiger Abgasturbolader an einem MAN
Zweistufiger Abgasturbolader an einem MAN 6,9 l 250 kW/340 PS (D0836LF). Bilder: BTS GmbH
BTS Turbo

Eigenschaften und Ausfallursachen von Lkw-Turboladern

Turbolader für Nutzfahrzeuge sind gegenüber Pkw-Ladern grundsätzlich für höhere Laufleistungen ausgelegt. Aufgrund der Abgas- und Luftansaugmengen sind Lkw-Turbos auch deutlich größer dimensioniert, sprich der Durchmesser von Verdichter- und Turbinenrad ist größer, die Läuferwelle, Radial-, wie auch die Axiallager (inklusive Spaltmaße) ebenfalls. „Wir sprechen von Ölspalte bei Pkw zwischen 20 und 30 μm, bei Nutzfahrzeugen sind es zwischen 25 und 40 μm“, so Thomas Mentil Technik-Experte bei der Weilheimer BTS GmbH. Die Drehzahlen sind durch die Umfangsgeschwindigkeit des Verdichterrades begrenzt. Umso größer der Durchmesser des Verdichterrades ist, umso geringer die maximale Drehzahl der Läuferwelle.

Pkw-Lader erreichen laut Mentil eine Drehzahl von 320.000 rpm (zum Beispiel beim Smart) und rund 240.000 rpm bei Fahrzeugen mit Motoren mit 2.0-l-Hubraum. Lkw-Lader hingegen bringen es hingegen auf Werte von 140.000 bis 90.000 rpm. „Ältere Generationen von Turboladern wurden mit Verdichterrädern aus gegossenem Aluminium ausgerüstet, hier tritt eine Materialermüdung etwas früher ein als bei gefrästen Alu-Verdichterrädern. Bei den gefrästen Verdichterrädern ist das Material homogener. Einige Turbolader werden auch mit Verdichterrädern aus gefrästen Titanlegierungen hergestellt. Sie sind resistenter gegen Materialermüdung, kosten aber ein Mehrfaches“, erklärt Mentil. Die Ladedrücke beim Lkw, sind mit den Ladedrücken eines herkömmlichen Pkw-Laders vergleichbar. In der Regel liegen die Werte zwischen 2.200 und 2.600 mbar Absolutdruck (Atmosphärendruck + Ladedruck).

Lagerspiel

Zu den häufigsten Ausfallursachen bei Lkw-Turbolader gehört ein zu großes axiales sowie radiales Lagerspiel. Die Lagerung der Läuferwelle verschleißt, aufgrund von mangelhafter Filtration des Schmierstoffes und Materialabtrag in den Lagern, durch abrasive Stoffe im Ölkreislauf, vorzeitig. Zusätzlich verursacht überhöhter Abgasgegendruck, beispielsweise aufgrund von mangelhaften Stauklappen, das Eintreten, heißer, verunreinigender Abgase in das Lagergehäuse des Turboladers. Das Gehäuse und die Läuferwelle überhitzen, das Öl verbrennt an den Lagerflächen, Öhlkohle-Partikel wirken zusätzlich abrasiv.

Materialermüdung

Ein weiterer Grund, für den Ausfall des Turboladers ist die Materialermüdung, zum Beispiel am Verdichterrad. „Oftmals werden die Wechselintervalle des Fahrzeug-Herstellers bezogen auf den Turbolader nicht eingehalten. Jedoch machen nicht alle Lkw-Hersteller Angaben und geben Wechselempfehlungen. Linienbusse und Baustellen-Lkw beanspruchen den Turbolader mehr, er sollte demnach nach einer gewissen Laufleistung präventiv erneuert werden“, so Thomas Mentil.

Materialermüdung kann auch zum Bruch des Turbinenrads von der Läuferwelle führen. Die Ursache ist oftmals Abgaspulsation. Die Abgase aus dem AGR-Trakt ‚schwingen sich quasi auf‘ und tragen ihren Teil zum Schaden bei. Zudem kann eine schlechte Verbrennung eines einzelnen Zylinders für unrhythmische Schwingungen sorgen. Eine instabile Motorbremsklappe im Abgasrohr ‚nach Turbolader‘ führt ebenfalls zu unerwünschten Schwingungen, die zu vorzeitiger Materialermüdung führen kann.

Poröse Ladedruckschläuche

Platzt bei hoher Lastanforderung ein Laderdruckschlauch, so schießt die Drehzahl des Turboladers schlagartig um bis zu 40 Prozent nach oben. Dabei kann die Belastung auf das Material durch Fliehkräfte sogar zum Bersten des Verdichterrades führen. „Zuvor beginnt das Material jedoch zu ‚fließen‘ und das Verdichterrad verformt sich am Verdichterrad-Rücken sowie in den Wurzeln der Flügel. Es kommt zur Unwucht“, so Mentil. Ein Schaden durch Unwucht in den Radiallagern stellt sich erfahrungsgemäß die nächsten 1.000 km ein. Eine Verformung des Verdichterrades lässt sich nur durch Zerlegen des Turboladers erkennen.

Zu hoher Abgasgegendruck

Der Abgasgegendruck wird durch Baugruppen der Abgasnachbehandlung wie dem DPF oder dem SCR-Kat verursacht. Ist die Überwachung der Abgasnachbehandlung fehlerhaft oder sind notwendige, aktive Regenerationsfahrten durch den Fahrer bewusst ignoriert worden, kann es ebenfalls zu Schäden am Turbolader kommen.

VTG-Lader

Bei Turboladern mit variabler Turbinengeometrie (VTG) werden Ausfälle oftmals fehlerhaften elektrischen Aktuatoren, die der Leitschaufelverstellung dienen, zugeschrieben. Meist handelt es sich jedoch um eine schwergängige oder klemmende Verstell-Mechanik. Hinzu kommen schadhafte AGR-Ventile, die beispielsweise bei Scania-Motoren häufig übersehen werden, die abgasseitige Fremdkörper verursachen können.

Diagnose- und Einbaufehler

„Ein Lagerschaden an einem Turbolader hat immer einen Grund, das wird gerne ignoriert“, erklärt Thomas Mentil. Erst wenn es vorzeitig zu einem Wiederholungsschaden kommt, wird man aktiv. So geht einem Bruch der Läuferwelle in der Regel auch ein Lagerschaden aufgrund von Verschleiß voran. Schäden wegen Mangelschmierung sind im Nfz-Bereich laut Mentil, zumindest beim ersten Ausfall, selten. Tritt der Schaden jedoch direkt nach dem Einbau eines neuen Turboladers ein, so handelt es sich meist um einen Einbaufehler. Zusätzlich wird gerne mal auf eine neue Ölzulaufleitung verzichtet. Ölkohleablagerungen in der Leitung lösen sich jedoch gerne und verursachen einen erneuten Verschleiß in den Lagern.

Nutzfahrzeuge sind im Motorraum meist mit massiven Verunreinigungen und Korrosion belastet. Es ist für den Monteur schwer dafür zu sorgen, dass beim Einbau des Turboladers diese Verunreinigungen nicht in den Ölkreislauf des Turboladers gelangen. Das Umfeld muss entsprechend gesäubert werden, damit ein sicheres Arbeiten ermöglicht wird. Was laut Mentil hinzu kommt: „Versottene Ladeluftkühler oder schadhafte Ladedruckschläuche werden als Ursache für den Ausfall des Turboladers gerne übersehen.“

Neu oder aufbereitet?

Der Einbau eines neuen oder eines aufbereiteten Austauschladers muss einer wirtschaftlichen Überprüfung standhalten. „Für eine nachhaltige und technisch einwandfreie Aufbereitung müssen neben den Verschleißteilen auch jene Teile erneuert werden, die einem Alterungsprozess unterliegen oder an der Grenze der Materialermüdung stehen“, so Mentil. Je nach Verfügbarkeit, empfiehlt Mentil stets den Einsatz von Originalteilen. Am Ende des Tages ist die Preisdifferenz zum Neuteil ein entscheidender Faktor. „Kommt ein neuer Turbo in Frage, sollte man die Optionen prüfen und die Herstellerpreise vergleichen. Da gibt es oft große Unterschiede.“

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1-2/21 der Krafthand-Truck.