Der H2-Lkw fyuriant und die Technik dahinter
Ende Juni hat die Hamburger Clean Logistics SE den Brennstoffzellen-Truck fyuriant der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Nach dem Bus fyuron im letzten Jahr, hat das Unternehmen damit seine erste, eigenständige H2-Zugmaschine präsentiert. Krafthand-Truck hat mit Florian Brandau, Chief Technology Officer bei Clean Logistics, exklusiv über die Technik des neuen Lkw gesprochen.
Herr Brandau, mit der Unternehmenstochter von Clean Logistics, e-Cap, dessen Geschäftsführer Sie ebenfalls sind, bieten Sie seit längerem Umbauten von Bestands- und Neufahrzeugen auf Elektro- und Brennstoffzellenantrieb an. Es war also die logische Konsequenz einen eigenen H2-Truck auf die Straße zu bringen?
Die Erfahrung, die wir bei e-Cap Mobility gemacht haben, war und ist die perfekte Basis um in das Geschäft mit Bussen und Lkw einzusteigen. Man muss dazu wissen, dass ein solches Fahrzeug qualifizierte Mitarbeiter braucht, um dem Stand der Technik zu entsprechen. Diese Mitarbeiter bekommt man leider noch nicht aus Hoch- und Berufsschulen, sondern man muss sie selbst ausbilden. Genau das ist über viele Jahre bei e-Cap geschehen, sowohl im Umgang mit Hochspannung, mit Wasserstoff, als auch in Hinblick auf das notwendige Systemverständnis für solche Antriebssysteme. Die logische Konsequenz ist, dass man sich Marktsegmente sucht, in der brennstoffzellen-elektrische Antriebssysteme schnell einen großen Nutzen bringen. Und das ist ganz klar im Nutzfahrzeugbereich der Fall, also bei Lkw und Bussen.
Der chinesische Hersteller Refire, der die Brennstoffzellen-Technik liefert, ist auch Entwicklungspartner. Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?
Wir arbeiten mit allen unseren Lieferanten sehr eng zusammen, dazu gehört natürlich auch Refire. Konkret sind unsere Ingenieure in sehr regelmäßigem Austausch, um zum einen die Erfahrungen der Systeme auf Prüfständen oder im Fahrzeug auszutauschen, aber natürlich auch um bereits heute Anforderungen für kommende Produktgenerationen zu formulieren. Die Entwicklung ist dabei sehr dynamisch und es gibt sehr große Sprünge in den Bereichen Effizienz, Package und Kosten. Um diese schnelle Abfolge von Produktinnovationen in unseren Fahrzeugen einen Kundennutzen zu geben, optimieren wir unsere eigenen Systementwicklungsprozesse, um auch in kurzer Abfolge Verbesserungen auf die Straße bringen zu können. Hierbei ist ganz klar die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Dieselantrieb das Ziel, und zwar in absehbarer Zeit ohne Fördermittel. Dabei ist die Brennstoffzelle eine Kernkomponente unserer Antriebssysteme. Umso intensiver die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten ist, umso besser kann man die Komponenten einbinden und betreiben.
Die etablierten OEM benötigen Jahre um einen Brennstoffzellen-Lkw zu entwickeln. Wie gelingt Ihnen das in so kurzer Zeit. Setzen Sie auf eine vorhandene Plattform auf?
Ich denke, das muss man etwas relativieren. Es gab bereits vor vielen Jahren Nutzfahrzeuge mit brennstoffzellen-elektrischen Antrieben. Das Clean-Logistics-Geschäftsmodell ist konsequent auf Zero-Emission-Technologie ausgelegt und das ist unsere große Stärke. Wenn man 5-6 Jahre zurückblickt, zu den Anfängen der heutigen Bewegung um emissionsfreie Nutzfahrzeuge und übrigens auch zu den Anfängen von e-Cap Mobility, muss man sagen, dass sich die „Technology Readiness“, also der Reifegrad, deutlich verbessert hat. Vor sechs Jahren gab es viele Komponenten nur in der Industrietechnik oder als frühe Prototypen.
Heute sind wir in der zweiten oder gar dritten Generation von Systemen und erzielen als Industrie riesige Entwicklungssprünge bei der Funktionalität und den Kosten. Das wird den Markt auch in den kommenden Jahren noch deutlich beschleunigen. Fakt ist: Es gibt kein Zurück mehr, wir werden in Zukunft elektrisch oder brennstoffzellen-elektrisch fahren und wir als Clean-Logistics-Gruppe wollen Trends setzen und technologisch vorne mitspielen. Nicht zu vergessen ist, dass wir als Ausgangspunkt unserer schnellen Produktentwicklung ein großartiges Team von Mitarbeitern haben, die man kaum bremsen kann (und auch nicht will!).
„Es gibt kein Zurück mehr, wir werden in Zukunft elektrisch oder brennstoffzellen-elektrisch fahren.“
Welche Vorteile hat die Brennstoffzelle Prisma 12+ von Refire, eine Polymer-Elektrolyt-Brennstoffzelle (PEMFC) mit Polymer-Mebranen gegenüber anderen Brennstoffzellen, beispielsweise mit Feststoffmembranen (Solid-Oxyd-Fuel-Cell, SOFC)?
Die PEM-Technologie ist derzeit favorisiert für den mobilen Einsatz. Nicht zuletzt liegt das an der Betriebstemperatur und der Regeldynamik solcher Systeme. Eine SOFC-Brennstoffzelle arbeitet in Betriebsbereichen von 800°C, das heißt, wir hätten eine Einrichtung im Fahrzeug, die nochmal deutlich heißer wird als ein Verbrennungsmotor. Entsprechende Vorkehrungen müsste man zur Absicherung der Systeme treffen und das wiegt schwer und kostet zudem viel Geld. Traumhaft wäre natürlich, wenn man den etwas besseren Wirkungsgrad der SO-Brennstoffzelle und auch die größere Temperaturdifferenz im Kühlsystem hätte, da genau das die kniffligen Parameter der PEM-Systeme sind. Zudem ist die SOFC deutlich Träger in der Regelung auf Leistungsänderung als die PEMFC. Eine PEM-Brennstoffzelle arbeitet mit Temperaturen um die 60–90°C und ist sehr schnell auf die notwendige Leistung zu regeln. Mit den dynamischen Leistungsanforderungen im Nutzfahrzeug sind wir dadurch deutlich besser aufgestellt. Besonders hinsichtlich der Temperaturbereiche und der Effizienz sind zudem einige sehr interessante Entwicklungen in der PEM-Brennstoffzellentechnik zu beobachten.
Zur Person
Seit Januar 2022 hat Florian Brandau als CTO der Clean Logistics Gruppe die operativen Bereiche Technologie und Produktion bei sich vereint. Der gelernte und studierte Elektrotechniker ist mit seiner breiten und internationalen Erfahrung im Anlagenbau und der Nutzfahrzeugtechnik schon lange im Bereich batterie- und brennstoffzellenelektrischen Nutzfahrzeugen unterwegs und hat bereits die sehr frühen Jahre der Markteroberung durch diese Technologien begleitet.
Der Einstieg in die Nutzfahrzeugbranche erfolgte bei Brandau nach dem Studium bei der heutigen Daimler Truck AG im Bereich Antriebsentwicklung, und in Folge als Produktmanager für Mercedes-Benz Getriebetechnologie bei der US-Tochter ‚Daimler Trucks North America‘. Nach mehrjährigen Etappen im Anlagenbau in Deutschland und als Berater für Produktionsprozesse in Brasilien verantwortete er von 2015 bis Ende 2021 bei dem deutschen Entwicklungsdienstleister IAV das Center of Excellence für Nutzfahrzeugelektrifizierung.
Der fyuriant verfügt gleich über zwei PEM-Brennstoffzellen (2x120 kW). Werden die Systeme von Refire als Komplettsystem, inklusive Luftverdichter, Filter, Kühlsystem, Leistungselektronik etc. geliefert?
Wir beziehen komplette Brennstoffzellensysteme von unseren Lieferanten, im Falle des fyuriant von Refire. Diese beinhalten neben dem eigentlichen Brennstoffzellen-Stack, dem Reaktionsraum, auch die Gesamtsystemkomponenten wie zum Beispiel die gesamte Luftführung, Befeuchter und Verdichter als auch die Leistungselektronik. Unsere Schnittstellen sind die Wasserstoffversorgung aus dem seitens Clean Logistics entwickelten H2-Tanksystem heraus, wo auch verschiedene Filterstufen implementiert sind, um Fremdkörper im System zu vermeiden. Auch das Kühlsystem ist unsere Aufgabe und wird speziell für die Anwendung im Lkw entwickelt. Brennstoffzellen sind die Energiewandler, das Nutzfahrzeug- und das Anwendungswissen bringen wir seitens der Clean Logistics Gruppe ein.
„Es ist höchste Zeit mal ‚Out of the Box‘ zu denken.“
Interessant ist auch der Antrieb, der über zwei Radnabenmotoren an der Hinterachse dargestellt wird. Es ist eine Eigenentwicklung.
Jetzt kommen wir zur eigentlichen ‚Secret-Sauce‘ unserer Entwicklung und genau in diesem Punkt denken wir, dass es höchste Zeit ist mal ‚Out of the Box‘ zu denken. Wenn sie den Markt beobachten, gibt es sehr viele Dieselmotor-Replacement-Konzepte, in denen das Fahrzeugkonzept möglichst wenig verändert wird, um auch konventionelle Technik in der gleichen Fahrzeugbasis zu verwenden. Die Pkw-Industrie hat bereits den Schwenk hin zu BEV-only-Plattformen gemacht und wir sind uns sicher, dass dies auch im Nutzfahrzeug geschieht. Aus diesem Grund verwenden wir Rad-Direktantriebe oder umgangssprachlich „Radnabenmotoren“. Die Achse als Komplettsystem ist eine Clean Logistics Eigenentwicklung und soll als solches auch Drittkunden am Markt zugänglich gemacht werden.
Wo liegen die Vorteile der Radnabenmotoren? Bisher sind E-Achsen mit ein oder zwei zentral angeordneten Motoren, die teils auch die Bremsanlage integrieren, üblich.
Es handelt sich hierbei um Außenläufermotoren, das heißt, es dreht sich ausschließlich der äußere Teil des Motors, an dem Felge und Reifen befestigt sind. Das Einzige bewegte mechanische Teil in unseren Antrieben sind die Lager der Motoren. Es gibt keine Zahnräder und dadurch auch keine Verluste in mechanischen Komponenten. Zu beachten ist bei elektrischen Fahrzeugen, dass die Verlustketten sowohl beim Antreiben als auch beim Rekuperieren, also beim Bremsen, entscheidend sind. Durch eine höhere Effizienz im Gesamtsystem können wir deutlich mehr Rekuperationsenergie in den Batterien speichern. Durch den Einsatz dieser Technologie können wir in einem festgelegten Einsatzspektrum sehr effizient und annähernd wartungsfrei ein komplettes Lkw-Leben mit unseren Antrieben durchlaufen. Dies gilt zudem auch für die Bremsscheiben. Durch die Möglichkeit fast die gesamte Bewegungsenergie zu rekuperieren, also wieder im System zu speichern, wird die herkömmliche Bremsanlage kaum beansprucht.
Sie haben auch selbst konfektionierte Li-Ion-Batteriepacks an Bord. Wird die elektrische Energie der Brennstoffzelle zwischengespeichert und erst dann an die Radnabenmotoren abgegeben?
Der ideale Pfad für die Energie ist immer der direkte Weg zum Verbraucher. Das heißt, unser Energiemanagement ist darauf ausgelegt, dass die Brennstoffzelle die aktuell benötigte elektrische Leistung erzeugt. Die Batterien nutzen wir für Spitzenbedarfe beim Anfahren und an Steigungen und zudem als Energiespeicher für rückgewonnene Bremsenergie. Das Energiemanagement als Gehirn unseres Steuerungssystems ist somit eines der wichtigsten Elemente für einen wirtschaftlichen Betrieb des Fahrzeugs.
Die Speicherung des Wasserstoffs erfolgt gasförmig bei 350 bar in sogenannten Typ 3/4 Tanks. Wieviel Wasserstoff können sie ‚tanken‘ und wie sieht es mit der Reichweite aus?
Unsere Typ 3 beziehungsweise Typ 4 Tanks speichern über 40 kg Wasserstoff bei 350 bar. Das bringt fyuriant mit einer Tankfüllung komplett ohne Emissionen von Hamburg nach Frankfurt/Main oder gut 500 km weit.
Herr Brandau, Sie möchten mit Clean Logistics die Produktionsanlagen am Standort Winsen (Luhe) mit einer neuen, 10.000 Quadratmeter großen Produktionshalle, erweitern. Ist die Nachfrage bereits so groß?
Wir haben, nicht zuletzt durch unsere Weltpremiere, eine enorme Nachfrage und gehen davon aus, dass diese sich in den kommenden Monaten nochmal deutlich steigert, sobald die ersten Fahrzeuge in Kundenhand sind. Wir freuen uns auf die Möglichkeiten in unserer neuen Fertigung.
Last but not least: Wie sieht es mit dem Vertrieb, dem Service und der Wartung des fyuriant aus. Bauen Sie ein eigenes Werkstatt-Partnernetzwerk auf? (Dies setzt natürlich auch entsprechende Qualifikationen voraus.)
Da sprechen sie eines der wichtigsten Themen an. Wir sind derzeit in Verhandlung mit größeren Autohausketten mit Nutzfahrzeugerfahrung und werden dort gezielt durch unsere eigenen Mitarbeiter das Werkstattpersonal schulen. Wie bereits oben vermerkt, können wir nicht davon ausgehen, dass qualifizierte Mitarbeiter einfach so vom Himmel fallen. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe in der Branche und noch viel mehr für Pioniere wie uns. Das schöne ist, das Interesse an einer Zusammenarbeit ist sehr groß und wir rennen mit unserer Idee häufig offene Türen ein.