„Der H2-ICE ist in der Umstellungsphase hin zu alternativen Antrieben eine pragmatische Lösung.“
Als einer der wesentlichen CO2-Mitverursacher steht der globale Nutzfahrzeugsektor unter erheblichem Veränderungsdruck. Umso positiver zu werten sind die zahlreichen, umfangreichen Aktivitäten von Seiten der Nfz-Hersteller und Zulieferer, was alternative Antriebstechnologien angeht. Es gilt die Emissionen zu reduzieren und zu einer besseren Luftqualität beizutragen. Die Bereitschaft zur Dekarbonisierung erstreckt sich über viele Regionen und Märkte. Jedoch stehen derzeit zentrale Themen im Mittelpunkt, auf die es noch keine Antworten gibt: Wie können diese Lösungen zeitnah kommerziell attraktiv angeboten werden? Wann wird die erforderliche Infrastruktur verfügbar sein? Wie praxistauglich sind emissionsfreie beziehungsweise emissionsarme Lösungen im Alltag? Letztendlich geht es auch um die TCO.
Eine Antwort auf diese Fragen kann eine Technologie bieten, die sich laut Jens Hüttner, Sales Director bei Cummins Deutschland, zunehmender Beliebtheit in Herstellerkreisen erfreut. Der Wasserstoffverbrennungsmotor – kurz ‚H2-ICE‘ (Hydrogen Internal-Combustion-Engine).
Wasserstoffverbrennung als emissionsfreie Lösung?
Der positive Beitrag zur Umwelt, der sich aus der Nutzung von Wasserstoff ergibt, ist laut Hüttner einer der Haupttreiber für die Weiterentwicklung der Technologie. Kommt Wasserstoff im H2-ICE zum Einsatz, produziert der Motor lokal nahezu null Emissionen. Lediglich geringfügige Mengen von NOX, die während des Verbrennungsprozesses entstehen sowie kleinste Partikelmengen, die durch die Schmierung der Kolbenringe in den Verbrennungstrakt gelangen, passieren das Abgasnachbehandlungssystem. Die Mengen sind dabei so gering, dass ein H2-ICE die strengsten Abgasvorschriften einhalten kann, darunter Euro-7 und EPA 2027.
Die Vorzüge der Verbrennungstechnologie
H2-ICE-Motoren funktionieren im Wesentlichen wie heutige Diesel- oder Gasmotoren und teilen sich den Großteil der Komponenten. Somit können Synergien zwischen den Technologien genutzt werden. „Cummins hat daher die neusten Motorengenerationen kraftstoffvariabel gestaltet, sodass ein Basismotor für unterschiedliche Kraftstoffkonfigurationen verwendet werden kann. Unterhalb des Zylinderkopfs sind die Motoren nahezu baugleich, während der Zylinderkopf je nach Kraftstofftyp variiert: Sei es Diesel, Erdgas oder Wasserstoff“, so Hüttner.
Das US-amerikanische Unternehmen konnte dank der Synergien dieser kraftstoffvariablen Motortypen und der langjährigen Erfahrung in diesem Bereich, sehr leistungsstarke H2-ICE-Motoren entwickeln. Der B6.7H (H2-ICE) erreicht beispielsweise eine Nennleistung von 216 kW (290 PS) und ein maximales Drehmoment von 1.200 Nm. Leistung, Reichweite und Tanken eines Fahrzeugs mit diesem Motor ist damit vergleichbar mit dem heutigen Diesel-Pendant. Der B6.7H kann jedoch mit kohlenstofffreiem Wasserstoff betrieben werden.
Cummins hat die neusten Motorengenerationen kraftstoffvariabel gestaltet.
Das Tanksystem
Der wesentliche Unterschied eines mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugs liegt im Kraftstofftank und dem zugehörigen Kraftstoffsystem. „Cummins hat eine eigene Geschäftseinheit, die sich mit der Entwicklung und Produktion von Kraftstoffsystemen beschäftigt und auf eine langjährige Expertise zurückgreifen kann“, so Hüttner. Zudem sei Cummins Teil eines Joint Ventures mit NPROXX, einem Hersteller von Wasserstofftanks für die Bereiche H2-Transport, H2-Tankstellen sowie mobile H2-Anwendungen. Die H2-Tanks werden bereits in Serienfahrzeugen bei Kunden wie Alstom, Wrightbus und Air Products eingesetzt.
Nutzung der Lieferketten
Ein weiterer Vorteil von H2-ICE-Motoren liegt laut Hüttner in der Nutzung der logistischen Lieferketten, die bereits für heutige Verbrennungsmotoren existieren. Fachpersonal und Prozesse könne entsprechend genutzt werden, was in der Übergangsphase zu alternativen Technologien operative Risiken minimiert. Zudem teilen sich H2-ICE-Fahrzeuge und Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV – Fuel Cell Electric Vehicle) dieselbe Wasserstoff-Tankstellen-Infrastruktur. Ein weiterer Grund, das Tankstellennetz entsprechend auszubauen.
Neue Emissionsvorschriften
Regierungen erlassen weltweit neue Richtlinien, um die Fahrzeugemissionen weiter zu reduzieren. Die EU-Abgasnorm Euro-7 reguliert die Menge der Luftschadstoffe für Lkw und Busse ab dem Jahr 2029 deutlich strenger. Die Euro-7 beinhaltet jedoch keine CO2-Vorgaben. Dafür existiert eine weitere Klimaschutzrichtlinie, die von der Europäischen Kommission erarbeitet wurde und den CO2-Ausstoß für Nutzfahrzeuge reguliert. Sie sieht eine schrittweise Reduzierung der CO2-Emissionen für neue Lkw vor, beginnend mit 45 Prozent im Jahr 2030, bis 65 Prozent im Jahr 2035 sowie 90 Prozent im Jahr 2040, basierend auf dem Referenzjahr 2019. Die Regulierung wurde erst kürzlich verabschiedet, sodass bislang lediglich ein begrenzter Anreiz bestand, intensiv an alternativen Lösungen zu arbeiten – das hat sich nun geändert.
Unzureichende Tankinfrastruktur
Aktuell ist die unzureichend ausgebaute H2-Tankstelleninfrastruktur einer der zentralen Engpässe, die den Übergang zu Wasserstofffahrzeugen erschwert. Der Aufbau des Netzwerkes kann laut Hüttner nur mit einer entsprechenden finanziellen Förderung bewerkstelligt werden. Dabei schreitet die EU voran: Die AFIR (Alternative Fuels Infrastructure Regulation) sieht vor, dass alle 150 Kilometer in Europa eine H2-Tankstelle vorhanden sein muss. Finanzierungsmittel werden von der EU bereitgestellt mit dem Ziel, eine entsprechende Logistik aufzubauen und Planungssicherheit für Hersteller und Endnutzer zu gewährleisten, sofern diese auf ein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug umstellen möchten.
Sicherheit und Kosten
„Wenn man über den Einsatz von H2-ICE für Nutzfahrzeuge spricht, muss man sich auch mit den Themen Sicherheit und Kosten beschäftigen“, so Hüttner. Sicherheit sei eines der zentralen Elemente, welches Cummins in den Mittelpunkt stellt. Sei es bei Entwicklung und Konstruktion bis hin zur Fertigung von Motoren oder Tanksystemen. Hochdrucktanks sind wesentlich robuster als konventionelle Tanks für flüssige Kraftstoffe und damit eine sichere und praktische Lösung, um Wasserstoff in einem Fahrzeug zu speichern. Zudem müssen Hochdrucktanks sehr strenge Sicherheitsstandards erfüllen und halten ein Vielfaches des nominell nutzbaren Drucks stand.
Die Kosten für (grünen) Wasserstoff sind Stand heute noch sehr hoch. „Wir erwarten jedoch eine erhebliche Preisreduzierung, sobald die Infrastruktur stufenweise aufgebaut ist und die Wasserstoffproduktion steigt. Im Vergleich aller relevanten emissionsfreien Antriebsalternativen, werden H2-ICE-Motoren voraussichtlich die geringsten Anschaffungskosten haben, da diese den bereits etablierten Diesel- und Gasmotoren stark ähneln. Der Integrationsaufwand wird auf ein Minimum reduziert, da bestehende Fahrzeugarchitekturen im Wesentlichen beibehalten werden können“, so Hüttner.
Wir benötigen jede Option
Das industrieweite Bestreben, an alternative Technologien zu forschen, bringt schon heute ein umfangreiches Portfolio an neuen Technologielösungen hervor. Vieles befindet sich noch in der Entwicklung. Jens Hüttner: „Cummins fährt dabei mehrgleisig. Einerseits werden neue, emissionsfreie Lösungen entwickelt (BEV, FCEV), andererseits ICE-basierte Lösungen weiter optimiert (Advanced Diesel, Gas, Wasserstoff) und der Einsatz alternativer Kraftstoffe ermöglicht (e-Fuels, HVO 100, Biodiesel). Dabei hat jede Lösung in der Industrie ihren Platz: Von Batterie und Brennstoffzelle, zu Biodiesel, von H2 zu HVO.“
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 2-2024 der Krafthand-Truck.