In modernen Stadt- und Reisebussen entwickelt sich das Zweimassenschwungrad (ZMS) immer mehr zum Standard. Bei Lkw indes ist die Ausstattungsquote derzeit noch vergleichsweise gering. Fehlersuche und Diagnose erfordern gewisse Detailkenntnisse und etwas mehr Erfahrung als beim Pkw. Bild: ZF Aftermarket
Das Zweimassenschwungrad bei Nfz

Beruhigungsmittel für Lkw und Busse

Das Zweimassenschwungrad (ZMS) ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Antriebsstrangs moderner Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Beim Pkw startete der Siegeszug des ZMS 1985 und erreichte schon bald auch die Transporter-Klasse. Bei schweren Nutzfahrzeugen ist das ZMS immer mehr im Kommen. Während bei Lkw die Ausstattungsquote aber vergleichsweise noch eher gering ist, gewinnt das ZMS bei Bussen immer mehr Bedeutung. Nicht zuletzt, weil Stadt- und Reisebusse – im wahrsten Sinne des Wortes – spürbar von den vielfältigen Vorteilen eines ZMS profitieren. Beispielsweise bietet es im Vergleich zu einer herkömmlichen Torsionsdämpfer-Kupplung einen deutlich höheren Geräuschkomfort und eine ausgezeichnete Schwingungsentkopplung über das gesamte Drehzahlband. Letztere wirkt sich nicht nur positiv auf den Geräuschpegel aus, sondern schont auch das Getriebe, die Kupplung und alle weiteren Komponenten des Antriebsstrangs.

Drehschwingungen runter

Die Drehmasse des Schwungrades wird in eine Primär- und eine Sekundärmasse aufgeteilt. Zwischen den beiden Massen befindet sich ein extrem leistungsfähiges Mehr- feder-Dämpfungssystem. Effektive Druckfedern mit einer mehrstufigen Kennliniengestaltung gewährleisten eine optimale Schwingungsisolation. Bild: ZF Aftermarket

Zu den Hauptaufgaben eines Zweimassenschwungrads gehört es, die beim Verbrennungsvorgang eines Hubkolbenmotors zwangsläufig entstehenden Drehungleichförmigkeiten der Kurbelwelle und des angebauten Schwungrades sowie die damit verbundenen Drehschwingungen weitgehend zu reduzieren. Zudem spart das ZMS Kraftstoff, da sich die Leerlaufdrehzahl senken und der Motor mit einem Start-/Stopp-System optimieren lässt. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass ein ZMS nicht primär auf den Motor, sondern vielmehr auf den Einsatzzweck und die Beanspruchung des betreffenden Fahrzeugs hin abgestimmt ist, denn die Belastungen im Fernverkehr sind nicht vergleichbar mit jenen bei schwerem Baustelleneinsatz.

Zweimassenschwungräder von Lkw und Bussen werden von Kupplungsspezialisten wie Sachs so ausgelegt, dass sie die Motorschwingungen nach den Vorgaben des Fahrzeugherstellers in allen Drehzahlbereichen weitgehend reduzieren. Die Diagramme zeigen das verbesserte Schwingungsverhalten beim Einsatz eines ZMS (rechts) im Vergleich zu einer Kupplungsscheibe mit Torsionsfedern. a = Schwingungen Motor, b = Schwingungen Getriebe, X = Dämpfung. Grafik: ZF Aftermarket

Klassische Verschleißkomponente

Derart starke Rostspuren sind ein sicherer Beweis für ein defektes, „austauschwürdiges“ ZMS. Bild: Archiv

Das Zweimassenschwungrad ist ein klassisches, mechanisches Bauteil, welches in Lkw und Bussen gleichermaßen hohen Belastungen ausgesetzt ist. Dadurch kann es den Nutzfahrzeugspezialisten von ZF Aftermarket zufolge im Laufe der Zeit zu Verschleiß und Materialermüdung kommen. Typische Anzeichen hierfür können unerwünschte Vibrationen, Getrieberasseln oder gar der Bruch des ZMS sein. Langanhaltende Belastungen, etwa das Fahren mit schweren Anhängern und die damit verbundenen hohen Temperaturen im Motorraum können den Fachleuten zufolge speziell bei Lkw die Materialfestigkeit des ZMS schwächen.

Aber auch eine unsachgemäße Kupplungsbedienung – abruptes Kuppeln, ruckartiges Schalten, häufiges Freischaukeln – kann ein ZMS überbeanspruchen. Verkürzend auf die Lebensdauer wirken sich außerdem Undichtigkeiten im Kupplungssystem oder Ölleckagen des Motors aus, da diese die Reibeigenschaften negativ beeinflussen können. Darüber hinaus kann eine schadhafte Kupplungsreibscheibe Defekte im ZMS-Umfeld verursachen. Die Kupplungsspezialisten von ZF Aftermarket empfehlen daher eine regelmäßige Inspektion und Wartung des gesamten Kupplungssystems, um mögliche Defekte – und damit unnötige Ausfälle und Standzeiten – zu vermeiden.

Defekt – ja oder nein?
Eigenheiten des ZMS

Ist das Gleitlager verschlissen, muss das ZMS erneuert werden. Bemerkbar macht sich ein Defekt beim Hin- und Herbewegen der Sekundärschwungmasse (= Getriebeseite) durch Schleif- und oder Kratzgeräusche. Bild: Archiv

Wie bei allen Beanstandungen am Antriebsstrang – und bei Geräuschen im Besonderen – sollte sich der Werkstattfachmann den vermeintlichen Mangel auf einer gemeinsamen Probefahrt vom Fahrer vorführen zu lassen. Vermeintlich deswegen, weil manche Geräusche bei einem Kupplungssystem mit ZMS normal sind, speziell beim Starten und Abstellen des Motors und teilweise auch beim Anfahren. Die Geräusche rühren von den ‚Innereien‘ des ZMS, etwa den Federn des Fliehkraftpendels, her und sind unbedenklich – und kein Grund zur Beanstandung. Ein deutliches (blechernes) Scheppern oder massive Schleifgeräusche dagegen lassen tatsächlich einen Defekt vermuten, insbesondere, wenn der Fahrer in diesem Zusammenhang auch noch Fahrverhaltensmängel reklamiert.

Umsteiger verunsichert

Die Praxis zeigt allerdings immer wieder, dass gerade Umsteiger von einem Lkw mit starrem Schwungrad auf ein Fahrzeug mit ZMS aufgrund der ungewohnten ‚Geräuschkulisse‘ manchmal verunsichert sind. Ein klärendes Gespräch zwischen Werkstattmeister und Fahrer kann in einem solchen Fall hilfreich sein und vorhandene Bedenken ausräumen.

Doch auch ‚ZMS-unerfahrene‘ Werkstattprofis sind bisweilen angesichts der Geräusche beim Schütteln eines ausgebauten ZMS und aufgrund des deutlich spürbaren Kippspiels zwischen Primär- und Sekundärschwungmasse irritiert. Beides ist sowohl bei neuen als auch gelaufenen Produkten hör- und spürbar und dem typischen Aufbau des ZMS geschuldet. Bei einem neuen ZMS lässt sich die Seite mit dem Reibring teils um mehrere Grad verdrehen, zudem kann das Kippspiel zwischen den beiden Schwungmassen mehrere Millimeter betragen. Beides ist ZMS-typisch.

Sichtprüfung erfordert Detailkenntnis

Eine erschöpfende Prüfung eines Nutzfahrzeug-ZMS lässt sich nur auf einem speziellen Prüfstand beim Hersteller bewerkstelligen. Allerdings kann der Werkstattfachmann eine Sichtprüfung vornehmen, welche jedoch eine gewisse Detailkenntnis erfordert. Unabhängig davon empfehlen die Nutzfahrzeugfachleute von ZF Aftermarket, bei jedem Kupplungstausch das Zweimassenschwungrad zu überprüfen. „Ist das ZMS bereits viele Kilometer gelaufen und weist Verschleißerscheinungen auf, sollten Kupplung und ZMS zusammen getauscht werden. Wurde die Kupplungsscheibe bereits zweimal ersetzt, ist ein neues ZMS obligatorisch“, konstatieren die Experten. Darüber hinaus beschreiben manche Nutzfahrzeughersteller in ihrer Serviceliteratur einfache Funktionsprüfungen, welche sich mit Werkstattmitteln erledigen lassen.

Fehlersuche und Diagnose

Verfärbte Stellen auf der Reibfläche des Sekundärschwungrads (A) sind ein klares Zeichen für ein überhitztes oder überlastetes ZMS. Dieses Phänomen tritt auf, wenn die Kupplung zu lange schleift. Es besteht die Gefahr, dass das Spezialfett innerhalb des ZMS verhärtet, was zu einem Totalausfall führen kann. Bei tiefen Rissen auf der Reibfläche (B) besteht Berstgefahr. Der Verschleiß des Axiallagers verrät sich durch einen gelblich verfärbten Bereich unterhalb der Reibfläche (Pfeil C), häufig sind im Fahrbetrieb Geräusche hörbar. Bitte tauschen! Bild: ZF Aftermarket

Für eine Fehlersuche mit Werkstattmitteln muss der Nutzfahrzeugprofi zunächst das Getriebe ausbauen, um die Kupplungsdruckplatte und die Reibscheibe abnehmen zu können. Selbstredend sind auch diese beiden Komponenten ausgebaut nach den bekannten Kriterien zu prüfen und zu beurteilen, um sicher ausschließen zu können, dass nicht sie die Ursache für die Beanstandung sind.

Der nächste Schritt ist die Überprüfung verschiedener Punkte des ZMS in eingebautem Zustand, wobei dies aufgrund der bislang noch nicht sehr weit verbreiteten Technik vom Werkstattfachmann eine gewisse Erfahrung verlangt. Prinzipiell aber gelten bei einem Nutzfahrzeug-ZMS ähnliche Kriterien bei der Sicht- und Funktionskontrolle wie bei einem Pkw-ZMS.

Die Sichtprüfung

Bei der Sichtprüfung sollte der Nutzfahrzeugprofi sein Augenmerk auf folgende Punkte legen:

• auf ungewöhnliche Öl- und/oder Fettspuren,

• auf Hot-Spots auf der Reibfläche, wobei – vergleichbar wie bei einer herkömmlichen starren Schwungscheibe – kleinere bis mittlere Flecken unbedenklich sind,

• auf Risse im Blechkörper sowie Kratzer, Riefen und Risse auf der Reibfläche,

• auf eine thermische, bläuliche Verfärbung im Anschraubbereich um das Zentrallager. Je nach Einsatzzweck und Beanspruchung des Lkw sind derartige Verfärbungen noch tolerierbar, wenn sie bis maximal 10 Millimeter an das Zentrallager heranreichen (Herstellervorgabe beachten!). Haben die bläulichen Verfärbungen das Lager erreicht, ist ein neues ZMF fällig.

Die Funktionsprüfung

Ist bei der Sichtprüfung kein erneuerungsrelevanter Schaden zu finden, steht die Funktionsprüfung an. Dabei prüft der Nutzfahrzeugfachmann das ZMS mechanisch mit dem so genannten ‚Stresstest‘. Mit diesem lassen sich der Leerweg des Torsionsdämpfers, die Gleichmäßigkeit der Federkraft, der axiale Lagerzustand und die Verschiebungen der radialen Lagerstelle ermitteln. Dazu dreht der Nfz-Profi das ZMS am Positionsstift gegen den Uhrzeigersinn, bis ein federnder Anschlag spürbar ist, und lässt dann das ZMS los. In der Endposition markiert er die Lage der sekundären zur primären Schwungmasse. Anschließend dreht er das ZMS im Uhrzeigersinn bis zum spürbaren Anschlag, lässt los und markiert auch diesmal die Rückdrehposition. Das Verdrehspiel lässt sich schließlich ermitteln, indem er die Zähnezahl zwischen den beiden Markierungen abzählt. Für die Bewertung des Verdrehspiels sind die Vorgaben des Fahrzeugherstellers ausschlaggebend.

Zum Prüfen der axialen Lagerstelle bewegt der Mechaniker das Sekundärteil des ZMS gleichmäßig innerhalb des Leerspiels hin- und her: Streift das Sekundärteil an der Primärseite und/oder sind Kratzgeräusche hörbar, ist das ZMS zu ersetzen. Um abschließend noch die Federkraft des Torsionsdämpfers beurteilen zu können, muss man das Sekundärteil des ZMS gegen die Federkraft des Torsionsdämpfers in beide Richtungen nach rechts und links verdrehen. Dabei sollte die Federkraft in beide Richtungen gleichmäßig ansteigen. Auch hier deuten Schleif- und/oder Kratzgeräusche auf ein defektes ZMS hin.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Kriterien, die den Ersatz eines ZMS erfordern:

  • starke Korrosionsbildung,
  • erhöhter Austritt des Dämpferfetts,
  • defekte Gleitlager,
  • defektes Führungslager (Zentrallager),
  • starke Riefen, Kratzer oder Risse auf dem Reibring oder dem Blechkörper,
  • Aufschmelzungen auf der Reibfläche.

Weiterdenken, statt vorschnell tauschen

„Häufig werden Vibrationen oder Geräusche während der Fahrt sowie beim Starten beziehungsweise Abstellen fehlinterpretiert und fälschlicherweise einem defekten ZMS zugesprochen“, berichten die ZMS-Experten von ZF Aftermarket. Bevor man unnötiger Weise das ZMS ausbaut, sollte man unter anderen die elektrischen Verbindungen und Massepunkte überprüfen. „Verschmutzte oder korrodierte Massekontakte, Übergangswiderstände an den elektrischen Anschlüssen im Stromkreis von Starter und Generator oder Batterieprobleme – nicht ausreichend geladen, beschädigt oder defekt – können nämlich Probleme verursachen, welche zu einem schlechten Motorstart führen, was wiederum hohe Belastungen im ZMS bewirkt“, erklären die Fachleute. Zudem sollte der Nutzfahrzeugprofi weitere Ursachen im Umfeld des Schwungrads ausschließen, etwa Fehler in der Gemisch-Aufbereitung, beispielsweise durch verkokte Einspritzelemente, da diese einen unrunden Motorlauf und Aussetzer verursachen können. Derartige Störungen lassen sich mit einem Diagnosegerät erkennen, beispielsweise durch das Prüfen der Leerlaufruheregelung oder mit einem Abgleich der Einspritzmengen.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 2-2024 der Krafthand-Truck.