Antriebswende: „Wir müssen endlich die Rahmenbedingungen verbessern!“
Die Handelsblatt-Jahrestagung Nutzfahrzeuge 2024 brachte vieles zutage: Innovationskraft, Wandlungs- und Risikobereitschaft, vor allem aber auch eindringliche Appelle an die Politik. So waren sich (fast) alle anwesenden Akteure, Referentinnen und Referenten, einig: Es fehlten die entsprechenden Rahmenbedingungen um alternative Antriebe flächendeckend auszurollen. Schließlich müsse man die EU-Klimaschutzmaßnahmen für den Straßengüterverkehr auch umsetzen können! Und die sind sportlich: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 45 Prozent, bis 2035 um 65 Prozent sowie bis 2040 um 90 Prozent (im Vergleich zu 2019) reduziert werden. Ein Drittel der Verkehrsleistung im schweren Straßengüterverkehr müsse bis 2030 elektrisch erfolgen. Letzteres ist im ‚Gesamtkonzept Klimafreundliche Nutzfahrzeuge‘ des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) nachzulesen. Bis 2050 wollen man im Straßengüterverkehr komplett CO2-frei unterwegs sein. Hehre Ziele, nur wie erreichen? Papier ist geduldig (und es wurde bereits sehr sehr viel Papier beschrieben). Quasi in Vorleistung gehen die OEM und die Zulieferer, ambitionierte Umrüster und manch Spediteur, der es sich leisten kann.
„Wir sind längst aufgestellt“
Viele dieser Schwergewichte der Hersteller- und Zulieferindustrie waren mit Repräsentanten in München vor Ort. Beeindruckend wie Unternehmen wie Daimler Truck, Bosch, BPW, DAF, Iveco, MAN, Volvo-Trucks, ZF oder Freudenberg, das Spagat zwischen der Entwicklung und Produktion ‚klassischer‘ Technologien und neuer Innovationen in Sachen BEV/FECV hinbekommen. E-Lkw und Lkw mit Brennstoffzelle, inklusive notwendiger High-Tech-Komponenten sind serienreif, werden bereits produziert und an (Test-) Kunden ausgeliefert. Und da waren ja noch die Euro-7-Grenzwerte für Lkw. Auch hier bedarf es parallel teurer Entwicklungsarbeit.
„Wir als Hersteller sind startklar für die klimaneutrale Verkehrswende. Wir setzen auf die Elektrifizierung unseres Portfolios. Wir haben aber auch kürzlich eine Kleinserie an Wasserstoff-Verbrennern, die jetzt EU-weit möglich sind, aufgelegt. In der Traton-Gruppe investieren wir bis 2026 2,6 Milliarden in nachhaltige Transportlösungen“, so Alexander Vlaskamp, CEO von MAN und Mitglied des Vorstands der Traton AG.
„In der Traton-Gruppe investieren wir bis 2026 2,6 Milliarden“, so Alexander Vlaskamp.
Stephan Unger, Vorstandsmitglied der Daimler Truck AG und CEO Financial Services ergänzt: „Wir unterstützen ganz klar das Pariser-Klimaabkommen. Wir sprechen also über Dekarbonisierung, aber auch die Digitalisierung und Vernetzung spielt eine tragende Rolle. Dabei setzen wir auf batterieelektrische Fahrzeuge und zusammen mit Cellcentric (Joint-Venture von Daimler Truck und Volvo) auf Lkw mit Brennstoffzelle. Zusätzlich investieren wir in den Wasserstoff-Verbrennungsmotor.“
„Das ganze System wird nur funktionieren, wenn die Infrastruktur passt. Wie sieht es mit dem Service aus von E-Lkw und FCEV? Empowering Future – wir brauchen allesamt eine finanzielle Stärke in den beteiligten Unternehmen“, so Stephan Unger.
Prof. Dr. Peter Laier, Mitglied des Vorstand der ZF-Group, beschreibt die Situation aus Sicht eines Zulieferers „Die größte Herausforderung sind die unterschiedlichen Antriebsarten, E-Antriebe, Lkw mit Brennstoffzelle, Diesel-, Wasserstoff- oder Gasverbrenner spielen eine Rolle. Die Anforderungen sind dabei alleine gar nicht zu meistern. Es bilden sich deshalb auch zahlreiche Partnerschaften und Ökosysteme heraus, horizontal wie vertikal. Zudem haben wir bei ZF ein weitreichendes System-Know-How zum Thema Chassis, Antrieb (Getriebe), Bremse, Fahrdynamik und Digitalisierung.“
„Wir unterstützen unsere Kunden als Systemlieferant mit einem modularen Baukasten, unabhängig von der Antriebsart“, so Prof. Dr. Laier.
Eine Wunschliste alleine reicht nicht aus!
‚Wünsch Dir was‘, so könnte das Motto der Bundesregierung lauten. Es werden Ziele ausgegeben, die praktisch alleine von Seiten der Industrie und gleich dreimal nicht von kleinen-mittelständischen Speditionen zu stemmen sind. Jüngst hat man das KsNI-Förderprogramm auslaufen lassen (eine Milliarde Euro wurde bewilligt, der Topf war rasch ausgeschöpft). Eine deutlich höhere Maut kommt jetzt auf die Speditionen zu. Es sollen diejenigen weniger bezahlen, die auf alternative Antriebe setzen. Doch erstmal entstehen höhere Kosten. Ein neuer E-Lkw kostet bis zu 600.000 Euro. Wer soll das bezahlen? Eine Wunschliste alleine reicht also nicht aus. Es bedarf neuer, intelligenter Anreizsysteme, um Investitionen in neuen Lkw (BEV/FCEV) auf Seiten der Speditionen zu fördern. In der Speditionsbranche wird ehedem längst mit spitzem Bleistift gerechnet, die Margen sind klein. Die Mehreinnahmen der Lkw-Maut müssen dringend direkt in den Ausbau der Infrastruktur und der Incentivierung der Speditionen fließen.
Voll geladen?!
Beim Hochlauf von BEC und FCEV geht es ganz zentral um die Lade- und Tankinfrastruktur. Ja, es gibt jetzt die neue EU-Verordnung zum „Aufbau von Infrastruktur für alternative Kraftstoffe“ (AFIR). Auch hier sind die Ziele hehr. Bis 2025 sollen Ladestationen für schwere Nutzfahrzeuge mit einer Ladeleistung von mindestens 350 kW alle 60 km entlang des TEN-V-Kernnetzes (Transeuropäisches Basis-Verkehrsnetz) und alle 100 km entlang dem TEN-V-Gesamtnetz (alle geplanten Verkehrsverbindungen mit Mehrwert) errichtet werden. Das Ziel ist eine vollständige Netzabdeckung bis 2030. Zudem steht geschrieben, dass bis 2030 Wasserstofftankstellen, die sowohl Personenkraftwagen als auch schwere Nutzfahrzeuge versorgen können, in allen städtischen Knoten und alle 200 km entlang des TEN-V-Kernnetzes entstehen sollen.
„Die Zukunft wird zu einem ganz erheblichen Teil elektrisch sein. Dabei ist die Brennstoffzelle eine zusätzliche Option, gerade für den Schwerlastverkehr auf der Langstrecke. Die AFIR ist zu ambitionslos und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hängen wir weit hinterher. Der Staat sollte sich auf die Infrastruktur konzentrieren“, so Hildegard Müller, bei Ihrem Auftaktvortrag im Rahmen bei der Handelsblatt-Jahrestagung Nutzfahrzeuge.
Wie sieht es aktuell mit der Energieversorgung, dem Versorgungsnetz aus, mit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren? Wer trägt die Kosten? „Henne/Ei. Nein, Es wird Zeit für ein klares politisches Commitment. Eier legen ist angezeigt!
Der Aftermarket
Einen Bereich den kaum jemand auf dem Schirm hat, ist der Nfz-Aftermarket mit den angeschlossenen Service-Werkstätten. Stephan Unger von Daimler Truck hat das Thema in seinem Vortrag angesprochen. Manch Betreiber einer (freien) Nfz-Werkstatt fragt sich demnach: „Soll ich denn zukünftig Spezialist für Verbrenner, Elektro-, Brennstoffzellen-, Wasserstoff-, Gas-, HVO-Lkw sein? Die Antwort lautet ‚Jein‘. Auch hier werden sich Unternehmer spezialisieren und ihre Nische und ihren USP finden. Die Industrie, die angeschlossenen Fachverbände und Innungen, müssen das Thema aber dringend im Blick haben! (siehe auch Beitrag: ‚Das neue Berufsbild Nfz-Mechatroniker“). Die Zukunft für das Berufsbild kann interessanter nicht sein!
Ideologiefreies Handeln
Am Ende des Tages geht es um die Einhaltung der CO2-Ziele, aber auch um Arbeitsplätze, den Wirtschaftsstandort Deutschland im Allgemeinen. Wir haben die leistungsfähigsten Unternehmen, die besten Ingenieure und Facharbeiter, Mechatroniker. Wir sollten wegkommen von einer ideologisch-geprägten Debatte und dem ewig-dogmatischen Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Antriebsarten und Kraftstoffen. Ja, wir brauchen Visionäre, aber alles zu seiner Zeit! Jetzt sollten wir das tun was technisch machbar und versorgungstechnisch sinnvoll ist. Die Industrie ist aufgestellt, der Aftermarket ist innovativ und wird nachziehen, die Speditionen brauchen Support!
„Die Nfz-Werkstätten stehen in der Startlöchern. Spannender wirds nicht!“
Mein Appell
Mein Appell an ewig Gestrige und durchaus auch an Fantasten: Technologieoffenheit bedeutet nicht, wir lassen alles so wie es ist! Technologieoffenheit bedeutet technisch sinnvolle Lösungen, die jetzt verfügbar sind, auch konsequent umzusetzen (Euro-7-Verbrenner, Biogas, HVO 100, Wasserstoffverbrenner). Nennen wir sie Verbesserungs-, Ergänzungs- oder Brückentechnologien. Batterieelektrische Antriebe sind bei Nutzfahrzeugen längst gesetzt. Brennstoffzellen-Trucks ergänzen die Antriebstechnologien im Schwerlast- und Langstreckenbereich.
Es gibt noch viel zutun, packen wir es gemeinsam an! Und im Übrigen: Die Nfz-Werkstätten stehen in der Startlöchern. Spannender wirds nicht!