Gute Perspektiven: Die Zeichen für Nfz-Werkstätten stehen auf Wachstum. Die Frachtvolumina sollen laut Bundesregierung bis 2051 um 46 Prozent ansteigen. Doch man muss an einige Themen ran! Bild: Georg Blenk
Qualität ist Mehrwert

#1 Round-Table Nfz-Aftermarket: Wo geht die Reise hin?

Kürzlich fand der erste Roundtable Nfz-Aftermarket statt, initiiert von Krafthand-Truck und der Initiative ‚Qualität ist Mehrwert‘. Am ‚virtuellen‘ Tisch saßen neben dem Autor, Florian Schlüter, Director Aftermarket Strategy & Business-Planning EMEA, bei Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge, Elmar Bauer, Leiter Netzwerkmanagement für den Bereich Nutzfahrzeuge bei ZF Aftermarket, Thomas Fischer, Vorstand AAMPACT e.V. sowie Kristiane Guth (Qualität ist Mehrwert.) Wo geht die Reise im Nutzfahrzeug-Aftermarket hin? Die Perspektiven sind vielversprechend, doch es gibt einige Herausforderungen!

Das Marktumfeld

Aktuell existieren in Deutschland rund 3.700 Nutzfahrzeugwerkstätten. In Europa sind es laut Studie ‚Aftermarket für Nutzfahrzeuge 2022‘ der Unternehmensberatung BBE insgesamt 22.200 Betriebe, die sich auf Nutzfahrzeuge spezialisiert haben. Dabei handelt es sich um 34 Prozent OES-Betriebe, 66 Prozent sind markenunabhängige Werkstätten. Die Basis der Zahlen bildet die Aftersales-Access-Database der Wolk-Aftersales-Experts GmbH. Das gesamte Umsatzvolumen des Nfz-Teilehandels betrug in Europa 7.892 Millionen Euro. Laut Studie wird für das Jahr 2023 nochmal eine Steigerung erwartet. Unterstellt man – auch aufgrund der weiter steigenden Transportvolumina und der positiven Absatzzahlen der OEM – auch mehr Werkstattaufträge, so stehen den Nfz-Werkstätten künftig goldene Zeiten bevor. Stopp – ganz so einfach ist es nicht.

Herausforderung Technik

„Die Datenunterstützung und die Weitergabe von technischem Know-how an freie Nfz-Betriebe sind für uns heute und in Zukunft Kernthemen“, so Elmar Bauer. Bild: ZF

Geht es um den Erfolg des eigenen Werkstattbetriebs ist auch in Zukunft die Technik- und Servicekompetenz ausschlaggebend. Dies gilt umso mehr, wenn man ein Mehrmarken-Konzept betreibt und zusätzlich auch das Trailer-Geschäft bedient. Hier kommt der Qualitätsbegriff ins Spiel, der sich einerseits auf die Teile- und Teileversorgung bezieht, aber auch auf das interne technische Know-how, auf die Qualität der Reparaturinformationen und der Werkstattausrüstung. „Die technische Komplexität durch mehr Mechatronik und Elektronik ist gestiegen und wird weiter steigen. Nehmen Sie beispielsweise kamera- oder radar-basierte Fahrerassistenzsysteme, perspektivisch kommen die E-Trucks hinzu“, so Florian Schlüter. „Dazu benötigen Werkstätten Systemkompetenz und Diagnosemöglichkeiten, die ZF als der führende Zulieferer im Nutzfahrzeugbereich unter seinen diversen Produktmarken anbietet“, ergänzt Elmar Bauer. Schlüter und Bauer sehen es beide als ihre Aufgabe an, die Nfz-Betriebe hier nachhaltig zu unterstützen, sei es mit ihrer Technikkompetenz oder ihrer OE-Erfahrung. Bauer bringt auch die Fahrzeugdiagnose ins Spiel: „Wir bieten bei ZF mit dem Wabco-Würth-Mehrmarkentester, ein Tool zur Diagnose von komplexen technischen Systemen an, vom Motor und dem Getriebe bis zur Bremse. Das Thema Datenunterstützung und die Weitergabe von technischem Know-how an freie Nfz-Betriebe sind für uns heute und in Zukunft ein Kernthema.“ Auch Knorr-Bremse sieht sich dahingehend gewappnet, so Florian Schlüter: „Wir wollen speziell Nfz-Mehrmarkenbetriebe unterstützen und bieten mit Jaltest Diagnostics (Cojali) ebenfalls eine umfassende Mehrmarken-Diagnoselösung an“, ergänzt Schlüter. Die Abdeckung soll bei rund 200 Nutzfahrzeugmarken und knappen 6.000 Nutzfahrzeugmodellen liegen.

 


Über die Initiative ‚Qualität ist Mehrwert‘

Bild: Qualität ist Mehrwert

‚Qualität ist Mehrwert‘ ist eine Initiative namhafter Hersteller von Automobilteilen im Automotive-Aftermarket. Ziel ist es, das Qualitätsbewusstsein bei der Fahrzeugreparatur signifikant zu steigern. Dazu werden dem Teilehandel, den Nfz- und Kfz-Werkstätten und den Autofahrern die Vorteile von Qualitätsteilen vor Augen geführt – mit Informationsmaterial, bei Veranstaltungen und auf der Website. Alle Partner, aktuelle Termine und Informationen gibt es im Internet unter: www.qualitaet-ist-mehrwert.de


 

Prozessoptimierung

“Wir geben als Knorr-Bremse TruckServices den freien Werkstattbetrieben notwendige technische Hilfsmittel und das entsprechende Know-how an die Hand“, so Florian Schlüter. Bild: Knorr-Bremse

Vor allem bei den Werkstattprozessen sehen die Diskutanten erhebliches Potenzial und vor allem dringenden Handlungsbedarf. Es geht um die Datenvernetzung und die vorausschauende Wartung. „Mit der Komplexität der Fahrzeuge steigt proportional auch die Kundenerwartung an die Services der Werkstätten. Für den Betrieb einer Werkstatt ist die Digitalisierung wiederkehrender Prozesse entscheidend. Dabei geht es darum, sie schneller, effektiver und sicherer zu gestalten. Die gesparte Zeit kann dann in die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle investiert werden, die den Erfolg auch in Zukunft sicherstellen. Warum sollte eine freie Werkstatt beispielsweise nicht auch das Monitoring und das Service-Management einer kompletten Kundenflotte anbieten können?“, so Elmar Bauer. Ein Stichwort dabei ist die Remote-Diagnose. „Bei Truck-OEMs läuft über die werkseitig installierte Telematikeinheit der Zugriff auf die Fahrzeugdaten, über Callcenter die Kommunikation. Das Fahrzeug wird der nächsten Werkstatt zugewiesen, die benötigten Teile sind bereits bestellt. Wir haben jedoch als Zulieferer auch die Power solche Systeme im Aftermarket weiter auszubauen. Mit Jaltest Diagnostics verfügen wir bereits über ein Remote-Diagnosetool. Letztendlich müssen wir den freien Werkstätten die geeigneten Instrumente an die Hand geben, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, ergänzt Schlüter.

Wir haben als Zulieferer auch die Power Systeme zur Prozessoptimierung im Aftermarket weiter auszubauen. (Florian Schlüter)

Mehrmarken-Tester und Softwareanwendung von Jaltest (Cojali). Bild: Georg Blenk

Wann kommt also welches Fahrzeug, mit welchen Fehlern rein? Hier gilt es gezielt Ineffizienzen abzubauen, da sind sich alle einig. Dies betrifft die Kommunikation mit dem Kunden, aber auch die Dokumentation, beispielsweise der Fahrzeughistorie und der Reparaturaufträge. „In der Aftermarket-Landschaft müssen wir alle neue Wege der Zusammenarbeit finden – insbesondere der digitalen Zusammenarbeit“, so Elmar Bauer. So ließe sich der tatsächliche Vorsprung, den OES-Werkstätten prozessseitig haben, abbauen. „Wenn freie Nfz-Werkstätten bereit sind mitzugehen, neue Technologien und Geschäftsmodelle zu integrieren, haben sie allerbeste Perspektiven. Hinzu kommt der Vorteil der Mehrmarken-Kompetenz und des Preismodells“, so Schlüter. „Lkw-Fahrer und Werkstätten müssen frühzeitig und umfassend über das jeweilige Fahrzeug informiert sein. Mit der Optimierung der Datenvernetzung, der Prozesse, des Flottenmanagements (Predictive-Maintenance) lassen sich auch die TCO optimieren“, so Bauer und ergänzt: „Für Flottenbetreiber hat ZF unter anderem seine digitale Flottenmanagementplattform Scalar entwickelt, die den Betrieb von Fahrzeugflotten durch KI-basierte, automatisierte Entscheidungsfindung verbessert und so für hohe Effizienz sorgt. Kombiniert mit ihrem Werkstattkonzept für den Nutzfahrzeugmarkt, ZF (pro)Service, bietet ZF Aftermarket ein umfangreiches Produktprogramm und das richtige Know-how, um die Nutzfahrzeugbetriebe zukunftsfähig zu machen. Unser Ziel ist es, ein starker Partner für flottenorientierte Nutzfahrzeugbetriebe zu sein. Denn nur durch das perfekte Zusammenspiel von Werkstatt, Handel und Teilelieferanten lassen sich die Vorteile des IAM hier voll ausspielen.“

Geeignetes Fachpersonal

ZF Scalar – Orchestrierung der Flotte: Nfz-Werkstätten werden immer mehr ins Flottenmanagement eingebunden. Schon heute können zahlreiche Fahrzeug- und Wartungsdaten (Remote-Data-Hub) abgerufen werden. Bild: ZF

Grundsätzlich befindet sich die Nfz-Werkstatt bei der Suche nach geeignetem Personal im Wettbewerb mit den OEMs und der Zulieferindustrie. Das fängt schon bei den tendenziell höheren Gehältern und anderen Benefits an. Doch lokale Nfz-Betriebe können mit einer Vielzahl anderer Vorteile punkten. So ist oftmals kein Umzug nötig, der Weg zum Arbeitgeber ist mitunter kürzer. Zudem können Arbeitszeiten individueller und auf ‚Zuruf‘ gestaltet werden, das Umfeld ist oftmals familiär geprägt, die Entscheidungswege sind kurz. “Wir geben den freien Werkstattbetrieben die notwendigen technischen Hilfsmittel und das entsprechende Know-how an die Hand“, so Florian Schlüter. Im Grunde müsse man sich laut Schlüter in Hinblick auf die zunehmende Globalisierung zukünftig sowieso mit anderen Marken und Technologien auseinandersetzen, bis hin zu chinesischen Fahrzeugen.

Die Integration des Trailers in das Gesamtsystem ‚Fahrzeug‘ mischt die Karten komplett neu, mit großen Potenzialen für freie Werkstätten. (Elmar Bauer)

Wo sich ebenfalls alle einig sind: Es bedarf dringend mehr Kommunikations- und Aufklärungsarbeit in Hinblick auf die Nachwuchsförderung und das Recruiting in Sachen Lkw-Service. Schließlich halten längst neue, spannende Technologien Einzug. Das Thema Lkw müsse ganzheitlich betrachtet werden, das Zusatzgeschäft mit Trailern nimmt immer mehr Fahrt auf. Man denke nur an die Entwicklung des eTrailer, der integrativer Bestandteil des gesamten Zuges ist – egal ob Diesel-Zugmaschine, BEV oder FCEV. Die Entwicklungsdynamik in Sachen alternative Antriebe und Digitalisierung ist tatsächlich immens. Das klingt für das Berufsbild mehr als spannend! „Wir haben das Thema im Rahmen unserer Initiative ‚Qualität ist Mehrwert aufgegriffen“, so Kristiane Guth, und Thomas Fischer ergänzt: „Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit, dass es den IAM überhaupt gibt.“

Der Teilehandel

Der Wettbewerb im Bereich Lkw-Teile ist intensiver geworden. „Der Einsatz von Ersatzeilen in Erstausrüster-Qualität ist in puncto Passgenauigkeit, Lebensdauer und Sicherheit dabei die beste Wahl – und der ideale Schutz vor nachträglichen Reklamationen. Eine Reparatur oder Wartung am Fahrzeug ist nur dann preiswert, wenn die Qualität der verwendeten Produkte und der Werkstattarbeit stimmt. Nur dann ist ein Flottenfahrzeug ohne Folgekosten länger zuverlässig, sicher und damit wirtschaftlich unterwegs“, berichtet Elmar Bauer. Zusätzlich spielten laut Florian Schlüter auch die Eigenmarken der wenigen großen Teilehändler eine zunehmende Rolle. Der Markt wird wachsen und sich konsolidieren, wenngleich unterschiedliche ERP-Systeme Probleme bereiten werden. Der freie Teilehandel kann jedoch seine Vorteile weiter ausspielen und entsprechend Marken – und Mehrmarkenbetriebe mit Produkten, attraktiven Preismodellen, technischem-Know-how und zukünftig auch mit Lösungen in Richtung Fahrzeugmanagement bedienen. „OE kann eben nur eine Marke“, so Bauer. „Als Aftermarket-Division eines der führenden Entwickler und Hersteller von Originalteilen sehen wir uns gefordert, dafür zu sorgen, dass die beste Produktqualität beim Verbraucher ankommt“, so Bauer. „Mit den Marken Sachs, Lemförder, TRW und Wabco deckt ZF Aftermarket einen großen Teil des Ersatzteilbedarfs eines Werkstattbetriebs ab.“

Nachhaltiges (Teile-) handeln

Initiative ‚Qualität ist Mehrwert‘: „Wir haben das Thema Nfz-Aftermarket auf unserer Agenda und arbeiten mit unseren Mitgliedern an den Herausforderungen und Chancen“, so Thomas Fischer. Bild: Qualität ist Mehrwert

Nachhaltigkeit ist mehr als ein Schlagwort, es ist längst ein Mehrwert für alle Beteiligten. „Das Thema Nachhaltigkeit wird in Zukunft für alle Teile der Wertschöpfungs- und Lieferkette von entscheidender Bedeutung sein. Dazu gehören auch Flotten und die für den Service verantwortlichen Werkstätten“, erklärt Elmar Bauer. „Für viele Kunden wird das Thema Nachhaltigkeit bei der Fahrzeugreparatur immer wichtiger. Deshalb sollten Werkstätten aktiv wiederaufgearbeitete Teile nutzen und die Altteile (‚Cores‘) zurückgeben, denn echte Kreislaufwirtschaft kann nur gelingen, wenn wir alle zusammenarbeiten. Aufarbeitung ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Ansatzes und hat bei ZF bereits eine lange Tradition.“ Auch Knorr-Bremse ist hier besonders aktiv: „Wir kümmern uns bereits seit 2015 in unserem Remanufacturing-Werk im tschechischen Liberec unter anderem um die Aufbereitung von EBS-Komponenten, um Bremssättel oder Kompressoren. Von den rund 10.000 Artikeln, die wir im Aftermarket anbieten, sind mehr als 1.000 davon aufgearbeitete Produkte unserer Marke EconX, mit steigender Tendenz“, so Schlüter. Im Übrigen vollziehen alle aufbereiteten Teile den gleichen end-of-line-test wie die neuen Teile und werden auf Erstausrüstungs-Montage-Linien gefertigt. Über Jaltest Tools bietet Knorr-Bremse beispielsweise auch eine ECU-Testvorrichtung an, die eine Diagnose und Reparatur von Steuergeräten durch Fachpersonal ermöglicht.
Auch das Thema Teile-Verpackung spielt eine Rolle, wobei es eher um die Optimierung des Versandes und damit die Reduzierung von Verpackungsmaterial durch Reduzierung von Expressversendungen geht.

Fazit und Erfolgsfaktoren

Bei den Anforderungen an die Nfz-Werkstätten decken sich die Aussagen. „Die Werkstätten müssen kontinuierlich an ihren Prozessen und Schnittstellen mit dem Kunden arbeiten. Zudem braucht es starke Partnerschaften im Bereich Systemkompetenz, neue Technologien und Datenmanagement. Hier sehen wir uns als Zulieferer mit in der Pflicht“, erklärt Elmar Bauer. Die freien Werkstätten müssten dabei ihren Kostenvorteil ausspielen, aber auch die Kommunikation verbessern. In dieselbe Kerbe schlägt Florian Schlüter von Knorr-Bremse: „Optimierte Prozesse sind das ‚A und O’ für eine Effizienzsteigerung, die in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Wir als Zulieferer sind daher gefragt, Know-how- und softwareseitig einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Zudem müssen wir allesamt weiterhin daran arbeiten, den Job in der Werkstatt noch attraktiver zu machen. Ich bin mir im Übrigen sicher, dass freie Nfz-Betriebe, die voran gehen, eine hochinteressante Zukunftsperspektive haben!“

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1-2024 der Krafthand-Truck.