Moderne Nutzfahrzeuge entwickeln sich zunehmend zu „Computer auf Rädern“. Waren es bis vor wenigen Jahren meist mechanische Defekte, die einen ungeplanten Werkstattaufenthalt erforderlich machten, sind es heute immer öfter Softwareprobleme. Doch die lassen sich meist per Update ‚Over-the-Air‘ lösen. Bild: Continental
Ferndiagnose, Software-Updates, Sicherheit

Den Durchblick behalten

Speditionen möchten ihre Fahrzeuge optimal auslasten. Unerwünscht sind deshalb Ausfälle und ungeplante Werkstattaufenthalte. Während die Fahrzeughersteller und Flottenmanager versuchen, mit vorausschauender Wartung und Software-Updates ‚Over-the-Air‘ Ausfällen vorzubeugen und Serviceaufenthalte optimal zu steuern, ist der Nutzfahrzeug-Profi in der Werkstatt gefragt, wenn es einmal klemmt – vorausgesetzt, ihm wird der Zugang zur Fahrzeugelektronik nicht verweigert.

Ausfällen vorbeugen, Reparaturen organisieren

In modernen Nutzfahrzeugen sind zahlreiche elektronische Steuergeräte verbaut, welche die verschiedensten Systeme und Komponenten steuern, vom LED-Matrix-Scheinwerfer über die Federung des Fahrzeugs oder der Fahrerkabine, bis hin zum Notbremsassistenten. Dabei werden permanent Daten generiert, welche für die Funktion der vernetzten Systeme notwendig sind. Zusätzlich lassen sich die Daten für unterschiedlichste Diagnoseaufgaben nutzen. Sowohl, um die Fehlersuche in der Werkstatt zu beschleunigen, aber auch um drohende Fahrzeugausfälle frühzeitig zu erkennen und ungeplante Werkstattaufenthalte zu vermeiden. Das Stichwort lautet Ferndiagnose.
Kündigt sich ein vom System erkennbarer Ausfall an, etwa eine Leckage im Hochdruckkreislauf der Kraftstoffeinspritzung, informiert das Steuergerät des Motormanagements die Experten in der Serviceabteilung des jeweiligen Nutzfahrzeugherstellers via Mobilfunk. Diese wiederum informieren über den Kundenservice unverzüglich und je nach vertraglich vereinbarter Hierarchiekaskade den Fahrzeugeigentümer, dessen Fuhrparkmanager und den Fahrer. Ist eine sofortige Reparatur notwendig, unterstützt der Servicemitarbeiter bei der Organisation des Werkstatttermins, welcher im Idealfall auf die Fahrzeugroute und die aktuellen Transportaufträge abgestimmt ist. Außerdem klärt der Kundenservice vorab, ob in der anzusteuernden Werkstatt die notwendigen Ersatzteile und Ressourcen verfügbar sind, um eine möglichst schnelle Fahrzeugreparatur zu gewährleisten.

 

Das digitale Cockpit ‚Smart-Dash‘ von Scania ermöglicht Wartungsfunktionen per WLAN und Bluetooth, um den Werkstattfachleuten die Diagnose einfacher und schneller zu gestalten. Zusammen mit der vorbeugenden Fernwartung und weil sich Ausfälle besser vorhersehen lasen, soll sich damit die Verfügbarkeit des Fuhrparks verbessern. Bild: Scania

Weniger Standstandzeiten durch Over-the-Air-Updates

Moderne Nutzfahrzeuge entwickeln sich immer mehr zu ‚Computern auf Rädern‘. Waren es bis vor wenigen Jahren noch überwiegend mechanische Defekte, die einen ungeplanten Werkstattaufenthalt erforderlich machten oder zu einem Liegenbleiber führten, sind es heutzutage immer öfter Softwareprobleme. Durch die zunehmende Elektronifizierung – nicht zuletzt wegen der strengeren Abgasgrenzwerte und der wachsenden Ausstattungsquote mit Fahrerassistenz- und Sicherheitssystemen – spielt die Software der Systemsteuergeräte eine zentrale Rolle. Mittlerweile gibt es kaum noch ein Fahrzeugsystem, welches rein mechanisch arbeitet und deshalb ohne Software auskommt.
Wie bei Computern üblich, stellt der Fahrzeughersteller immer wieder Software-Updates, zur Verfügung, sowohl für das Betriebssystem, beispielsweise der Motor- und Getriebesteuerung, als auch für die Arbeitsprogramme, beispielsweise der Komfort- und Fahrerassistenzsysteme. Die Updates sind notwendig, um ‚Bugs‘, also Softwarefehler, zu beheben. Außerdem lässt sich damit die Leistungsfähigkeit des Produkts verbessern, beispielsweise durch die Implementierung neuer Funktionen.
Im Gegensatz zur Mechanik, wo ‚systemverbessernde Maßnahmen‘ meist mit einem längeren Werkstattaufenthalt verbunden sind, lassen sich mittlerweile Fehler in der Software durch so genannte ‚Bugfixes‘ und Produktverbesserungen vielfach via Updates ‚Over-the-Air‘ (OTA), also per Fernzugriff, erledigen, ohne dass das Fahrzeug in die Werkstatt muss. Oft bekommen die Fahrer beziehungsweise die Fahrzeughalter nichts davon mit. Üblicherweise kündigt der Hersteller jedoch verfügbare OTA-Updates im Cockpitdisplay an. Der Fahrer kann entscheiden, wann und ob er die neuen Datensätze via WLAN oder Mobilfunk herunterlädt. Beim nächsten Motorstart kann er dann festlegen, welche Updates installiert werden sollen.

Upgrades via Internet

Nutzfahrzeughersteller unterhalten Portale, von denen sich Kunden ausgewählte Fahrzeug-Funktionen via Software-Upgrades herunterladen können. So lassen sich dank OTA-Technologie individuelle Sicherheits-, Komfort- oder Entertainment-Funktionen freischalten oder hinzufügen, ohne zeitaufwändigen Zwischenstopp in einem Servicestützpunkt. Durch die nachträglichen Adaptions-Möglichkeiten ist der Unternehmer außerdem flexibler bei der Fahrzeugkonfiguration beziehungsweise beim späteren Fahrzeugeinsatz. Die Verfügbarkeit und die Effizienz des Fahrzeugs lässt sich damit ohne Werkstattaufenthalt deutlich steigern.

Typische Upgrades

Zu den typischen Upgrades, welche nahezu alle der ‚Big 8‘ – DAF, Ford Trucks, MAN, Mercedes-Benz, Iveco, Renault Trucks, Scania und Volvo Trucks, in Form spezielle Softwarepakete anbieten, gehören beispielsweise:

  • Echtzeitdaten für das Navigationssystem: anhand der aktuellen Verkehrslage lassen sich Routen effizienter planen und bei Bedarf schneller anpassen.
  • Fahrprogramme für besonders wirtschaftliches Fahren: im Normalbetrieb kommt automatisch eine kraftstoff- beziehungsweise energiesparende Schaltstrategie zum Einsatz, welche je nach Version zudem das manuelle Auf- und Abwärtsschalten sowie die Kickdown-Funktion deaktiviert.
  • Fahrprogramme für dynamisches Fahren und Beschleunigen, welches an Steigungen die Motorleistung erhöht und dadurch den Geschwindigkeitsverlust verringert.

Darüber hinaus gibt es auch spezielle ‚Software-Schmankerl‘, etwas für ältere EURO-V-Trucks: Mit einem OTA-Update lassen sich die Motoren auf einfache Weise auf den freiwilligen EU-Abgasstandard EEV (Enhanced Environmentally-Friendly-Vehicle) hochrüsten. Damit ist ein ungehinderter Zugang zu ausgewählten Umweltzonen gesichert, da mit dem Update die Partikelemissionen sinken. Ähnlich wie bei den OTA-Softwareupdates für die ‚Betriebssoftware‘ lädt der Fahrer die Updates herunter und entscheidet dann, wann er sie installieren möchte.

Diagnose aus der Ferne

Durch die Vernetzung und die ständige Kommunikation der Fahrzeugsysteme untereinander werden jeden Tag mehrere Gigabyte Daten pro Truck generiert, welche sich für die unterschiedlichsten Fahrzeugdiagnosen nutzen lassen. Bereits heute wird ein Großteil aller Diagnosevorgänge vollautomatisch und remote von den Fahrzeugherstellern abgewickelt – das Einverständnis des Fahrzeugbesitzers vorausgesetzt. Fehlerursachen sind somit dem Werkstattfachmann frühzeitig bekannt, noch bevor das angeschlagene Fahrzeug die Werkstatt erreicht oder gar liegen bleibt.
Bei Daimler Truck können die Serviceexperten bei gebuchtem Mobilitätskonzept ‚Uptime’ innerhalb von durchschnittlich 240 Sekunden nach der Datenerfassung im Fahrzeug, Handlungsempfehlungen für die Werkstatt in die entsprechenden Händlersysteme einspielen. Diagnose, dazu passende Serviceratschläge und die Teileidentifikation erfolgen dabei auf Basis der entsprechenden Reparaturanleitung. Die folgende Eingangsdiagnose in der Werkstatt vor Ort läuft so laut Angaben dreimal so schnell ab. Zudem sollen sich bei den Lkw von Mercedes-Benz mit Uptime-Konzept, durch die frühzeitige Fehlererkennung, ungeplante Werkstattaufenthalte um mehr als die Hälfte reduziert haben.

 

Kündigt sich ein vom System erkennbarer Ausfall an, etwa eine Leckage im Hochdruckkreislauf der Kraftstoffeinspritzung, informiert das Motormanagement-Steuergerät des Lkw die Experten in der Serviceabteilung des Nutzfahrzeugherstellers via Mobilfunk. Diese wiederum informieren unverzüglich den Fuhrparkmanager und den Fahrer. Bild: Daimler Truck

Zunehmend wichtig: Cyber Security

Die Vernetzung der elektronischen Systeme und die damit verbundene Verfüg- und Nutzbarkeit von Daten sind Fluch und Segen zugleich. Einerseits ermöglicht sie neue hilfreiche Funktionen und Anwendungen, andererseits entstehen dadurch Angriffsflächen für Hacker. Vor Cyber-Gefahren gewappnet sein, ist daher längst nicht mehr nur in der Computerbranche, sondern zunehmend bei modernen (Nutz-) Fahrzeugen relevant. Die Fahrzeughersteller sichern daher alle ihre Fahrzeugsysteme konsequent gegen missbräuchliche Zugriffe ab.
Allerdings ist Experten zufolge die IT-Sicherheit bei Nutzfahrzeugen schwieriger zu implementieren als bei Pkw, denn die elektronischen Steuereinheiten sind nicht so hochspezialisiert. Zudem sind Nutzfahrzeuge modular aufgebaut, da sie mit vielen verschiedenen Systemen, etwa Anhängern und Aufliegern, Aufbauten und Zusatzaggregaten kombinierbar sein müssen – was zwangsläufig die Angriffsfläche für Hacker enorm erhöht. Aus Kosten- und Modularitäts-Gründen verwenden die meisten Nutzfahrzeug-OEM das einheitliche SAE-J1939-Protokoll für die Kommunikation im Fahrzeug. Dieses ähnelt in seiner Grundstruktur dem CAN-Bus-Protokoll, ist aber dynamischer und verfügt zudem über eine höhere Funktionalität. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Pkw und Nfz ist die nachträgliche Modifikation: viele Flottenbetreiber installieren nach dem Fahrzeugkauf einen elektronischen Tachographen und bauen andere Telematikmodule ein. Diese Komponenten werden aber nicht vom Cyber-Security-Konzept des OEM abgedeckt und können deshalb neue Schwachstellen mit sich bringen.

 

Wissen, was reinkommt: Moderne Lkw schicken ihre ‚Befindlichkeitsdaten‘ permanent an den Hersteller. Bahnt sich ein Defekt an, kann der OE-Servicespezialist den Lkw in die nächst-geeignete Werkstatt dirigieren. Die Profis dort werden zeitgleich umfassend informiert, so sie die Reparatur schnellstmöglich erledigen können. Bild: Volvo Trucks

(Diagnose-)Zugang verweigert

Mittlerweile verhindern auch bei Nutzfahrzeugen immer öfter so genannte ‚Security Gateways‘ Mehrmarken- und markenfremden Testgeräten den Zugang zu sicherheits- und diebstahlrelevanten Fahrzeugsystemen. Bild: Wabcowürth

Auch mit den zunehmenden Online-Services steigt die Gefahr potenzieller Cyber-Angriffe auf die Elektronik durch Dritte. Weil solche unbefugten Zugriffe drastische Folgen haben können, verschlüsseln immer mehr Fahrzeughersteller den Diagnosezugang ihrer Fahrzeuge mit einer ‚Security-Gateway-Lösung‘. Diese dient zwar vorrangig dem Schutz vor ungewolltem Zugriff auf das Fahrzeug, wirkt sich aber auch erschwerend auf den Diagnosezugang aus – was speziell für freie und markenfremde Werkstätten eine Herausforderung ist.
Während der Fahrzeugzugang mit dem Original-Tester meist problemlos möglich ist, heißt es für Mehrmarkentools nahezu ausnahmslos „Zugang gesperrt“, sprich: üblicherweise ist dann bei den betreffenden Fahrzeugen meist nur das Lesen der Fehlercodes, manchmal auch deren Löschung möglich – und dies meist nur bei ‚sicherheitsunkritischen‘ Systemen. Wobei es der Definition des OEM obliegt, welches System er als ‚sicherheitskritisch‘ ansieht und welches nicht. Komponentenfreischaltungen, FAS-Kalibrierungen, Funktionsaktivierungen oder speziellere Wartungsprozesse sind damit vielfach ausgeschlossen.

Security-Gateways weiter im Kommen

Während bei neueren Pkw und auf Pkw basierenden Nutzfahrzeugen wie Kleintransporter, Transporter und Kleinbusse Security-Gateways bereits nahezu flächendeckend zum Standard gehören, steht die schwere Klasse damit noch am Anfang. Iveco gehört zu den ersten Herstellern, welche freien und markenfremden Nutzfahrzeugfachleuten den Diagnosezugang verwehren: wer einen Iveco Daily VII oder einen Lkw der Modellreihen S-Way, T-Way oder X-Way ab Modelljahr 2019 diagnostizieren möchte, braucht entweder einen Originaltester oder einen Mehrmarkentester ‚mit der Lizenz zum Diagnostizieren‘. Ähnliches gilt seit 2024 nun auch für bestimmte Modelle von Volkswagen Nutzfahrzeuge. Es ist stark anzunehmen, dass künftig auch die anderen OEM ihre Diagnoseports verriegeln.

Mehrmarken-Diagnose

Wie schon im Pkw-Bereich, so helfen auch die Anbieter von Nutzfahrzeug-Diagnosesystemen ihren Anwendern dabei, einen legalen Zugang zur Fahrzeugelektronik zu bekommen. Bild: Wabcowürth

Doch wie schon bei den Pkw, so arbeiten auch im Nutzfahrzeugbereich die Anbieter von Mehrmarken-Diagnosegeräten mit Hochdruck an adäquaten Lösungen. Vorreiter auf diesem Gebiet ist der Künzelsauer Werkstattausstatter Wabcowürth, der seit 2023 für sein Diagnosesystem ‚W.Easy‘ die von Iveco geforderte, kostenpflichtige Lizenz anbietet. Sie wird ‚W.Easy‘-Nutzern über das ‚Wabcowürth Secure-Gateway-Portal‘ bereitgestellt. Über das Portal können markenfremde Nutzfahrzeug-Profis einfach und intuitiv auf Fahrzeuge der Marken Fiat, Volkswagen und Iveco zugreifen. Die baldige Zusammenarbeit mit weiteren Fahrzeugmarken ist Unternehmensangaben zufolge bereits in vollem Gange, unter anderem sollen künftig Transporter von Renault integriert sein. Alle verfügbaren Fahrzeughersteller sind nach Anmeldung im Portal aufgelistet. Mit einer aktiven Lizenz können zugangsgeschützte Volkswagen und Fiat direkt angewählt werden.

Das SERMI-Zertifikat

Einen weiteren Knackpunkt stellen die seit 01. April 2024 geltenden ‚SERMI-Sperren‘ für diebstahlrelevante Fahrzeugsysteme dar, wobei auch hier die OEM selbst definieren dürfen, welche das sind. Zugriffe auf diese sensiblen OE-Daten sind seit dem Stichtag per Gesetz über das sogenannte SERMI-Schema gesondert geschützt. SERMI steht für ‚SEcurity related Repair and Maintenance Information‘ und fußt auf der EU-Typgenehmigungsverordnung 2018/858. Diese nimmt alle Fahrzeughersteller in die Pflicht, in besonderer Weise für die Diebstahlsicherheit ihrer Produkte zu sorgen. Nur Personen mit einem nachweislich berechtigten professionellen Interesse dürfen der Verordnung zufolge auf diese sicherheitskritischen Daten zugreifen.
Dieser Nachweis ist in Deutschland bei jedem SERMI-Zugriff über ein elektronisches Zertifikat zu erbringen. Hierzulande sind unter anderem die vom ZDK gegründete SERMA GmbH (SEcurity related Repair and Maintenance Authorisation) mit der Aufgabe der Konformitätsbewertung betraut. Mit SERMA, KIWA und Global Network Group TIC sind derzeit drei Bewertungsstellen in Deutschland anerkannt. Kfz- und Nfz-Betriebe, die sich als solche ausgewiesen haben, können eine Zulassung und die Autorisierung mindestens eines Mitarbeiters beantragen, wobei die gebührenpflichtige Erstzulassung zunächst fünf Jahre gelten soll. Nach der positiven Prüfung des Antrags erhält der jeweilige Mitarbeiter ein personalisiertes elektronisches Zertifikat inklusive aller Unterlagen über eine App direkt auf sein Smartphone. Sollen Diagnosearbeiten via Remote-Service, also aus der Ferne, erledigt werden, verlangt der Gesetzgeber bei Eingriffen in Fahrzeugsysteme, die hinter der SERMI-Schranke liegen, dass alle an einem Remote-Vorgang beteiligten Parteien über ein Sicherheits- Zertifikat verfügen müssen.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 4-2024 der Krafthand-Truck.