Bei Reparaturen an Hochvoltfahrzeugen muss der betreffende Arbeitsplatz entsprechend gekennzeichnet und abgesperrt werden. Bild: Klaus Kuss
Qualifikation, Arbeitsplatz, Equipment

Lkw-Service an schweren, elektrischen Jungs

Die Service-Arbeiten an elektrifizierten Nutzfahrzeugen unterscheiden sich teils stark von denen bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Damit tauchen bei Werkstattbetreibern zwangsläufig Fragen zur Handhabung, zur Arbeitssicherheit und zum Equipment auf. Krafthand-Truck hat die wichtigsten Aspekte zusammengestellt.

Marktentwicklung

Steigende Kraftstoffpreise, ein geschärftes Umweltbewusstsein, strengere Abgasgrenzwerte (mit der geplanten Euro-VII-Einführung Mitte 2025) sowie das beabsichtigte Verbrenner-Verbot ab 2040 kurbeln die Nachfrage nach elektrischen Nutzfahrzeugen an. Laut Kraftfahrbundesamt (KBA) waren Anfang 2022 in Deutschland bereits rund 43.400 Lastwagen mit elektrischem Antrieb registriert (2020: 24.380) – Tendenz steigend. Hinzu kommen – wenn auch in geringem Umfang – noch Lkw mit Hybridantrieb. Demzufolge kommen Werkstattfachleute zwangsläufig beim Service und bei Wartungs- und Reparatur-Arbeiten mit der Hochvolt(HV)-Technik in Kontakt. Das gilt für Arbeiten an Transportern mit Hybridantrieb und für vollelektrische Zugmaschinen gleichermaßen. Perspektivisch müssen sich Nfz-Werkstätten aufstellen, um ein entsprechendes Leistungsspektrum abzubilden.

Unterschiedliche Qualifikationen

Unternehmen wie ZF Aftermarket bieten neben Präsenzschulungen zum Thema Hochvolt auch Online-Kurse an. Bild: ZF Aftermarket

Jeder Nfz-Betrieb sollte in die innerbetriebliche Weiterbildung in Sachen Hochvoltsysteme investieren. Das gilt für freie und markengebundene Nutzfahrzeugwerkstätten wie auch für speditionseigene Betriebe. Selbst wenn sich derzeit noch keine BEV und FCEV im Fuhrpark der Kunden befinden, kann es vorkommen, dass man mit dem Thema konfrontiert wird. Dabei muss es sich noch nicht einmal um ein Problem am HV-System selbst handeln.
Um direkt an HV-Antrieben arbeiten zu dürfen, ist mindestens die Qualifizierungsstufe 2S (nach DGUV-Information 209-093) notwendig. Eine Person mit elektrotechnischen Vorkenntnissen im Kfz-Bereich muss hierfür 48 Unterrichtseinheiten absolvieren. Danach darf man die Bezeichnung ‚Fachkundige Person für Arbeiten an HV-Systemen im spannungsfreien Zustand‘ (FHV) führen und Hand an den Antriebsstrang anlegen.
Klassische Service-Arbeiten, beispielsweise Arbeiten am Bremssystem oder der Reifenservice (also abseits des HV-Systems), erfordern die Hochvolt-Qualifikation zur ‚Fachkundig unterwiesenen Person‘ (FUP, Stufe 1S). Zahlreiche Unternehmen bieten entsprechende Schulungen an. Die Hochvolt-Experten von ZF Aftermarket beispielsweise haben zusammen mit der Berufsgenossenschaft (BG) ein Online-Training entwickelt, welches Werkstattfachleute aller Couleur für den Umgang mit Hochvolt-Systemen qualifiziert. Ein Basistraining der Stufe S zur ‚Sensibilisierten Person‘ empfiehlt sich für alle Werkstattmitarbeiter, welche in irgendeiner Weise mit einem HV-System in Berührung kommen könnten.

Insgesamt existieren vier Qualifikationsstufen für Arbeiten an Hochvoltfahrzeugen:

  1. Stufe S: Sensibilisierte Person.
  2. Stufe 1S: Fachkundig unterwiesene Person (FUP).
  3. Stufe 2S: Fachkundige Person für Arbeiten an HV-Systemen im spannungsfreien Zustand.
  4. Stufe 3S: Fachkundige Person für Arbeiten an unter Spannung stehenden HV-Komponenten.

Der HV-Arbeitsplatz

Safety-First! Speziell bei Wartungs- und Reparatur-Arbeiten an Hybrid- und vollelektrischen Nutzfahrzeugen ist Vorsicht geboten! Von den hohen elektrischen Strömen des Hochvoltsystems gehen Gefahren für Leib und Leben aus. Es beginnt bei der Arbeitsvorbereitung und dem Abstellen des Fahrzeugs auf einem dafür vorgesehen Arbeitsplatz. Dieser muss speziell gekennzeichnet sein, das Fahrzeug mit einer Kette oder einem Flatterband abgesperrt sein. Anschließend bringt der Werkstattfachmann ein Hinweisschild mit dem aktuellen HV-Zustand des Fahrzeugs an. Eine Empfehlung, wie so ein Schild aussehen kann, findet sich in der DGUV Info 209-093.

Unterschiedliche Beschilderungen

  1. „Achtung! Hochvolt-System aktiv.“ (gelb, Kontakte abgedeckt). Wird angebracht, sobald das Fahrzeug auf dem HV-Arbeitsplatz abgestellt ist.
  2. „Achtung! Hochvolt-System inaktiv.“ (grün, HV-System sicher ausgeschaltet und Spannungsfreiheit festgestellt). Nun kann an dem Fahrzeug gearbeitet werden.
  3. „Achtung! Hochvolt-System aktiv.“ (rot, freiliegende Kontakte). Nur Personen mit der Qualifikationsstufe 3S dürfen am unter Spannung stehenden HV-System arbeiten.

Die Warnschilder sind deutlich sichtbar am Fahrzeug anzubringen, beispielsweise an der Frontscheibe oder der Fahrertüre. Zusätzlich müssen sie den Hinweis enthalten, welcher Mitarbeiter (mit Telefonnummer) das Schild entfernen oder das Fahrzeug bewegen darf.

 

Für Arbeiten an HV-Fahrzeugen ist die Kennzeichnung des Fahrzeugstatus zwingend erforderlich. Quelle: ZF Aftermarket/ DGUV-Information 209-093

 

Der E-Lkw in der Werkstatt

Je nachdem, welche Arbeiten an dem E-Fahrzeug zu erledigen sind, muss das HV-System von einer Fachkundigen Person (FHV) entsprechend den fünf Sicherheitsregeln (dringend Herstellerangaben beachten!) in den spannungsfreien Zustand versetzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn Personen der Qualifizierungsstufen 1S oder 2S Hand ans Fahrzeug legen möchten. Sie dürfen nicht an unter Spannung stehenden Teilen arbeiten. Weitere Informationen zur Arbeitssicherheit an HV-Fahrzeugen liefert beispielsweise die Berufsgenossenschaft Holz und Metall in der Übersicht Arbeitsschutz kompakt Nr. 21 ‚Arbeiten an Hochvoltsystemen‘.

Um sicher an einem Elektro-Fahrzeug arbeiten zu können (hier beim BAX 7.5.), muss das HV-System deaktiviert werden. Wo sich der ‚Service-Disconnect‘ (Batterie-Hauptschalter) und die HV-führenden Komponenten befinden, steht in der Serviceliteratur des Fahrzeugherstellers – oder ist auf der Rettungskarte ersichtlich. Bild: Kuss/Quelle: BPW

 

Diese fünf Sicherheitsregeln sind in genannter Reihenfolge einzuhalten:

  1. Freischalten.
  2. Gegen Wiedereinschalten sichern.
  3. Spannungsfreiheit feststellen.
  4. Erden und kurzschließen.
  5. Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken
    und abschranken.
Mit dem Duspol (zweipoliger Spannungsprüfer) lässt sich die Spannungsfreiheit des HV-Systems überprüfen. Sollte noch Restspannung vorhanden sein, lässt sich diese bei manchen Geräten durch Auslösen des FI-Schalters restlos abbauen. Bild: ZF Aftermarket

Im Folgenden sind die einzelnen Arbeitsschritte der Regeln 1 bis 3 detailliert beschrieben. Die vierte und fünfte Sicherheitsregel ist bei Bedarf anzuwenden.

Regel 1: Das Freischalten. Gemeint ist das Deaktivieren des HV-Systems. Zunächst ist die Zündung auszuschalten und anschließend das HV-System herunterzufahren, beispielsweise durch Ziehen des Service-Disconnect-Steckers oder Öffnen des Batterie-Hauptschalters (siehe Herstellerangaben). Wo sich diese HV-Trennstelle befindet, steht in der Serviceliteratur – oder in der so genannten Rettungskarte. Letztere findet man auf den Webseiten der Fahrzeughersteller.

Regel 2: Gegen Wiedereinschalten sichern. Um einen unbefugten Zugriff zu unterbinden, muss das HV-System gegen Wiedereinschalten gesichert werden. Dieser Schritt ist von zentraler Wichtigkeit, insbesondere für die Personen, die am Fahrzeug arbeiten. Ein spezielles ‚Nicht einschalten‘-Schild an entsprechenden Stellen verweist nochmals auf den Umstand.

Regel 3: Spannungsfreiheit feststellen. Dieser Schritt ist zur zusätzlichen Absicherung ebenfalls unerlässlich. Die Spannungsfreiheit lässt sich mit Hilfe eines zweipoligen Spannungsprüfers (Duspol) feststellen. Dazu legt man die Prüfspitzen an zwei unterschiedlichen Potenzialen an. Falls in der Anzeige noch Restspannung angezeigt wird, kann man diese bei manchen Geräten durch Auslösung des FI-Schalters restlos abbauen.

HV-geeignete Werkstattausrüstung

HV-taugliches Werkzeug (DIN 3120 / DIN 7449 / IEC 60900 / ISO 1174) mit rot-gelber Spezial-Beschichtung. Auch der Drehmoment-Schlüssel zum fachgerechten Anziehen von Kabelverschraubungen nach Herstellervorschrift muss isoliert sein. Bild: Georg Blenk

Die Nennspannung einer HV-Batterie kann bis zu 1.000 Volt betragen. Deshalb benötigt der Nutzfahrzeug-Profi für Wartungs- und Servicearbeiten an HV-Fahrzeugen nicht nur das richtige Know-how, sondern auch spezielles Werkzeug und Messgeräte, um sicher und gefahrlos arbeiten zu können. Für zahlreiche Tätigkeiten ist zudem eine geeignete Schutzausrüstung erforderlich. Folgende Messgeräte sollten zur Basisausstattung eines HV-Arbeitsplatzes gehören:

• Digital-Multimeter (Diodenprüfungen, Kapazitätsmessungen, Frequenzmessungen sowie Spannungs-, Widerstands-, Strom- und Temperaturmessungen.

• Zweipoliger Spannungsprüfer (Duspol) zum Feststellen der Spannungsfreiheit. Das Gerät besteht aus einer Anzeigeeinheit und zwei Prüfelektroden. Vorwiderstände im Gerät schützen den Anwender und begrenzen den Prüfstrom und die Spannung.

• Spezial HV-Multimeter zur Potenzial-Ausgleichsmessung und Isolationsprüfung. Wichtig ist, dass das Messgerät für die Potenzial-Ausgleichsmessung, also die Messung des Übergangswiderstands zwischen zwei HV-Komponenten, über vier Anschlüsse verfügt und es für die Vierleitermessung ausgelegt ist. Auch für die Isolationsprüfung ist ein geeignetes HV-Multimeter erforderlich. Herkömmliche (Digital-)Multimeter, wie sie üblicherweise zur Werkstattausstattung gehören, sind für diese Messung ebenfalls nicht geeignet, da bei der Widerstandsmessung meist mit einer sehr geringen Spannung geprüft wird. Bei HV-Systemen ist bei der Isolationsprüfung jedoch eine hohe Spannung – höher als die Betriebsspannung des HV-Systems – notwendig, um den Zustand der Isolierung feststellen zu können. Empfehlenswert ist den HV-Fachleuten von ZF Aftermarket zufolge ein Messgerät, bei dem sich unterschiedliche Prüfspannungen einstellen lassen.

• Ferner sind notwendig: HV-taugliche Schraubendreher und -schlüssel sowie Zangen.

• HV-tauglicher Drehmomentschlüssel, Ratschen und Stecknüsse.

• Spezielle Werkzeuge zum Verbinden und gegebenenfalls Erneuern von HV-Kabelführungen. Wichtig hierbei ist es, dringend die Vorgaben des Fahrzeugherstellers zu beachten, speziell auch, um zu prüfen, ob eine Leitungsinstandsetzung überhaupt erlaubt ist. Regelfällig werden komplette Kabelsätze getauscht.

Die persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Für Arbeiten direkt an der HV-Batterie oder an unter Spannung stehenden HV-System muss der Werkstattfachmann spezielle Schutzkleidung tragen. Dazu gehören Elektrikerhandschuhe und ein Lichtbogen-Schutzvisier. Zudem ist die HV-Qualifikation 3S erforderlich. Bild: ZF Aftermarket

Jeder Unternehmer ist nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Werkstattfachleute, die an Hybrid-, Elektro- oder Brennstoffzellen-Fahrzeugen arbeiten, benötigen daher eine persönliche Schutzausrüstung (PSA), um das Unfallrisiko zu minimieren. Zur PSA gehören unter anderem spezielle Elektrikerhandschuhe, welche vor einer Körperdurchströmung schützen. Für Arbeiten an HV-Fahrzeugen sind Handschuhe der Klasse 0 (bis 1.000 V) empfehlenswert. Zudem sollten sie störlichtbogengeschützt sein. HV-Spezialisten empfehlen die Handschuhe vor dem benutzen zu prüfen, entweder durch Aufpusten (Druck muss gehalten werden) oder mit einem entsprechenden Prüfwerkzeug. Beim kleinsten Zweifel sollte man die Handschuhe ersetzen. Außerdem haben Elektrohandschuhe ein Prüf- beziehungsweise Ablaufdatum, das man beachten sollte.

Ebenfalls zur PSA – zumindest für Arbeiten der Stufe 3S – gehören ein Abdecktuch für spannungsführende Teile (empfehlenswert ist ein Produkt der Klasse 0 bis 1.000 V) sowie ein Lichtbogen-Schutzvisier. Diesen Gesichtsschutz gibt es in unterschiedlichen Varianten (Helme und Hauben), er schützt vor Störlichtbögen, Säure und Splittern. Empfehlenswert ist ein Produkt, welches den gesamten Gesichtsbereich schützt, ohne die Sicht zu beeinträchtigen.

Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1-2023 der Krafthand-Truck.