Bio-LNG: Der neue Kraftstoff zur Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs!?
Die Dekarbonisierung des eigenen Fuhrparks wird für Transportunternehmen in Zukunft immer wichtiger. Schon heute suchen viele Verantwortliche nach Lösungen, um ihren CO2-Fußabdruck zu senken. Mögliche Alternativen zum Diesel sind die Brennstoffzellentechnik und die Batterieelektrik. Beide Lösungen sind allerdings noch nicht für einen flächendeckenden und bezahlbaren Einsatz zur Senkung der CO2-Emissionen geeignet.
So fehlen die nötigen Serienfahrzeuge, eine adäquate Reichweite sowie die notwendige Tank- und Ladeinfrastruktur. Besonders Batterieelektrik ist bei Schwerlasttransporten auf der Langstrecke technologisch noch nicht ausreichend entwickelt, um bei Reichweite und Fahrzeuggewicht mit Verbrennungsmotoren mithalten zu können. Darüber hinaus sind beide Technologien auch nur so klimafreundlich wie der Strom, der zu ihrer Erzeugung und zum Antrieb eingesetzt wird.
Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Wasserstoff-Verbrennungsmotoren. Die Technologie ist verfügbar und auf Basis von umgerüsteten Rumpfmotoren umsetzbar. Auch hier stellt sich die Frage der CO2-neutralen Produktion, der Verfügbarkeit des Wasserstoffs sowie der Betankungsinfrastruktur.
Bio-LNG als Alternative
Liquefied Natural Gas (LNG), also verflüssigtes Erdgas, ist schon heute ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum CO2-neutralen Schwerlastverkehr und ermöglicht CO2-Einsparungen von bis zu 22 Prozent. Dieses fossile LNG übernimmt aktuell eine Rolle als Übergangslösung ein: Das volle Einsparungs-Potenzial entfaltet der Kraftstoff dann, wenn erneuerbares Biomethan statt Erdgas zur Herstellung eingesetzt wird. So lassen sich mit Bio-LNG entsprechende Lkw mit wesentlich geringeren CO2-Emissionen betreiben. Der Energiekonzern Shell strebt beispielsweise eine durchschnittliche CO2-Intensität von 0 Gramm CO2/MJ für seine LNG-Kunden im Schwerlasttransportsektor an.
„Shell möchte das Bio-LNG-Angebot in Deutschland für einen Jahresbedarf von 4.000 bis 5.000 Lkw ermöglichen und so bis zu einer Million Tonnen CO2 pro Jahr im Schwerlastverkehr einzusparen.“
CO2-armer Kraftstoff aus Abfallstoffen
Bio-LNG wird im Gegensatz zu fossilem LNG aus Biomethan hergestellt, das aus Grundstoffen wie kommunalen und landwirtschaftlichen Abfällen gewonnen wird. Biogas als Vorstufe zu Biomethan wird schon seit vielen Jahren im landwirtschaftlichen Bereich für die Stromerzeugung eingesetzt. Die Akzeptanz und Verfügbarkeit von LNG im Schwerlastverkehr hat ebenso wie die Nachfrage nach CO2-armen Kraftstoffen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Biogas könnte in veredelter und verflüssigter Form als Biomethan, dem sogenannten Bio-LNG, im Transportsektor zum Einsatz kommen.
Die CO2-Intensität von Bio-LNG variiert stark, je nachdem woraus das Biomethan hergestellt wird. Besonders gut eignen sich hierfür landwirtschaftliche Abfallprodukte wie Gülle und Mist. Sie sind sogar mit einer negativen CO2-Intensität definiert, da die klimawirksamen Gase nicht in die Atmosphäre gelangen, sondern für die Herstellung des Kraftstoffs verwendet werden. In entsprechenden Anlagen wird erst Biogas erzeugt, woraus über einen Veredelungsprozess gereinigtes Biomethan hergestellt wird. Anschließend lässt sich das Biomethan in das Gasnetz einspeisen und so zu speziellen Gasverflüssigungsanlagen transportieren.
Dort wird das Gas aufbereitet, verflüssigt und für den Weitertransport zu den LNG-Tankstellen vorbereitet. So wird Bio-LNG auf die bereits vorhandene LNG-Infrastruktur zurückgreifen können, was den Markthochlauf vereinfachen kann. Shell betreibt bereits 26 LNG-Stationen an den Hauptverkehrsrouten für den Schwerlastverkehr in Deutschland. Diese Zahl soll bis Ende des Jahres auf 40 wachsen.
Die Ambition von Shell ist, das Bio-LNG-Angebot in Deutschland für einen Jahresbedarf von 4.000 bis 5.000 Lkw zu ermöglichen und so bis zu einer Million Tonnen CO2 pro Jahr im Schwerlastverkehr einzusparen. Hierzu hat das Energieunternehmen im Februar 2022 den Grundstein für eine Bio-LNG-Anlage im Shell Energy and Chemicals Park Rheinland mit einer jährlichen Kapazität von 100.000 Tonnen LNG gelegt, die ab etwa der zweiten Jahreshälfte 2023 in Betrieb gehen soll.
So ist geplant, das gesamte Shell LNG-Tankstellennetz zukünftig ausschließlich mit CO2-neutralem LNG zu versorgen. Dass das funktionieren kann, zeigt Shell in den Niederlanden. Dort tanken alle Kunden an den sieben LNG-Stationen seit Kurzem ein Gemisch aus Bio-LNG und fossilem Flüssiggas. Das dafür notwendige Biomethan wird in einer Bio-LNG-Anlage in Amsterdam verarbeitet, die im Herbst 2021 mit Nordsol and Renewi in Betrieb genommen wurde.
Eine Supply Chain für Biomethan
Um den Markthochlauf von Bio-LNG bewerkstelligen zu können, führt Shell aktuell mehrere Testläufe mit Unternehmen wie Edeka und IVECO, DHL und Volvo sowie Volkswagen und Scania durch. EDEKA Minden-Hannover hat beispielsweise seit Längerem mehrere LNG-Fahrzeuge von IVECO in die eigene Lieferkette integriert. Seit vergangenem Jahr werden mehrere von ihnen mit Shell Bio-LNG betankt.
Für Shell dienen diese Tests vor allem der Prüfung der Prozessschritte. Denn eins ist klar: Bevor die flächendeckende Versorgung mit CO2-neutralem LNG umgesetzt werden kann, muss die komplette Supply Chain stehen – von der Beschaffung der Ausgangsstoffe über die Errichtung der entsprechenden Anlagen und der Versorgung der Kunden an der Tankstelle.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft in diesem Bereich. So sollen beispielsweise auch die Lkw-Transporte zur Versorgung der LNG-Stationen mit CO2-neutralem LNG betrieben werden.
Kosten und staatliche Förderung
Wie die Preisgestaltung von Bio-LNG künftig aussieht, ist gegenwärtig noch nicht absehbar. Sie wird maßgeblich davon abhängen, wie sich der Markt für die entsprechenden Grundstoffe entwickelt, da bisher Bio-LNG nicht großflächig vermarktet wird und sich entsprechend noch kein Marktpreis etabliert hat. Grundsätzlich ermöglicht LNG Volumeneinsparungen von rund 20 Prozent gegenüber Diesel. 80 Kilogramm LNG haben also etwa denselben Energiegehalt wie 100 Liter Diesel.
Für Fuhrparkmanager werden neben den reinen Kraftstoffkosten auch die Total Cost of Ownership (TCO) Einfluss auf die Entscheidung nehmen, welche Rolle Flüssiggas in ihren Fuhrparks spielen wird – also auch die Besteuerung des Kraftstoffs, die Fahrzeugpreise und etwaige Förderungen sowie anfallende Wartungs- und Instandhaltungskosten. Hier sind also auch die wesentlich sauberere Verbrennung des Kraftstoffs im Verglich zu herkömmlichem Diesel und die damit verbundenen Einsparungen zu berücksichtigen.
Flüssigerdgas wird als Alternative zum Dieselkraftstoff für den Schwerlastverkehr auch weiterhin von der Bundesregierung gefördert. Neben der indirekten Förderung über die Besteuerung von Erdgaskraftstoffen, die für LNG bis Ende 2026 gilt und 2024 stetig abgeschmolzen wird, bestehen auch verschiedene direkte Fördermöglichkeiten.
So sind beispielsweise LNG-Lkw nach Euro VI, die vor der erstmaligen verkehrsrechtlichen Zulassung für den überwiegenden Erdgasantrieb konfiguriert sind, noch bis zum 31.12.2023 von der Maut befreit. Zudem werden für das De-minimis Förderprogramm zur Förderung von Sicherheit und Umwelt noch bis zum 30. September 2022 Anträge entgegengenommen.
„Wie die Preisgestaltung von Bio-LNG künftig aussieht, ist gegenwärtig noch nicht absehbar.“
Eine Lkw-Infrastruktur im Aufschwung
Ob Scania, IVECO oder Volvo, schon heute sind mehrere verschiedene Lkw-Modelle mit LNG-Antrieb auf dem Markt. Alle verfügen über eine vergleichbare Leistung zum Diesel und sind mit Reichweiten von mehr als 1.000 Kilometern für die Langstrecke gerüstet – zeichnen sich aber durch wesentlich geringere lokale Emissionen wie Stickoxide und Rußpartikel und reduzierte Geräuschentwicklung aus.
Für Flüssigerdgas kommen verschiedene Motorentechnologien in Frage, die sich je nach Hersteller unterscheiden. So kommt entweder ein Otto-Motor mit Direkteinspritzung oder eine Selbstentzündung zum Einsatz. Letztere zeichnet sich dadurch aus, dass mit einer kleinen Menge Dieselkraftstoff die Entzündung ausgelöst wird. Entsprechend brauchen die Motoren, die mit dieser Technologie im Einsatz sind, zusätzlich zum LNG-Tank auch Diesel und AdBlue.
Unabhängig davon, welcher Motorentyp verbaut ist, tanken aber alle Fahrzeuge denselben LNG-Kraftstoff. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob es sich um reines Bio-LNG, fossiles LNG oder ein Gemisch handelt. Bei der Einführung von CO2-neutralem LNG werden also auch keine Umrüstungen bestehender LNG-Fahrzeuge notwendig sein.
Somit ist für Bio-LNG vor dem eigentlichen Markthochlauf das „Henne-Ei-Problem“ bereits gelöst: Zahlreiche Spediteure haben ihren Fuhrpark mittlerweile um LNG-Lkw ergänzt oder komplett umgerüstet und das Tankstellen- und Akzeptanznetz verfügt bundesweit über mehr als 100 Stationen.
Alles was jetzt noch fehlt ist die Verfügbarkeit des CO2-neutralen Kraftstoffs. Mit dem jüngst erfolgten Baubeginn der Bio-LNG-Anlage von Shell ist der nächste Schritt hin zur Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs bereits gemacht.
*Gastbeiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Der/Die Verfasser(in) ist alleinig verantwortlich für die Inhalte.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1/2022 der Krafthand-Truck.