Alles nur Einstellungssache
Lange Zeit galt es als ‚unmöglich‘, Turbolader mit variabler Turbinengeometrie, auch als VTG-, VNT- und VGT-Lader bekannt, im Feld fachgerecht instand zu setzen. Selbst erfahrenen Turbolader-Profis wie Motair in Köln, die über eine eigene Turboladeraufbereitung verfügen und mit dem ‚Reco‘-Turboladern ein breites Programm an Reman-Produkten im Portfolio haben, war es von Seiten der Original-Hersteller ‚nicht erlaubt‘, Hand an die elektrisch angesteuerte Turbinen- Verstellung zu legen beziehungsweise Teilreparaturen am Lader vorzunehmen. Grund hierfür war laut Motair-Chef Andreas Solibieda, dass sich die elektronischen Verstelleinheiten bislang „auf der Werkbank“ nicht fachgerecht justieren und kalibrieren ließen. „Ohne exakte Einstellung und richtige Kalibrierung kommt es nach dem Einbau ziemlich sicher zu Funktionsstörungen im Betrieb“, ist sich Solibieda sicher.
Doch das hat sich dem Motair-Chef zufolge vor Kurzem geändert: Nach dem Besuch eines Spezial-Lehrgangs beim Turboladerhersteller Cummins Turbo Technologies in England dürfen autorisierte Distributoren wie Motair seit kurzem die VGT-Lader der Cummins-Marke ‚Holset‘ revidieren und ‚auf der Werkbank‘ mit Hilfe des ‚E-Tools‘, einer Kombination aus Spezial-Laptop und Spezial-Software, auch einstellen und kalibrieren. „Damit entspricht ein individuell handwerklich instandgesetzter VGT-Lader exakt einem werksseitig revidierten Tauschlader“, erklärt Motair-Turbolader-Spezialist Markus Lange im Gespräch mit KRAFTHAND-Truck. Er hat mit seinem Chef den erforderlichen, viertägigen und ‚Level 4‘ genannten Speziallehrgang bei Cummins in England absolviert und darf nun ‚Holset VNT‘-Lader, wie sie etwa an Ivecos ‚Cursor‘-Motoren verbaut sind, von Grund auf überholen. „Nach dem Kalibrieren ist der Turbo komplett einbaufertig“, versichert Lange.
Im Gegensatz zu verstellbaren Turboladern, bei denen beweglich auf einem Ring angeordnete Leitschaufeln die variable Turbinengeometrie bewerkstelligen, erledigt dies bei den ‚Holset VGT‘-Ladern ein axial im Turbinengehäuse verschiebbarer Düsenring. Durch das Verschieben ändert sich der Spalt, durch den das Abgas auf das Turbinenrad strömt. Bei geschlossener Düse ist der Spalt eng, wodurch der Abgasdruck steigt und sich die Laderdrehzahl erhöht. Öffnet der Düsenring, reduziert sich der Abgasdruck und damit sinkt der Ladedruck. „Mit der patentierten VGT der ‚Holset‘-Lader lässt sich praktisch eine unendliche Zahl von Turboladern mit feststehender Geometrie ersetzen“, erklärt Andreas Solibieda im Gespräch mit der KRAFTHAND-Truck Redaktion.
Turboladerexperte Lange verwendet das ‚E-Tool‘ bereits zur Befundung des zu überholenden Laders und liest damit den Fehlerspeicher des elektronischen Verstellers aus. Er erhält dadurch unter anderem Informationen über die im Betrieb erreichten Maximaltemperaturen und -drehzahlen. Nach dem Instandsetzen prüft Lange den VGT-Mechanismus zuerst einmal mechanisch und korrigiert bei Bedarf den Verstellweg. Dann montiert er den E-Steller, der später vom Motorsteuergerät angesteuert die VGT- Düse verschiebt, wie im produktspezifischen Datenblatt beschrieben. Anschließend erfolgt die softwaregesteuerte Feinjustage der Endanschläge mit dem ‚E-Tool‘. Dazu spricht Lange den E-Steller über das Laptop an. Wenn alles passt, schließt er die Prozedur ab und quittiert die erfolgreiche Grundeinstellung.
Den Beitrag finden Sie auch in der Print-Ausgabe 1/20 der Krafthand-Truck.