Ein ungewöhnlicher Fall beschäftigte uns vor nicht allzu langer Zeit in unserer freien Werkstatt. Ein Kunde bemängelte an seinem Audi A4 aus dem Baujahr 2005 mit 1,8-l-Turbomotorisierung eine Ölundichtigkeit am hinteren Bereich des Ventildeckels.
Nach der schriftlichen Auftragsannahme prüfte der Mechatroniker mit einer Lampe die genannte Stelle ganz genau. Die Sichtprüfung ergab, dass Motoröl durch eine defekte Dichtung zwischen Nockenwellenversteller und Zylinderkopf austrat.
Um allerdings eine solche Undichtigkeit zu beseitigen, ist bei dieser Fahrzeugmotorisierung laut Reparaturunterlagen der Nockenwellenversteller mitsamt der Ein- und Auslassnockenwelle auszubauen. Nach Rücksprache mit dem Kunden demontierte unser Mechatroniker den Ventildeckel. Jetzt sah er, dass eine Führungsschiene, auf der die Steuerkette geführt wird, welche Ein- und Auslassnockenwelle verbindet, gebrochen war. Nach erneuter Rücksprache mit dem Fahrzeughalter ersetzte der Werkstattfachmann den Nockenwellenversteller mit Führungsschienen durch ein Neuteil eines namhaften deutschen Teileherstellers.
Nach den Montagearbeiten löschte der Mechatroniker mit einem Diagnosegerät den Fehlerspeicher. Bei der anschließenden Probefahrt konnte unser Servicemeister keine Auffälligkeiten an dem A4 feststellen. Aus Routine überprüfte der Fachmann nochmals den Fehlerspeicher. Jetzt waren mehrere Fehlereinträge im Motorsteuergerät bezüglich der Einlass-Nockenwellenposition abgespeichert. Die Fehlereinträge lauteten: übermäßige Früh- beziehungsweise Spätverstellung sowie eine fehlerhafte Funktion.
Fehlerhaftes Bauteil?
Der Mechatroniker prüfte mit Hilfe eines Prüfprogramms und des Diagnosegeräts die Nockenwellenverstellung. Die Fehler waren permanent vorhanden. Nach der erneuten Demontage des Ventildeckels überprüfte der Techniker nochmals die Steuerzeiten der Nockenwellen zueinander sowie von Nockenwelle zur Kurbelwelle. Ergebnis: alles in Ordnung. Auch ein Leistungsverlust des Motors war nicht festzustellen. Um eine mögliche Längung der Steuerkette als Fehler auszuschließen, erneuerte unser Mechatroniker diese. Eine erneute Probefahrt zeigte uns aber nach kurzer Zeit, dass die Fehlereinträge nach wie vor vorhanden waren. Mittlerweile wurde der Kunde etwas ungeduldig und fragte ständig nach dem Reparaturstand seines A4.
Nach Rücksprache mit dem Teilelieferanten ersetzten wir nun den Nockenwellenversteller durch ein Neuteil des gleichen Teileherstellers. Eine erneute Probefahrt ergab aber: Der Fehler ‚Nockenwellenposition’ war weiterhin im Fehlerspeicher hinterlegt. Unser Mechatroniker überprüfte anschließend erneut das komplette System der Nockenwellenverstellung. Er konnte weder an den Bauteilen der Verstellung noch an den anderen Komponenten des Motors einen Fehler feststellen.
Demzufolge ersetzte er nach einer weiteren Rücksprache mit dem Teilelieferanten jetzt den Nockenwellenversteller durch ein Originalersatzteil des Fahrzeugherstellers. Nach den Montagearbeiten und dem Löschen des Fehlerspeichers sowie einer ausgiebigen Probefahrt waren keine Fehlerspeichereinträge mehr vorhanden. Ebenso zeigten die Messwerteparameter in der Grundeinstellung keine weiteren Fehler auf. Anschließend konnten wir dem Kunden sein Fahrzeug wieder fehlerfrei übergeben. Hätten wir in diesem Fall gleich ein Originalteil des Fahrzeugherstellers verbaut, wären uns die lange Fehlersuche und die mehrmaligen Montagearbeiten erspart geblieben.
Zu Ende denken… Band 7 – Knifflige Fälle aus dem Werkstattalltag
1. Auflage 2017, von Rudolf Guranti, 120 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 15,80 Euro