Geschäftsführer Guido Kutschera sprach mit KRAFTHAND unter anderen darüber, wie sich die Umwälzungen in der Automobilindustrie auf die Dekra Automobil auswirken. Dabei geht er nicht nur auf Entwicklungen im Gutachterwesen und der HU, sondern auch auf das Betätigungsfeld als Dienstleister für diverse OEMs und die Nähe zu Tesla ein.
Herr Kutschera, Sie sind seit 1. Januar 2019 Vorsitzender der Geschäftsführung von Dekra Automobil. Mit welchen Zielen sind Sie damals angetreten?
Es war und ist natürlich mein oberstes Ziel, die Erfolgsgeschichte der Dekra Automobil fortzuführen. Dazu tragen Prozessoptimierung ebenso bei wie neue Ausbildungskonzepte. Auch beim Marketing und bei der Digitalisierung gilt es, Akzente zu setzen.
Nicht zu vergessen sind auch die Herausforderungen durch den demografischen Wandel. Dabei stehen Fragen wie die Rekrutierung von Fachkräften im Mittelpunkt – auch mit Blick auf geeigneten Führungskräftenachwuchs.
Etwa 50 Prozent Ihrer Amtszeit fallen in die Coronazeit. Inwiefern hat das Ihren Zielen einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Im Endeffekt ist es uns gelungen, die Krise bisher gut zu meistern. So mussten wir beispielsweise kein einziges Bauvorhaben verschieben und sind 2020 auch mit Blick auf die Zahl der Beschäftigten gewachsen. Aber natürlich sind viele Themen auf uns eingeprasselt, allen voran rund um den Gesundheitsschutz für Mitarbeiter und Kunden. Wir sind froh, dass wir mit den entsprechenden Hygienekonzepten den wichtigen Fahrzeugprüfbetrieb durchgehend aufrechterhalten konnten.
Man muss auch sagen, dass in dieser Zeit die Digitalisierung einen Schub bekommen hat. So haben wir etwa digitale Meetings mit zig Mitarbeitern abgehalten. Früher war das undenkbar.
Insgesamt haben wir in Sachen Corona vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber aus meiner Sicht haben wir sehr wenig falsch gemacht. Und da spreche ich nicht nur von der Geschäftsleitung, sondern von allen Mitarbeitern.
Die Automobilbranche stand schon vor Corona unter massivem Veränderungsdruck. Stichwort: alternative Antriebe. Inwiefern wirkt sich das auf Ihr Geschäft Automobil aus? Hat etwa die Nachfrage nach Testreihen in den Abgaslaboren Ihres Testzentrums für Forschung und Entwicklung am Lausitzring abgenommen?
Wir können für uns eine positive Tendenz verzeichnen und sind nach wie vor gut gebucht. Je sauberer Autos werden müssen, umso intensiver müssen sie gemessen werden. Aber man merkt auch einen Umschwung: Es geht beim Thema Verbrauch immer häufiger nicht mehr um Kraftstoff, sondern um elektrische Energie. Aber dafür haben wir uns frühzeitig mit entsprechenden Prüfständen und -methoden gerüstet – inklusive der Möglichkeit, Brennstoffzellenfahrzeuge zu prüfen. Wir planen außerdem noch ein komplettes Antriebsstranglabor für eine gesamtheitliche Betrachtung von Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeugen.
Am Lausitzring bietet Dekra OEMs die Möglichkeit, Fahrerassistenzsysteme ausgiebig auszuprobieren. Hier dürfte die Nachfrage sicher brummen.
Wir sind sehr zufrieden. Wir haben schon immer in das Testgelände investiert und es sukzessive ausgebaut. Nun soll bald ein weiterer Bauabschnitt starten, um Fahrerassistenzsysteme und Fahrmanöver von hochautomatisierten Fahrzeugen noch besser testen zu können.
„Beim Thema Schadengutachten sehen wir gerade viel Dynamik, weil hier KI, Teleexpertise und Telematiksysteme eine große Rolle spielen.”
Wird das in Grünheide und somit nur gut 100 km vom Lausitzring entfernte Tesla-Werk noch einen weiteren Schub bringen? Oder sehen Sie eher die Gefahr, dass hochqualifizierte Kräfte abwandern?
Interessante Frage. Lassen Sie mich zunächst sagen, dass Dekra den Bau der Gigafactory in Sachen Bauausführung, Hoch- und Tiefbau, Beratung bei Brand- und Explosionsschutz begleitet. Deshalb, aber nicht nur deshalb haben wir gute Kontakte zu Tesla. Wir erwarten schon eher einen Schub durch das Werk. Da geht es auch um Lebensdauer von Batterien, Restwertbewertungen und so weiter.
Was die Fachkräfte anbetrifft, sehen wir das sportlich. Wir sind gut gewappnet. Gegenüber den OEMs im Allgemeinen bieten wir eine hohe Bandbreite, die uns als Arbeitgeber attraktiv macht. Wir testen eben alles – vom E-Scooter bis zum Omnibus.
Besteht für die Dekra Automobil ein ähnlicher Handlungsdruck zur Veränderung wie für OEMs und Zulieferer? Auch wenn sich beispielsweise das Gutachtenwesen durch mehr Digitalisierung ändert und für die Hauptuntersuchung Aspekte mit FAS und E-Antriebe hinzukommen, stehen diese Geschäftsfelder vom Grundsatz her doch nicht in Frage.
Auch wenn der Spruch Stillstand ist Rückschritt abgedroschen klingt, ist Dynamik grundsätzlich wichtig. Das gilt selbstverständlich auch für die Hauptuntersuchung, bei der sich vor dem Hintergrund der E-Mobilität, der Fahrzeugvernetzung und der Fahrerassistenzsysteme einiges tun muss. Das liegt nicht in erster Linie in unserer Hand, sondern an gesetzlichen Vorgaben, aber wir bringen uns intensiv ein.
Wo wir gerade viel Dynamik sehen, ist das Thema Schadengutachten. Hier spielen künstliche Intelligenz und Teleexpertise oder auch Telematiksysteme in Fahrzeugen eine große Rolle. Hinzu kommt: Bagatellschäden sind vielleicht rückläufig oder zumindest nicht schwerer zu beurteilen. Aber Schäden, die darüber hinausgehen, werden immer komplexer und somit herausfordernder für die Begutachtung. Insgesamt ist bei aller Digitalisierung der Sachverständige weiterhin gefragt.
Um uns fit für die Zukunft zu machen, haben wir das Programm Dekra Automobil DA 2030 ins Leben gerufen. Hier wird von jungen innovativen Leuten eine Reihe von Projekten vorangetrieben – quer durch unsere Prozesse und Dienstleistungen. Wir bleiben dran an den Themen von morgen und übermorgen.
Herr Kutschera, vielen Dank.
Das Gespräch führte Torsten Schmidt.