Interview mit GVA-Geschäftsführer Dirk Scharmer

„Wir fordern für den freien Markt dieselben Rechte“

Dirk Scharmer ist Geschäftsführer des Gesamtverbands Autoteilehandel. Bild: GVA

GVA-Geschäftsführer Dirk Scharmer im Interview über das wichtige Urteil zu Security Gateways, mögliche neue Schlupflöcher seitens der Hersteller und warum der freie Zugang zu Ersatzteildaten so entscheidend für freie Betriebe ist.

Herr Scharmer, wie beurteilen Sie die Entscheidung des Landgerichts Köln, wonach Security Gateways, die unabhängige Kfz-Serviceanbieter am Zugriff auf notwendige Fahrzeugdaten hindern, rechtswidrig sind und damit ein EuGH-Urteil bestätigt wurde?

Die Entscheidung ist definitiv als Erfolg zu werten, da sie nochmals unterstreicht, dass dem freien Markt das Leben nicht willkürlich schwer gemacht werden darf. Der EuGH hat am 5. Oktober klargestellt, wie die Typgenehmigungsverordnung (EU) 2018/858 auszulegen und zu verstehen ist. Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass der Fahrzeughersteller den Zugriff an eine persönliche Registrierung und eine Online-Verbindung zu seinem Server geknüpft hatte. Diese Bedingungen sind in der Verordnung nicht vorgesehen und damit unzulässig. Sie sind diskriminierend und erhöhen den Aufwand und mögliche Fehlerquellen, die den Ablauf von RMI-Tätigkeiten stören. Letztlich ist unseren Handelsmitgliedern sehr daran gelegen, dass ihre Kunden, die freien Werkstätten, ungehindert ihrer Arbeit nachgehen können.

Ist die Welt damit jetzt in Ordnung oder sehen Sie neue Schlupflöcher der OEMs?

Ich fürchte, für die Welt des freien Markts gilt auch das, was für uns Menschen permanent gilt: „Irgendetwas ist immer.“ Obwohl die Fahrzeughersteller die Nachfrage nach Service und Reparaturdienstleistungen faktisch selbst aus ihrem OE-Strang nicht befriedigen können und sich dieser Umstand auch negativ auf die Kaufentscheidungen der Kunden – und somit auf den OE-Absatz – auswirken würde, sind sie stets kreativ und unablässig bestrebt, den Wettbewerb zu behindern und dem freien Markt Sand ins Getriebe zu streuen. Das vorausgeschickt, sehen wir wirkliche Herausforderungen durch die UN ECE R155, unter der Überschrift „Cybersecurity“, auf den freien Markt zukommen.

Dieses könnte – und wird wahrscheinlich auch – zum Vorwand genommen werden, freien Marktteilnehmern Zugriffe, Zugänge zu Daten, Funktionen und Ressourcen zu verweigern. Kurz und knapp fordern wir sichere Autos und dieselben Rechte und Möglichkeiten, Zugänge zu Daten, Funktionen und Ressourcen für den freien Markt. Nur so kann Wettbewerb aufrechterhalten werden und Wettbewerb führt bekanntlich zu steigender Qualität, Innovation und bezahlbarer Mobilität.

Für Werkstätten geht es ja auch immer um den freien Zugang zu Ersatzteildaten. Wieso ist das eigentlich so wichtig?

Der freie und umfängliche Zugang zu Ersatzteildaten hat gleich mehrere Dimensionen, die das Thema so bedeutsam machen. Rechtlich ist dieses Thema eigentlich vollkommen eindeutig und klar im Sinn des freien Markts geklärt. Auch hierzu gab es eine Klarstellung des EuGH. Das betrifft den sogenannten Scania-Fall, in dem beschieden ist, dass die FIN sowie sämtliche mit der FIN verknüpften Informationen in elektronischer, leicht zu verarbeitender Form, zur Verfügung gestellt werden müssen. Dadurch lassen sich Teile eindeutig identifizieren, welches der Ausgangspunkt für weitere Vorteile ist.

Am Anfang dieser Kette steht die Arbeit der Publisher, die Daten so aufzubereiten, dass sich überhaupt Ersatzteilkataloge erstellen lassen. Heutzutage können freie Werkstätten Teile bis zu einem gewissen Grad identifizieren, bestellen deshalb vier Teile auf Verdacht und hoffen, dass eines passt. Die anderen werden zurückgeschickt. Diese müssen dann wieder einer Eingangskontrolle, gegebenenfalls einer Neuverpackung und Einlagerung unterzogen werden, was Kosten verursacht – zu den bereits vorprogrammierten Transportkosten. Das ist kaufmännisch wenig sinnvoll und weder ökologisch noch nachhaltig.

„Freie Werkstätten können Teile nur bis zu einem gewissen Grad identifizieren. Sie bestellen dann auf Verdacht vier Teile und hoffen, dass eins passt. Die anderen werden zurückgeschickt. Das ist kaufmännisch wenig sinnvoll und weder ökologisch noch nachhaltig.“

Welche Forderungen stellen Sie (weiterhin) an die Politik, um den IAM am Markt zu stärken?

Ein Großteil der für den Automotive Aftermarket relevanten Gesetzgebung kommt aus Brüssel. Dementsprechend beobachten wir in der neuen Legislaturperiode sehr genau die neuen Kräfteverhältnisse in den EU-Institutionen, denn diese haben großen Einfluss auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Mitglieder. Vor allem drei Gesetze müssen auf den Weg gebracht werden, wofür wir gemeinsam mit unserem europäischen Dachverband, der FIGIEFA, kämpfen. Da ist zum einen die sektorspezifische Regulierung zum Zugang zu Fahrzeugdaten, -funktionen und -ressourcen. Der sog. Data-Act reicht nicht aus. Ein Auto unterscheidet sich z.B. fundamental von einer Kaffeemaschine. Fahrzeuge sind technisch hoch komplex und enthalten eine starke sicherheitsrelevante Komponente. Um dem gerecht zu werden, bedarf es einer eigenen Verordnung. Aus Sicht des GVA muss diese Verordnung unter Einhaltung von Sicherheitsvorschriften einen direkten, bidirektionalen Zugang in Echtzeit zu den Fahrzeugdaten, -funktionen und -ressourcen beinhalten. Auch bei Services rund um das digitale Fahrzeug dürfen die innovativen Akteure des freien Marktes nicht ins Abseits geraten. Von einem starken freien Markt profitieren letztendlich die Autofahrer. Zum anderen muss der technische Fortschritt auch in der sog. Aftermarket-GVO berücksichtigt werden. Es ist gut und richtig, dass die Europäische Kommission die Aftermarket-GVO unverändert im Wortlaut bis zum 31. Mai 2028 verlängert hat. Leider ist der technische Fortschritt nur in den begleitenden Leitlinien berücksichtigt worden, welche jedoch rechtlich nicht bindend sind. Der technische Fortschritt muss in die Verordnung. Dafür setzen wir uns weiter ein. Außerdem ist da noch eine EU-weite einheitliche Reparaturklausel im europäischen Designrecht. Diese muss eine deutlich kürzere Übergangszeit haben als in Deutschland, damit spürbare Effekte eintreten. Eine lange Übergangszeit bei bereits eingetragenen Designs diskriminiert Besitzer älterer Autos.

Herr Scharmer, vielen Dank.

 

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