„Werkstätten werden gebraucht“
Der europäische Kfz-Aftermarket ist im Umbruch, wie zahlreiche Zusammenschlüsse und Übernahmen zeigen. Im Dezember 2017 wurde etwa Stahlgruber vom amerikanischen Investor LKQ übernommen. Dadurch, aber vor allem durch die Digitalisierung sowie davon profitierende neue Akteure entstehen neue Geschäftsmodelle, die den Markt deutlich ändern werden.
Die Studie Konsolidierung im europäischen Kfz-Aftermarket von Roland Berger und der HSH Nordbank kommt aber auch zu dem Schluss, dass der zu erwartende Strukturwandel im Aftermarket gleichzeitig Chancen bietet. Speziell vor dem Hintergrund, dass die Macher der Studie von einem deutlich wachsenden Markt ausgehen. Bis 2022 könnte das Marktvolumen in Europa für Wartung und Reparatur sowie Herstellung und Vertrieb von Ersatzteilen auf 248 Mrd. Euro anwachsen.
Diese Berechnung basiert auf einen wachsenden Fahrzeugmarktes um 20 Mio. Autos und einem jährlichen Wachstum von etwa ein Prozent im Jahr. Doch was bedeutet all das für Werkstätten hierzulande? Darüber hat sich KRAFTHAND mit Alexander Brenner, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger, unterhalten.
Herr Brenner, in der Studie der Unternehmensberatung Roland Berger heißt es: Die Spielregeln im Aftermarket werden neu geschrieben. Bedeutet das, der stationäre Handel verliert im B2B-Bereich an Bedeutung?
Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass auf der einen Seite der stationäre Handel steht und auf der anderen Seite der Onlinehandel. In Zukunft werden sich die Teileanbieter viel häufiger in hybride Situationen begeben und sowohl stationäre als auch Onlinekanäle bespielen. Das ist notwendig, weil manche Kunden lieber mehrere Ersatzteillieferungen pro Tag wollen – und das geht nur über den stationären Handel. Daneben gibt es auch Kunden, die etwa zur Lageraufstockung Onlineangebote nutzen, vielleicht zu besseren Konditionen.
So hybrid wie der Handel werden muss, so hybrid agieren auch die Werkstätten. Je nach Bedarf nutzen diese sowohl den stationären als auch den Onlinehandel. Im Grunde passiert das ja schon.
Werden Teilegroßhändler, die sich auch online aufstellen, hauptsächlich Werkstätten als Kunden im Blick haben oder eher den onlineaffinen Autofahrer?
Das hängt davon ab, wie wir Fahrzeuge konsumieren“. In Deutschland geht die Tendenz dahin, dass immer mehr Fahrzeuge geleast werden und über Flotten oder auch Carsharing in den Verkehr kommen. Das heißt, der Autofahrer kann mit seinem Auto oft gar nicht machen, was er will. Ich erwarte eine Entwicklung, wie wir sie aus dem Reifenhandel kennen: Die Onlineportale empfehlen gleich Werkstätten, die die bestellten Teile einbauen. Teils werden die Onlinebestellungen auch direkt dorthin geliefert.
Dadurch könnte sich in Zukunft die Werkstattauswahl ändern: Der Autobesitzer fährt dann nicht mehr nur zur Werkstatt am eigenen Ort, sondern beauftragt häufiger eine Partnerwerkstatt, die mit dem jeweiligen (Online-)Dienstleister, sei es ein Teilelieferant oder ein Leasingflottenbetreiber, kooperiert. Von daher könnte es in Zukunft für Werkstätten sehr wichtig sein, mit solchen Anbietern zusammenzuarbeiten.
Wie wird sich die Konsolidierung des Kfz-Aftermarket auf die Ersatzteilpreise auswirken?
Das ist schwer zu prognostizieren. Angesichts der Konsolidierungen im europäischen Markt ist es logisch, dass die Akteure, die Geld ausgeben, aus ihren Investitionen einen Nutzen ziehen wollen. Auf der Kostenseite passiert das zunächst sicher, indem Synergien genutzt und beispielsweise Zentralläger konsolidiert werden.
Für Werkstätten wird die Konsolidierung im Teilemarkt nicht der entscheidende Faktor für Ersatzteilpreise und Margen sein. Vielmehr wird es eben da rauf ankommen, Partner von Unternehmen zu sein, die den Werkstätten Kunden zusteuern. Das können Teilegroßhändler, aber auch Portale wie Caroobi sein.
Könnte es passieren, dass Versicherungen wie die HUK, die ja schon im Gebrauchtwagenhandel und für Unfallreparaturenim Teilehandel aktiv sind, in Zukunft Autofahrern auch Reparaturflatrates oder Ähnliches anbieten und somit die bisherigen Strukturen im Kfz-Reparatur markt auf den Kopf stellen?
Auch wenn jeder dieser Marktteilnehmer seine individuelle Strategie hat ist klar, dass hier Bewegung in den Markt kommt. Egal ob Versicherungen, Flottenbetreiber oder Gebrauchtwagenportale: Alle werden überlegen, wie sie einen Autofahrer an sich binden können. Beispielsweise über eine Reparaturflatrate für 29,90 Euro, die dem Autokäufer eine Art Sicherheit vermittelt. Ich bin überzeugt davon, dass viele Kunden solche Angebote annehmen werden.
Damit gewinnt das Thema Steuerung von Reparaturen an Bedeutung und bleibt längst nicht mehr nur auf Unfallschäden beschränkt. Für Werkstätten bedeutet das auch ein verändertes Verhältnis zum Kunden: Denn Autobesitzer wenden sich dann in Service- und Reparaturfällen zunächst an die Versicherung, das Portal oder den sonstigen Dienstleister, bevor sie eine Werkstatt kontaktieren.
Wenn es dazu kommt, was könnte das für freie und für Markenwerkstätten bedeuten? Wer wird hier Gewinner und wer Verlierer sein?
Auch wenn es sicher keine überraschende Antwort ist. Die Guten überleben und die Schlechten werden es schwer haben. Deshalb ist es wichtig, gute Leute zu bekommen und zu halten. Entscheidend dürfte auch sein, wie die Teilegroßhändler sich in Zukunft verhalten: Haben sie Werkstattkonzepte, die freie Werkstätten unterstützen? Kommen sie an Flottenverträge, mit denen sie ihren Partnerwerkstätten zusätzliche Kunden zuführen können?
Doch egal wie sich der Markt entwickelt, am Ende des Tages brauchen alle Marktteilnehmer gute und verlässliche Servicepartner. Die Hand des Mechanikers am Auto brauchen alle, sie ist nicht ersetzbar durch eine virtuelle Werkstatt- App. Von daher müssen Werkstätten auch nicht allzu schüchtern auftreten. Sie werden gebraucht.
Herr Brenner, herzlichen Dank.
Das Interview führte Torsten Schmidt.
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