Was und wer kann Pass Thru?
Pass Thru ist ein Begriff, der schon seit Jahren durch die Branche schwirrt. Folglich wissen inzwischen die meisten Kfz-Profis – und nicht mehr nur Brancheninsider und Diagnosegeräteanbieter – was es damit auf sich hat. Und dennoch ist dieses Thema für viele Werkstätten noch Neuland. Krafthand beleuchtet das Thema umfassend und lässt einen Leser sowie einen Diagnoseexperten zu Wort kommen.
In der Theorie arbeiten elektronische Bauteile, also auch Steuergeräte verschleißfrei. Natürlich ist das Blödsinn. Auch die oft ECU genannten Gehirne elektronischer Fahrzeugsysteme gehen regelmäßig kaputt. Und das ohne mechanische Fremdeinwirkung oder indem sie durch Kurzschluss beziehungsweise Überspannung abgeschossen“ werden. Vielmehr sind Wärmeeinwirkung, Vibrationen oder konstruktive Schwachstellen typische Ausfallursachen.
Doch was auch immer zu einem defekten Steuergerät führt: Muss eine Werkstatt dieses erneuern, geht das bei modernen Fahrzeugen mit einer Neuprogrammierung via Scantool einher. Noch viel häufiger als eine komplette Neuprogrammierung stehen jedoch Software-Updates an, um beispielsweise softwarebedingte Fehler zu beheben. Im Fachjargon spricht man in diesem Zusammenhang vom Flashen.
Auch Freie können Flashen
Das alles ist Kfz-Profis auch in freien Werkstätten so bekannt wie die Ursache für Schlieren auf der Windschutzscheibe bei Regen. Nur können unabhängige Kfz-Betriebe Steuergeräte nicht so ohne Weiteres programmieren beziehungsweise flashen wie Wischerblätter austauschen. Dabei wäre es theoretisch längst machbar. Denn die EU schreibt den Fahrzeugherstellern vor, dass sie für Fahrzeuge ab Euro-Norm 5 auch freien Betrieben Software-Updates ermöglichen müssen. Das Verfahren dafür nennt sich Pass Thru, nach dem Standard SAE 2534 und/oder ISO 22920.
Und weil es sich hierbei um einen für jeden Gerätehersteller offenen Standard handelt, können diese ihre Mehrmarken-Diagnosegeräte so ausstatten, dass sie sich für Software-Updates einsetzen lassen. Vorausgesetzt natürlich, dass diese pass-thru-fähig sind. Damit ist klar: Nicht nur Systeme wie das vom ZDK mitentwickelte Euro-DFT oder andere im Internet angebotene spezielle Pass-Thru-Lösungen ermöglichen Software-Updates, sondern auch diverse der einschlägig bekannten und bewährten Diagnosegeräteanbieter des freien Markts.
So beschäftigt sich beispielsweise Hella Gutmann Solutions (HGS) schon seit geraumer Zeit mit dem Thema. Gegenüber KRAFTHAND erklärt Produktmanager Ralf Gutekunst, dass Diagnosegeräte der Mega- Macs-Serie pass-thru-fähig sind und somit dasselbe bieten, wie Anbieter von nur auf Pass Thru spezialisierte Geräte“ (siehe auch Interview mit Gutekunst).
So sieht die Realität aus
Fakt ist jedoch auch, dass es bis dato bei vielen Anbietern im Zusammenhang mit Pass Thru noch recht ruhig war. Auf der einen Seite, weil man selbst noch Erfahrungen damit sammeln musste, auf der anderen Seite ist die Nachfrage von Werkstätten noch relativ gering. So weiß die Redaktion aus Hintergrundgesprächen mit Spezialisten von AVL Ditest und Bosch, wie hoch die Berührungsängste bei freien Werkstätten in Sachen Flashen via Pass Thru nach wie vor sind.
Produktmanager Gutekunst zählt auf, welche Argumente von den Werkstätten immer wieder vorgebracht werden: Das brauche ich nicht.“ Das ist viel zu teuer.“ Oder: Da fahre ich lieber zum OE, dort habe ich keinen Ärger, wenn mal was schiefgeht.“ Wobei er gegenüber KRAFTHAND auch erklärt, dass insbesondere Werkstätten auf dem Land sich nun immer öfter mit dem Flashen auseinandersetzen würden, da deren Weg zum OE oft sehr weit und somit extrem zeitintensiv sei.
Das Prinzip des Pass-Thru-Verfahrens
In den EU-Verordnungen zur Homologation von Euro-5- und Euro-6-Fahrzeugen werden die Automobilhersteller gesetzlich verpflichtet, allen – also auch markenunabhängigen Kfz-Betrieben – einen standardisierten Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dieser Euro-Klassen und das Programmieren von Steuergeräten zu ermöglichen. Letzteres können freie Werkstätten mit dem Pass-Thru-Verfahren vornehmen.
Die englische Wortkombination Pass Thru heißt frei übersetzt durchschleifen“. Die zunächst etwas merkwürdig anmutende Bezeichnung geht darauf zurück, dass die für ein Software-Update notwendigen Daten vom Server beim Fahrzeughersteller über das Internet zunächst an einen PC/ Laptop und von hier via einer pass-thru-fähigen VCI oder einem pass-thru-fähigen Mehrmarken-Scantool zum Fahrzeug übertragen (durchgeschleift) werden. Voraussetzung dafür ist die Installation einer Software des jeweiligen Fahrzeugherstellers auf einen PC/Laptop. Diese Software dient quasi als Zugang zum Server und als Bedienoberfläche.
Leser und Automotive-Aftermarket- Trainer Markus Grünewald kann Werkstätten nur dazu raten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, zumal es kein Hexenwerk ist. Auf der KRAFTHAND-Facebook-Seite hat er zum Thema Software-Updates Folgendes geschrieben:
… Ich kann nur jeder Werkstatt empfehlen, sich mit dem Pass-Thru-Verfahren zu beschäftigen. Bei den meisten Herstellern, bis auf VAG, ist es mit überschaubarem Aufwand zu realisieren. In vielen meiner Schulungen habe ich fast bei jedem Fahrzeughersteller schon Updates durchgeführt und das mit kaum nennenswerten Problemen. Natürlich sollte man die Herstelleranweisungen dazu genau befolgen. Und wollen wir ehrlich sein, bei jeder Reparatur kann es zu Problemen kommen. Das passiert beim Update nicht häufiger als bei anderen Werkstatt arbeiten.“
Werkstätten sollten sich in Sachen Flashen nur auf zwei oder drei Fahrzeugmarken konzentrieren
Bei seinem Kommentar stützt sich Grünewald auf Erfahrungen mit Diagnosegeräten von Actia, Bosch und Hella Gutmann. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass freie Kfz-Betriebe nicht mal eben so nebenbei Flashen können. So ist es notwendig, sich auf der dafür vorgesehenen Onlineplattform beim entsprechenden Fahrzeughersteller zu registrieren – was durchaus zeitraubend und nervenaufreibend sein kann. Übrigens der Grund, weshalb einige Anbieter von Pass- Thru-Lösungen angeben, dies für die Werkstätten zu übernehmen.
Allerdings sei es schwierig bis unmöglich einen Support für alle OE-Portale zu leisten, solange es keinen einheitlichen Standard gibt, warnt Hella- Gutmann-Experte Gutekunst. Seine Begründung: Da OEs nicht verpflichtet sind, über Änderungen auf ihren Portalen zu informieren, kann es sein, dass Funktionen, die gestern noch da waren, heute woanders oder überhaupt nicht mehr vorhanden sind. Deshalb empfiehlt er, Werkstätten sollten sich in Sachen Flashen nur auf die (zwei oder drei) Fahrzeugmarken konzentrieren, bei denen sie tatsächlich häufiger Updates fahren wollen.
Bei den meisten Herstellern sind Software-Updates mit überschaubarem Aufwand zu realisieren.
Das Registrieren und Zurechtfinden auf den Portalen ist jedoch nur das eine. Es müssen zudem die Rahmenbedigungen in der Werkstatt passen. Es braucht eine ausreichend schnelle Internetverbindung (z. B. mindestens 16 M/Bit). Und ebenfalls ganz wichtig: ein Stützladegerät mit genügend Leistung. Es wäre nämlich fatal, wenn die Bordspannung während des Flashvorgangs zusammenbricht. Doch das sollte bei dem ganzen Thema wirklich das kleinste Problem sein.
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