Vom Reparaturprofi zum Mobilitätsdienstleister
Die wachsende Bedeutung von Elektronik und Software im Auto nimmt laut der Unternehmensberatung Roland Berger langfristig Einfluss auf die gesamte Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie, bis hin zur Werkstatt. KRAFTHAND hat bei einem der Analysten nachgefragt, was genau auf Kfz-Profis zukommt.
Herr Meissner, inwiefern wird das Auto von morgen ein Computer auf Rädern sein?
Im Auto von morgen sind Elektronik und Software die zentralen Elemente der Fahrzeugarchitektur. Bisher hat die Elektronik vor allem Einzelfunktionen kontrolliert. In Zukunft aber sollen intelligente Assistenzsysteme sicherheitsrelevante Fahrentscheidungen treffen – und das zunehmend automatisiert im Verbund vieler Einzelfunktionen. Gleichzeitig wird der klassische Antriebsstrang immer öfter elektrifiziert. Die für all das erforderliche Rechenleistung wird zunehmend durch spezialisierte zentrale Hochleistungscomputer im Fahrzeug bereitgestellt.
Ich bin optimistisch, dass sich neue Chancen ergeben. Werkstätten können mit Fehlerdiagnose, Wartung und dem Austausch von elektronischen Komponenten Einnahmen generieren. Darüber hinaus eröffnet das Thema Batterie- und Mobilitätsmanagement neue Möglichkeiten.
Inwiefern werden die Industrie, der Handel, aber auch die Werkstätten davon betroffen sein?
Die Automobilindustrie befindet sich bereits in einem tiefgreifenden Wandel. Alle Hersteller arbeiten an Modellen mit elektrifizierten Antriebssträngen. Einige wollen sogar vollständig auf Verbrennungsmotoren verzichten. Parallel investieren OEMs, aber auch Zulieferer erhebliche Ressourcen in die Softwareentwicklung und gründen hierfür eigene Sparten. Dabei setzen Hersteller und Zulieferer auch verstärkt auf Partnerschaften, um Innovationen auf die Straße zu bringen.
Im Vertrieb ist die Entwicklung allerdings weniger dynamisch. Viele Kunden wollen neue Autos nach wie vor Probefahren und benötigen Beratung, wenn es um neue Technologien geht. In den Werkstätten wiederum muss die Fähigkeit aufgebaut werden, diese Funktionsumfänge auch zu verstehen, sprich zu diagnostizieren, zu warten und/oder zu reparieren.
Gerade freie Werkstätten können häufig nur in begrenztem Umfang neue Technologien und Services im Vorfeld testen und erproben. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
In der Automobilindustrie mussten sich Werkstätten schon immer auf neue Technologien vorbereiten. Es ist wichtig, dass die Werkstätten und Fachverbände aktiv auf die Hersteller zugehen. Diese sind schließlich auf ein gut vorbereitetes Servicenetz angewiesen. Der Wert eines Fahrzeugs für den Kunden hängt zu einem großen Teil von schneller und fachgerechter Wartung und Reparatur ab. Hier haben natürlich die Händlerwerkstätten einen Vorteil, da sie über einen schnelleren und direkteren Zugriff auf neue Technologien des Herstellers verfügen. Freie Werkstätten benötigen Unterstützung von außen, um sich auf diese neuen Technologien vorzubereiten.
Ist zu erwarten, dass Fahrzeuge noch seltener in die Werkstatt zur Wartung und Reparatur kommen?
Das ist zu erwarten, es wird aber eine längere Zeit der Anpassung geben. Vor allem der Übergang zu vollelektrischen Antrieben reduziert den Bedarf für regelmäßige Motorenwartung und Ölwechsel. E-Modelle haben weniger mechanische Verschleißteile und die Energierückgewinnung schont die Bremsen. Darüber hinaus werden intelligente Assistenzsysteme die Unfallzahlen reduzieren. Um die Software auf dem neuesten Stand zu halten, muss der Kunde auch immer seltener in die Werkstatt. Dies bedeutet, dass sich das traditionelle Servicespektrum der Werkstätten weiterentwickeln muss, beispielsweise vom Reparatur- hin zum Mobilitätsdienstleister.
Wie können sich Kfz-Profis proaktiv auf das Werkstattzeitalter 4.0 vorbereiten? Ist herkömmliches Werkstattwissen überhaupt noch gefragt oder ist mehr denn je Softwarekenntnis notwendig?
Werkstattwissen wird auch weiterhin gefragt sein – das Auto von morgen wird nach wie vor Reifen, Bremsen, eine Lenkung und andere mechanische Bauteile haben. Im Bereich der Hybridantriebe ergibt sich sogar zusätzlicher Bedarf. Schließlich müssen ein Verbrennungs- und ein E-Motor in Schuss gehalten werden. Allerdings ist es für Werkstätten sicher notwendig, Fachwissen im Bereich von Elektronik, Sensorik und E-Antrieben aufzubauen. Dafür braucht es auch das richtige Personal. Die Wartung von Batterien mit bis zu 800 Volt Spannung oder elektrischen Schaltgeräten für bis zu 1.000 Ampere erfordern gut ausgebildete Spezialisten. Dies gilt auch heute schon etwa für das neue Anlernen von reparierten Fahrerassistenzsystemen.
Ergeben sich bestenfalls neue Geschäftsfelder für Werkstätten? Welche könnten das sein?
Ich bin optimistisch, dass sich neue Chancen ergeben. Werkstätten können mit Fehlerdiagnose, Wartung und dem Austausch von elektronischen Komponenten Einnahmen generieren. Darüber hinaus eröffnen die Installation von Ladeinfrastruktur beim Kunden oder Serviceangebote rund um das Thema Batterie- und Mobilitätsmanagement neue Möglichkeiten.
Mit der dargestellten Entwicklung geht ein Preisanstieg für Elektrokomponenten einher. Wie sind diese höheren Kosten zu erklären?
Wir haben errechnet, dass der Kostenanteil elektronischer Komponenten im Verhältnis zu allen Bauteilen voraussichtlich von aktuell etwa 16 auf rund 35 Prozent bis 2025 wachsen wird. Dabei schlägt der finanzielle Aufwand für elektronische Module bei einem Premiumfahrzeug mit klassischem Verbrennungsmotor heute bereits mit rund 3.000 Dollar zu Buche. Beim „Computer auf Rädern“ – einem halbautonom fahrenden, elektrifizierten Auto – werden es bis 2025 mehr als 7.000 Dollar je Fahrzeug sein. Das liegt vor allem an der Komplexität von Komponenten und Software. Das (teil)autonome Fahren erfordert eine immense Rechenleistung, E-Antriebe stellen völlig neue Anforderungen an die Leistungselektronik. Am Ende müssen diese Innovationen aber auch bezahlbar bleiben und die Gesamtbetriebskosten mit aktuellen Fahrzeugen vergleichbar sein.
Welche Auswirkungen hat diese Preisentwicklung für den Werkstattumsatz? Gibt es hier eine unmittelbare Verbindung?
Das ist noch schwer abzuschätzen. Die Kosten für Komponenten werden steigen und an den Endkunden weitergereicht. Die Arbeitsleistungen von Spezialisten in der Reparatur schlagen in den entsprechenden Stundensätzen zu Buche. Die Frage wird eher sein, ob gewisse Reparaturen direkt in und durch die Werkstatt erfolgen oder ob die Werkstatt in Zukunft gesamte Module nur austauscht, während die eigentliche Reparatur des darin enthaltenen defekten Teils an anderer Stelle erfolgt.
Herr Meissner, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Kerstin Thiele.
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