Übernahme von Mängelkosten durch Hersteller auch nach Ablauf von Fristen

Schwache Rechte: Bis auf wenige Ausnahmen in der Rechtsprechung ist die Kulanz ein lediglich freiwilliges Entgegenkommen des Herstellers oder des Händlers im Fall einer mangelbezogenen Reparatur, sofern der Mangel außerhalb der Gewährleistungsfrist auftritt. Bild: Guranti

Das Kulanzargument wird häufig bewusst zu Marketingzwecken angeführt. Denn angesichts diverser Produkthaftungsprozesse in der Vergangenheit wissen inzwischen viele Automobilhersteller, dass ein über Jahre hinweg aufgebautes positives Image sehr schnell durch eine schlechte Presse verlorengeht. Ein genereller Anspruch auf eine Übernahme der Kosten besteht zwar nicht, allerdings kann sich ein Hersteller in seinen Aussagen durchaus rechtlich binden.

‚Die Garantiefrist ist leider abgelaufen, aber wir reichen die Reparatur zur Kulanz ein‘, auf diese Weise versuchen Kfz-Profis ihre Kundschaft zu beschwichtigen, wenn der Ausfall des Pkw auf einen Mangel zurückzuführen ist, der sich erst außerhalb der Gewährleistungs- oder Garantiefrist zeigt. In vielen Fällen sind derartige Reparaturleistungen mit hohen Materialkosten verbunden, denn als Ursache wird nicht selten eine komplexe Bauteilgruppe identifiziert, deren Anschaffung sich bereits im vierstelligen Bereich bewegt.
 
Gefälligkeit
Gegenüber dem Kunden heißt „Kulanz“ zunächst, dass der Hersteller aus Großzügigkeit Reparaturkosten übernimmt, gewissermaßen aus Gefälligkeit dem geplagten Kunden gegenüber. So beschriebene Leistungen werden in der Rechtswissenschaft jedoch unterschiedlich bewertet.

Eine solche ‚Gefälligkeit‘ ist nicht unbedingt mit der ‚Gefälligkeit‘ aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch gleichzustellen. Beispielsweise werden etwa die Leihe oder die unentgeltliche Verwahrung von Sachen in der juristischen Fachsprache durchaus als Gefälligkeitsgeschäfte tituliert. Gefälligkeit in diesem Sinn bedeutet demnach nichts anderes als „nicht gewinnbringend“ (Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Ein Gefälligkeitsverhältnis zeichnet sich zusätzlich durch seine Unverbindlichkeit aus.

Selbst in der Rechtsprechung sind klare Aussagen schwer zu treffen, wie das Zitat des OLG Karlsruhe beweist: „Entscheidend kommt es darauf an, ob derjenige, der eine nur gefälligkeitshalber zugesagte unentgeltliche Leistung bewirkt, eine Rechtsbindung herbeiführen wollte“, so die Richter  – oder eben nicht.

Im Zentrum steht also der – notfalls durch das Gericht festzustellende – Rechtsbindungswille des Herstellers oder der Werkstatt; anders ausgedrückt: Im Kulanzfall käme es darauf an, auf welche Art und Weise und zu welchem Zweck die Werkstatt oder der betroffene Automobilhersteller das Kulanzinstrument einsetzt. Denn sowohl der Grund als auch der Zweck sowie die wirtschaftliche Bedeutung können das reine Gefälligkeitsverhältnis, dem die Kulanz grundsätzlich angehört, in ein Rechtsverhältnis umschlagen lassen. Das OLG Köln (OLG Köln, in: Der Betrieb 1975, 2271) hat etwa die Kulanzzusage des Herstellers, welche ein Autohändler seinem Kunden gegenüber gab, als rechtliche Verpflichtung zulasten des Autohändlers gewertet, da er aus Sicht des OLG mit dieser Aussage erst den Reparaturauftrag für sich „gewinnen konnte“. Eine durchaus problematische Entscheidung, da der Händler allein wegen einer Werbebotschaft zur Verantwortung gezogen wurde. Gleichwohl: Inzwischen haften Unternehmen immer häufiger für ihre Werbeaussagen. Dass im Fall der Kulanz sowohl die Werkstatt (Händler) als auch der Hersteller immer noch das Argument der Freiwilligkeit entgegenhalten können, um Rechtsansprüche von Kundenseite abzuwehren, stößt in der Rechtsliteratur bisweilen auf Skepsis (Bachmeier, Rechtshandbuch Autokauf).

Missbrauch des Kulanzbegriffs?
Diese Autoren kritisieren etwa, dass das Kulanzargument nicht selten als Schutzbehauptung ins Feld geführt wird, etwa dann, wenn der Kfz-Profi bei ernsthafter Prüfung der Kundenreklamation ohnehin verpflichtet wäre, zu leisten. Das OLG Frankfurt (ZGS 2006, 476) dazu wörtlich:

‚In dem die Beklagte die Reparatur ,aus Kulanz’ ohne Berechnung durchführte, wurde sie nicht lediglich aufgrund eines Gefälligkeitsverhältnisses tätig. Da die Klägerin die Nachbesserung als Gewährleistung aufgrund des Kaufvertrages verlangte, da sie ferner wegen der für sie ersichtlich auf dem Spiel stehenden erheblichen Werte auf eine fachgerechte Reparatur vertraute, die die Beklagte sich ohne Berechnung durchzuführen bereiterklärte, wurde durch die Annahme des Reparaturauftrages ,aus Kulanz` kein Gefälligkeitsverhältnis, sondern ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis begründet. Auf dieses Schuldverhältnis sind nicht die Regeln des Auftragsrechts anzuwenden. Vielmehr wollten die Parteien die Mangelbeseitigung an der Auspuffkrümmerdichtung ersichtlich so behandeln, als könne die Klägerin Nacherfüllung gemäß § 439 Absatz 1 BGB verlangen.‘

Die Frankfurter Richter betonen mit dieser Aussage ihre Haltung, bestehende Rechtsansprüche seien auch dann zu gewähren, wenn der Kfz-Profi mit seinem Entgegenkommen gerade die (angebliche) Unverbindlichkeit seines Tuns hervorheben möchte. Zudem wird durch eine ‚Kulanzreparatur’, die aus Sicht des Kunden eine Nachbesserung darstellt, die Gewährleistungsfrist unterbrochen oder sie beginnt neu zu laufen (BGH, Az.: VIII ZR 16/05). Das heißt, der Kfz-Profi kann sich nicht unter Verwendung falscher Begriffe seiner Gewährleistungsverpflichtung entziehen.

Unsichere Rechtslage
Nach wie vor sind die Möglichkeiten des Käufers begrenzt, Mängel an seinem Fahrzeug auf dem Kulanzweg beseitigen zu lassen – sehr begrenzt sogar. Sich in dieser vermeintlichen Sicherheit wähnend, lehnen diverse Hersteller Anfragen aus ihrer Händler- und Serviceorganisation nicht selten ab, insbesondere dann, wenn der Kunde bereits Wartungsarbeiten an eine freie Werkstatt vergeben hatte. Diese Haltung zeugt jedoch von einer kurzfristigen Denkweise – denn nicht nur, dass die von der Ablehnung des Kulanzantrags betroffene Markenwerkstatt quasi als ‚Blitzableiter‘ missbraucht wird; der mögliche endgültige Verlust des Kunden ‚schmerzt’ letztlich auch den Hersteller.

Leihwagen
In vielen Fällen stellt im tatsächlichen Kulanzfall der Kfz-Profi dem Kunden ein Leihfahrzeug zur Verfügung – in der Regel handelt es sich dabei um eine unentgeltliche Leihe. Im Fall eines Unfalls würde der Kunde angesichts der Rückgabepflicht nach §604 BGB demnach die Haftung übernehmen. Im Vergleich zur Probefahrt wäre dieses Ergebnis aber ungerecht. So plädieren diverse Gerichte zumindest für eine Haftungsreduzierung in Höhe der Eigenbeteiligung bei der Kaskoversicherung.