Meine Lenkung geht dauerhaft extrem schwer“, bemängelte der Kunde, der neulich in unsere Werkstatt kam. Er berichtete weiter, das Lenkproblem sei vor einigen Tagen urplötzlich aufgetreten und nach einem Neustart des Motors wieder verschwunden. Doch einen Tag später ließ sich die Servotronic-Lenkung erneut nur noch mit großem Kraftaufwand betätigen.
Unser Kfz-Mechatroniker verkabelte den Audi A6, Baujahr 2010 mit 2,0-l-TFSI-Motorisierung, mit einem Diagnosegerät und überprüfte die Einträge im Fehlerspeicher. Allerdings war kein Fehlercode gespeichert. Auch die Überprüfung der richtigen Füllmenge des Hydrauliköls im Ausgleichsbehälter ergab keine Auffälligkeiten.
Maßnahmen der Werkstatt
Da es sich bei der Servotronic dieses Fahrzeugmodells um eine klassische hydraulische Ausführung handelt, ersetzte der Mechatroniker auf Anweisung des Werkstattmeisters zunächst die Flügelzellenpumpe. Nach den Montagearbeiten und anschließendem Drehen des Lenkrads bei Motorleerlaufdrehzahl stellte er jedoch fest, dass das Problem nach wie vor existierte. Als nächsten Schritt sollte der Techniker das Magnetventil an der Lenkung ersetzen. Da laut den Reparaturunterlagen hierzu der Ausbau des Lenkgetriebes nötig ist, rief der Werkstattmitarbeiter zunächst einen Kollegen einer anderen Werkstatt an. Allerdings konnten bei diesem Gespräch die Fragen zu notwendigen Demontagearbeiten und zur Ausstattung (PR-Codes) des Fahrzeugs nicht eindeutig geklärt werden. Denn die Fahrzeugpapiere und das Serviceheft lagen im Handschuhfach. Doch dieses ließ sich nicht öffnen.
Variationsreicher Fehler
Der Mechatroniker überprüfte die Bauteile sowie die Funktion der Servotronic nochmals anhand der vorhandenen Reparaturunterlagen. Da allerdings keine Stromlaufpläne zur Fehlersuche vorhanden waren, rief er die technische Hotline des Herstellers des eingesetzten Diagnosegeräts an. Anhand der Schilderungen und bisherigen Prüfungsarbeiten des Mechatronikers erkannte der Hotline-Techniker einen technischen Zusammenhang zwischen der hydraulischen Lenkung und der Entriegelung des Handschuhfachs.
Laut Informationen des Hotline-Mitarbeiters ist in dem Audi A6 ein zweites Bordnetzsteuergerät verbaut. Dieses Steuergerät steuert sowohl die Entriegelung des Handschuhfachs als auch das Magnetventil der Servotronic an. Fällt nun dieses Bordnetzsteuergerät aus, wird im Gesamtfehlerspeicher des Fahrzeugs allerdings kein Fehlereintrag gespeichert. Prüfen lassen sich die verbauten Steuergeräte nur mit einem geeigneten Diagnosegerät über einen bestimmten Menüpunkt.
Unser Mechatroniker wählte anschließend mit dem Diagnosegerät über den Menüpunkt Fehlercode – Gateway – Diagnose-Gateway alle Steuergeräte an. Somit konnte er feststellen, welche im Fahrzeug verbaut sind und gleichzeitig erkennen, ob sie antworten. Um aber an das Bordnetzsteuergerät 2 zu kommen, war das Handschuhfach auszubauen. Auch hier half uns der Hotline-Spezialist weiter und erklärte dem Techniker die Notentriegelung. Dazu wird die seitliche Blende am Armaturenbrett entfernt und der Verriegelungsstift an der oberen rechten Ecke des Deckels mit einem 6 mm starken Dorn nach innen gedrückt.
Mit Hilfe des angeforderten Stromlaufplans überprüfte der Mechatroniker nun die Verkabelung und das Bordnetzsteuergerät 2 genauestens. Die Prüfung ergab: Das Steuergerät ist defekt. Nach dem Ersetzen funktionierte die Servotronic wieder einwandfrei und auch das Handschuhfach ließ sich problemlos öffnen.
Klaus Heinl, Neuhausen/Schweiz
Dieser Zu-Ende-denken-Fall ist in folgendem Buch erschienen:
Zu Ende denken… Band 7 – Knifflige Fälle aus dem Werkstattalltag
1. Auflage 2017, von Rudolf Guranti, 120 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 15,80 Euro
Die Rubrik ‚Zu Ende denken’ erscheint in der Fachzeitschrift KRAFTHAND. Aus Leserzuschriften stellt die Redaktion knifflige Werkstattfälle zusammen und veröffentlicht sie. Band 7 präsentiert spannende Problemfälle aus der Werkstattpraxis. Gegliedert ist das Buch in die Kategorien Elektrik/Elektronik, Fahrwerk/Bremse, Motor/Antrieb/Abgasanalge.