Vom Identteil über Nachbau bis zum Remanufacturing: GVA-Präsident Thomas Vollmar über die Begrifflichkeiten im Teilehandel und die drängendsten Herausforderungen für Händler – dabei überrascht seine Aussage zur (noch) geringen Bedeutung von wiederaufbereiteten Teilen.
Herr Vollmar, was genau steckt hinter den Begriffen Identteile, Remanufacturing und Nachbau? Worin unterscheiden sie sich per Definition?
Die Begriffe sind keine juristischen Bezeichnungen, sondern eine Frage der Praxis. Ein Identteil ist ein baugleiches Ersatzteil des Zulieferers, der auch in die Erstausrüstung liefert. Es unterscheidet sich nur durch die Markierung vom Originalteil des Fahrzeugherstellers. Ein Ersatzteil, das unter den Begriff Remanufacturing fällt, ist ein wiederaufbereitetes Ersatzteil. Dazu wird es zerlegt, gereinigt und bei Bedarf werden einzelne Komponenten ausgetauscht. Am Ende ist es wie ein Neuteil.
Unter Nachbauteil versteht man Teile, die mit den Originalteilen funktions- und zumeist baugleich sind, aber von einem anderen Hersteller stammen. Solange nicht ausnahmsweise Schutzrechte entgegenstehen, gilt der Grundsatz der Nachbaufreiheit, wobei selbstverständlich gesetzliche Vorgaben wie Kennzeichnungspflichten und Typgenehmigungsvorschriften zu beachten sind.
Welche Rolle spielt Remanufacturing mittlerweile im Teilegroßhandel?
Remanufacturing spielt im Teilehandel noch keine große Rolle, ist aber im Kommen. Zum einen gibt es legislative Beweggründe, wie den European Green Deal, der Ressourcenschonung und die Kreislaufwirtschaft zum Ziel hat. Zum anderen haben uns Corona und Kriege der letzten Jahre gezeigt, dass es zu massiven Lieferschwierigkeiten aus Fernost kommen kann. Da kann es sinnvoll sein, ein wiederaufbereitetes Teil zu verwenden anstatt auf ein neues Teil zu warten, welches erst mit Verzögerung ankommt oder keinen Preisvorteil mehr hat, weil die Frachtraten aufgrund von lokalen Krisen, etwa im Suez-Kanal, temporär stark steigen.
„Bis E-Autos in hinreichend großer Menge auf dem Automotive Aftermarket sind, wird es noch einige Zeit dauern. … Das Ziel der Bundesregierung von 15 Millionen E-Autos bis zum Jahr 2030 halten wir jedoch für nicht erreichbar.“
Welche Trends zeichnen sich im Teilehandel außerdem ab?
Ein weiterer Trend, der sich im Teilehandel abzeichnet, ist die Elektromobilität. Im Gegensatz zum Primärmarkt (Erstausrüstung) treffen die Auswirkungen der Elektromobilität den Sekundärmarkt (Aftersales), erst recht den freien Sekundärmarkt, teils mit erheblicher Verzögerung. Bis E-Autos in hinreichend großer Menge auf dem Automotive Aftermarket sind, wird es noch einige Zeit dauern. Wie sich die Durchdringung von E-Autos auf den gesamten Fahrzeugbestand fortsetzt, ist ungewiss. Das Ziel der Bundesregierung von 15 Millionen E-Autos bis zum Jahr 2030 halten wir jedoch für nicht erreichbar. Es fehlen nach wie vor die richtigen Rahmenbedingungen für ein schnelles Hochfahren der E-Mobilität.
Unsere Handelsmitglieder beobachten sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite sehr genau und werden den Werkstätten als kompetente Ansprechpartner auch in Zukunft zur Verfügung stehen. Unsere Handelsmitglieder sind keine Verkäufer, sondern Teilespezialisten. Das ist beim komplexen Produkt Autoersatzteil absolut notwendig.
Was sind die größten Herausforderungen, denen sich Teile(groß)händler jetzt und in Zukunft stellen müssen und welche Rolle spielen dabei (freie) Werkstätten?
Die derzeit größte Herausforderung ist die Digitalisierung des Fahrzeugs und die daraus resultierenden Rahmenbedingungen für den Sekundärmarkt. Damit die hoch innovativen Akteure des freien Automotive Aftermarket, wozu auch die freien Werkstätten gehören, nicht ins Abseits geraten und auch rund um das digitale Auto Dienstleistungen anbieten können, bedarf es geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen. Die Wahlfreiheit der Verbraucher bei Service und Wartung ihrer Fahrzeuge muss auch für das digitale Fahrzeug gelten. Wir brauchen dringend einen geeigneten rechtlichen Rahmen, der fairen Wettbewerb bei dem Thema fahrzeuggenerierte Daten herstellt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Europäische Kommission muss noch vor der Europawahl im Juni 2024 einen Vorschlag einbringen, sonst droht eine weitere jahrelange Verzögerung zu Lasten des freien Markts und der Verbraucher.
Herr Vollmar, vielen Dank.