Dekra-Unfallforschung

Reifenprofiltiefe vs. Sicherheit – ab wann’s wirklich gefährlich wird

Dass die Performance von Reifen mit abnehmendem Profil leidet, dürfte jedem klar sein. Wie krass der Leistungsabfall jedoch tatsächlich ist und warum die Mindestprofiltiefe eigentlich nicht ausreicht, zeigen Tests der Dekra-Unfallforschung. Bild: ZDK/ProMotor
Dieser Beitrag ist Teil des Spezials: Rad & Reifen.

Ab welcher Profiltiefe der Grip von Reifen spürbar nachlässt, darüber herrscht bei Reifenherstellern kein Konsens. Neueste Versuchsreihen geben Orientierung und zeigen, dass die Performance der Pneus schon deutlich vor der gesetzlichen Vorgabe von 1,6 mm nachlässt.

Um den Einfluss der Profiltiefe auf das unfallrelevante Fahrverhalten eines Pkw mit Zahlen untermauern zu können, haben die Experten der Dekra Unfallforschung neue Reifensätze namhafter Hersteller in zwei Größen bei einem Runderneuerer maschinell abrauen, also die Profiltiefe reduzieren lassen. Damit waren verschiedene Versuchsreihen mit Profiltiefen von 7 – 8 mm (Neuzustand), 4 – 5 mm und 2 – 3 mm möglich.

Bremsverhalten

Für die Verzögerungseigenschaften wurde ein Pkw mit den Reifensätzen jeweils aus 100 km/h auf nasser und auf trockener Fahrbahn (ABS-Bremsung nach DIN 70028) voll abgebremst. Auf nassem Asphalt stellten die Tester beim Vergleich der niedrigsten Profiltiefe mit dem Neuzustand einen Bremswegzuwachs von 16 bis 18 Prozent fest. Was das im Ernstfall bedeutet, erläutert Peter Rücker, Leiter der Dekra Unfallforschung und Unfallanalytik: „An der Stelle, an der man mit neuwertigen Reifen zum Stehen kommt, hat das Fahrzeug mit 2 bis 3 mm Profiltiefe noch eine Restgeschwindigkeit von rund 30 km/h.“ Prallt man damit beispielsweise gegen das Heck eines Lkw, sind schwere Verletzungen möglich. Bei einer Kollision mit einem Radfahrer sind für diesen schwerste, schlimmstenfalls tödliche Verletzungen wahrscheinlich.

Die Versuchswerte mit den abgerauten Reifen auf trockener Fahrbahn zeigten zwar ebenfalls einen verlängerten Bremsweg, allerdings nur um 2,4 bis 8,5 Prozent.

Kurvengrenzgeschwindigkeit

Die zweite Versuchsreihe war eine stationäre Kreisfahrt nach ISO 4138. Dabei beschleunigt ein Testfahrer den Pkw in einem festen Kurvenradius nach und nach, bis die Querkraftübertragung in den Grenzbereich kommt und das Fahrzeug ausbricht – also bis zur Kurvengrenzgeschwindigkeit. Dabei machte die Profiltiefe auf trockener Fahrbahn nur einen geringen Unterschied. Bei Nässe hingegen lag die Kurvengrenzgeschwindigkeit laut Angaben mit 2 bis 3 mm Profiltiefe zwischen 10 und 18 Prozent niedriger als mit den Neureifen. Demnach gerät das Fahrzeug schon bei viel niedrigeren Geschwindigkeiten in einen instabilen Fahrzustand.

Elchtest

Die dritte Versuchsreihe, der doppelte Fahrspurwechsel (nach ISO 3888-1), auch bekannt als „Elchtest“, diente dazu, die vorherigen Tests zu untermauern. Es wurde bestätigt, dass mit abnehmendem Profil insbesondere bei Nässe aufgrund der geringeren Kraftübertragung leichter kritische Situationen entstehen können – auch, weil das Stabilitätsprogramm ESP bei Nässe und geringem Profil weniger effektiv eingreifen kann.

Die Fahrversuche am Dekra-Lausitzring wurden auf trockener und nasser Fahrbahn zum Brems-und Kurvenverhalten sowie zum Elchtest vorgenommen. Bild: Dekra

Unberücksichtigter Faktor und Expertentipp

Die drei Versuchsreihen bei Nässe und Trockenheit mit den maschinell abgerauten Reifen bilden allerdings nicht die gesamte Praxis ab. „Im wahren Leben kommt noch hinzu, dass das Gummi mit zunehmendem Alter nach und nach aushärtet, was ebenfalls die Leistungsfähigkeit negativ beeinflusst. Deshalb kann man davon ausgehen, dass real abgefahrene Reifen, die schon ein paar Jahre alt sind, in diesen Versuchen noch schlechter abgeschnitten hätten“, erklärt Dekra-Reifenexperte Christian Koch.

Letztlich lässt sich an den Fahrversuchen ablesen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Mindestprofiltiefe von 1,6 mm die absolute Untergrenze ist und, so Koch, „man seine Reifen schon austauschen sollte, bevor sie abgefahren sind“. Noch mehr Gewicht erhält diese Aussage vor dem Hintergrund, dass laut Dekra unter den Reifenherstellern aktuell kein Konsens darüber herrscht, ab welcher Mindestprofiltiefe und in welchem Alter die Kraftübertragung zwischen Fahrzeug und Fahrbahn spürbar nachlässt.

Hinweis: Wie gut ein Reifen mit verminderter Profiltiefe seine Arbeit verrichtet, wird bisher bei der Genehmigung und Zulassung von Reifen nicht berücksichtigt. Daran soll sich in Zukunft etwas ändern, die entsprechenden Vorgaben und Normen befinden sich in der Abstimmungsphase.