Olaf Toedter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zum Potenzial von synthetischen Biokraftstoffen zur CO2-Reduktion im Verkehrssektor
Herr Toedter, erklären Sie bitte kurz den Begriff ReFuels.
Der Begriff ReFuels ist ein synthetischer Begriff aus regenerativ und Fuels, der alle Kraftstoffe zusammenfasst, die erstens aus regenerativen Quellen stammen, zweitens direkt oder indirekt das CO2 aus der Atmosphäre entnommen haben und drittens den Bestandsnormen der Kraftstoffe entsprechen, also von allen Fahrzeugen getankt werden können.
Ihrer Überzeugung nach braucht es zusätzlich zur E-Mobilität und zur Brennstoffzelle weitere moderne Biokraftstoffe, um den CO2-Ausstoß zu senken?
Ja, denn die aktuelle Mobilität umfasst in Deutschland 48,7 Millionen Pkw, 3,6 Millionen Nutzfahrzeuge sowie europaweit mehr als 320 Millionen Pkw und 6,2 Millionen Lkw. Der Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge hierzulande betrug zum 1. Januar 2023 lediglich 2,1 Prozent. Ein Flottenwechsel kann damit selbst theoretisch nicht mehr die angestrebten Quoten an BEV erzielen. Hinzu kommt, dass in einer Umweltbilanzierung aktuell die Sektortrennung zwischen dem Energieträger – also Strom als Kraftstoff – und dessen Nutzung durchgeführt wird.
Was heißt das?
Damit unterbleibt die notwendige Betrachtung des Orts und des Zeitpunkts, was am Beispiel von Energien aus fluktuierenden Quellen wie Sonne und Wind im Zusammenspiel mit den Bedarfen zu höheren CO2äq-Emissionen führt (durch Nutzung fossiler Ressourcen im Fall nicht ausreichender Verfügbarkeit von Energie aus Sonne und Wind), die heute wegen einer vereinfachten Mittelwertbildung nicht korrekt abgebildet werden.
Aber ist es nicht so, dass in unseren Breitengraden elektrische Energie teurer ist als an sonnen- und windreicheren Standorten? Wir werden also die nötigen Wasserstoffvorprodukte importieren müssen.
Korrekt. Bei uns ist Energie aus Sonne und Wind wegen der begrenzten zeitlichen und örtlichen Verfügbarkeit teurer und sollte deswegen dort genutzt werden, wo sie zur Verfügung steht. Wasserstoff und Wasserstoffderivate (Kohlenwasserstoffe als Ergebnis einer Synthese aus Elektrolyse-Wasserstoff und CO2) müssen an den entsprechenden Gunststandorten hergestellt, zu uns transportiert und endverarbeitet/aufbereitet werden.
Steht dieser Aufwand dafür? Warum ist es Ihrer Ansicht nach ein Mythos, dass der Energieaufwand dafür zu hoch ist?
Nach einer Analyse vieler Studien und eigenen Berechnungen des KIT sind bei Stromproduktionskosten von < 1 ct/kWh (in Saudi-Arabien schon unterboten) Kraftstoffsynthesekosten in der Größenordnung der Produktion heutiger fossiler Kraftstoffe erreichbar. An den entsprechenden Gunststandorten ist Energie im Überfluss vorhanden und die Schwierigkeit liegt nicht im Aufwand oder der Effizienz, sondern in Transport und Speicherung.
Welcher finale Aufbereitungsschritt wäre bei uns vor Ort noch nötig, um ReFuels zu tanken?
Wird beispielsweise ein Zwischenprodukt wie Methanol transportiert, ist noch ein industriell erprobter Prozess wie Methanol-to-Gasoline als Benzinsynthese und gegebenenfalls eine Anpassung der Oktanzahl notwendig. Bei sogenanntem Fischer-Tropsch-Öl wäre eine atmosphärische Destillation und Isomerisierung (Kältestabilität) vonnöten, beides klassische Raffinerieprozesse.
Wie sieht es derzeit mit der nötigen Infrastruktur in Deutschland aus?
Die bestehende Tankinfrastruktur kann genutzt werden. Nur, wenn der Gesetzgeber eine separierte und zusätzliche Tankinfrastruktur fordert, müsste man die bestehende erweitern.
„Ein Vorteil von ReFuels liegt darin, im Fahrzeugbestand einsetzbar zu sein.“
Sie raten dazu, Dropin-Rate, also die ReFuel-Beimischung zu fossilen Kraftstoffen schrittweise zu erhöhen. Wie könnte ein realistischer Zeitplan aussehen?
Wir müssen hier ambitionierte, aber langfristig gültige Ziele setzen, damit die entsprechenden Investitionen profitabel sind. Die in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II angestrebte THG-Reduktionsrate von 25 Prozent bis 2030 sollte hier in Abstimmung mit dem Anlagenbau und der Mineralölindustrie noch intensiviert werden. Die in USA erreichte Steigerung der Installationen um den Faktor 2,7 durch den Inflation Reduction Act zeigt einen erfolgreichen Ansatz. Die Fahrzeuge können mit jeglicher Beimischungsquote agieren.
Kurz vor dem Jahreswechsel hat der Europäische Rechnungshof über die „ungewisse Zukunft von Biokraftstoffen“ informiert, unter anderem wegen eines fehlenden gesamteuropäischen Zeitplans. Außerdem wird darauf verwiesen, dass „die EU häufig ihre Politik, die für Biokraftstoffe geltenden Rechtsvorschriften sowie ihre Prioritäten geändert hat”, was die Attraktivität des Sektors verringert und sich auf Entscheidungen von Investoren ausgewirkt habe”. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Die aktuelle politische Vorgabe hierzu ist in der RED II hinterlegt, die durch die am 20.11.2023 in Kraft getretene RED III-Richtlinien-Regulatorik abgelöst werden wird. Jede Richtlinie benötigt nationale Umsetzungen. Da die beigeltenden Rechtsakte zur RED II erst im Juli dieses Jahres verabschiedet wurden, ist deren nationale Umsetzung noch nicht erfolgt. Hier geht es etwa um eine „Inventur“ der Flächenpotenziale und um „Beschleunigungsgebiete“. Laut RED II sind „konventionelle Biokraftstoffe“ und „Biokraftstoffe“ nicht mehr zur THG-Reduktion im Rahmen der RED II anrechenbar, wenn sie keine THG-Reduktion > 75 Prozent ermöglichen. Investitionen in „fortschrittliche Biokraftsstoffe“ müssen sich also in den begrenzten Gültigkeitsdauern amortisieren. Hinzu kommt, dass Kraftstoffsynthesen eine Koppelproduktion darstellen und somit immer mehrere Produkte parallel synthetisiert werden, die alle einen Markt und eine CO2-Anerkennung benötigen; Einzelprodukte oder unberechenbare Mengen münden in sehr hohen Preisen! Nicht berücksichtigt in der Mitteilung des EU-Rechnungshofs wurde, dass der große Bestandsmarkt bei einem nur sehr geringen Flottenwechsel defossilisiert werden muss.
Die EU-Prüfer weisen auch auf die drei Bereiche Nachhaltigkeit, Verfügbarkeit von Biomasse und hohe Kosten hin, die problematisch seien. Der ökologische Nutzen von Biokraftstoffen werde häufig überschätzt. Für den Anbau von Pflanzen zur Herstellung von Biokraftstoffen seien Flächen erforderlich, was zu Rodungen führen und sich negativ auf die biologische Vielfalt, den Boden und das Wasser auswirken könne. Was entgegnen Sie diesem Argument?
Diese Regeln gelten besonders für Biokraftstoffe, konventionelle Biokraftstoffe und fortschrittliche Biokraftstoffe. Diese Regeln sollen mit der Nutzung der Biopotenziale verbundene Umweltwirkungen (z. B. indirekte Landnutzungsänderungen) berücksichtigen. In der Methodik der Umweltbilanzierung können solche Wirkungen aber beschrieben und berechnet werden. Der Import von E-Fuels ist davon separat zu betrachten. Hier ergeben sich aber weitere Probleme, da sich die aktuelle Regulatorik RED II mit beigeltendem Rechtsakt gedanklich auf EU-ETS-Prinzipien stützt. Wenn entsprechende Regulatorik in den nicht-EU-Lieferländern nicht gegeben ist, müssen hier noch Lösungen erarbeitet werden.
„An Gunststandorten ist Energie
im Überfluss vorhanden. Die Schwierigkeit liegt nicht im Aufwand oder der Effizienz, sondern in Transport und Speicherung. ReFuels lassen sich in bestehenden Infrastrukturen transportieren.“
Entgegen Ihren Ausführungen sagt der EU-Rechnungshof, dass Biokraftstoffe momentan sehr wohl teurer sind als fossile Kraftstoffe. Derzeit sei es günstiger, Emissionszertifikate zu erwerben, als die CO2-Emissionen durch den Einsatz von Biokraftstoffen zu verringern, die durch die Steuerpolitik in den EU-Ländern nicht immer begünstigt würden. Was müsste demnach passieren, um Biokraftstoffe auch wirtschaftlich attraktiver zu machen?
Die angesprochenen Emissionszertifikate müssen je nach Berichtsraum (RED oder EU-ETS oder Nutzungsregelungen oder CSRD) betrachtet werden und unterscheiden sich. Für einzelne Nutzergruppen (Flug, Schiff, Industrie) gibt es im CSRD-Berichtsraum die Möglichkeit, mit sogenannten Emissionszertifikaten eine günstigere Umsetzung zu finden als mit tatsächlicher CO2-Reduktion durch die Einführung von Kreislaufprozessen, wie etwa Biokraftstoffen. Mit Blick auf die Steuerpolitik wird die Sachlage noch komplexer. Hier ist es notwendig, aktuelle zertifizierte Quellen und Materialflüsse einzusetzen. Eine etwas offenere Regulatorik wie durch den IRA in USA schafft offensichtlich höhere Investitionsanreize.
Herr Toedter, vielen Dank.
Hinweis: Mit dem Forschungsprojekt „ReFuels – Kraftstoffe neu denken“ betrachtet das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit Partnern aus der Industrie unter dem Dach des Strategiedialogs Automobilwirtschaft BW des Landes Baden-Württemberg die Zusammensetzung und effiziente Herstellung von ReFuels, deren Einsatz in der bestehenden Fahrzeugflotte (auf der Straße, auf den Schienen und auf dem Wasser) sowie die gesellschaftliche Akzeptanz von erneuerbaren Kraftstoffen. Das vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg finanzierte Projekt startete im Januar 2019.