Lautlose Elektrofahrzeuge können für Fußgänger und Radfahrer zur Unfallgefahr werden. Deshalb müssen alle neuen Typen von Elektro- und Hybridfahrzeugen seit 1. Juli 2019 mit dem sogenannten AVAS ausgestattet sein. Bereits zugelassene Autos können, müssen aber nicht nachgerüstet werden.
Ein Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) simuliert Fahrzeuggeräusche, um Unfälle insbesondere mit Fußgängern und Radfahrern zu verhindern. Denn, wie der D.A.S. Leistungsservice mitteilt, zeigen Statistiken aus den USA eine erhöhte Zahl von Unfällen zwischen leisen Elektroautos und Fußgängern auf.
Wann müssen Elektroautos zu hören sein?
In Folge dieser Erkenntnisse müssen Elektro- und Hybridautos künftig zwischen dem Anfahren und dem Erreichen einer Geschwindigkeit von 20 km/h wie auch beim Rückwärtsfahren ein Geräusch erzeugen. Läuft bei einem Hybridfahrzeug der Verbrennungsmotor, darf das AVAS allerdings keine Geräusche machen. „Fahrzeuge, die beim Rückwärtsfahren sowieso einen Warnton von sich geben, müssen ebenfalls keine zusätzlichen Geräusche produzieren“, erklärt Michaela Rassat, Juristin beim D.A.S. Leistungsservice. „Der Grund für die Begrenzung auf Tempo 20 ist, dass bei höheren Geschwindigkeiten das Abrollgeräusch der Reifen den Motor in der Regel übertönt.“ Das AVAS muss laut EU-Verordnung mit einem leicht erreichbaren Schalter zum Ein- und Ausschalten ausgestattet und beim Start automatisch eingeschaltet sein.
Wie müssen sich die Autos anhören?
Elektro- und Hybridautos müssen im vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbereich Geräusche erzeugen, die einem Verbrennungsmotor der gleichen Fahrzeugklasse entsprechen. Es muss sich um ein Dauergeräusch handeln, das eindeutig auf das Fahrzeugverhalten hinweist – zum Beispiel eine Beschleunigung. Wie genau das Geräusch klingen soll, ist nach Aussage der Juristin nicht vorgeschrieben.
Daher bastelten bei allen Automobilherstellern seit geraumer Zeit Sounddesigner an Motorgeräuschen, die zu der jeweiligen Marke und dem jeweiligen Fahrzeug passen. „Man erwartet von einem Sportwagen ein anderes Geräusch als von einem Einkaufsflitzer“, erklärt die Expertin. Der künstliche Motorsound soll sich dabei im mittleren Frequenzbereich bewegen, weil ältere Menschen hohe Frequenzen nicht mehr so gut wahrnehmen könnten.
Welche Vor- und Nachteile bringt die Neuregelung?
Für Fußgänger und Radfahrer verringere sich durch die Warngeräusche die Gefahr einer Kollision mit einem Elektro- oder Hybridfahrzeug. Rassat räumt ein, dass dadurch ein Vorteil des Elektroantriebs – nämlich dessen Lautlosigkeit – entfalle. Und immerhin sei ständiger Verkehrslärm eine große Belastung für unsere Städte und die Gesundheit ihrer Bewohner.
Verkehrsteilnehmer sollten sich allerdings darüber im Klaren sein, dass die Regelung zunächst nur für neue Fahrzeugtypen und später dann für Neuwagen gilt. „Das heißt: Bereits zugelassene Elektrofahrzeuge dürfen bis auf Weiteres geräuschlos unterwegs sein. Fußgänger sollten also trotz der Neuregelung beim Überqueren von Straßen besonders vorsichtig sein und lieber einmal mehr nach links und nach rechts schauen“, empfiehlt die Rechtsexpertin.
Das sagt das Gesetz zu AVAS
Gesetzliche Grundlage für das sogenannte Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) ist die EU-Verordnung Nr. 540/2014 vom 16. April 2014. Demnach müssen seit dem 1. Juli 2019 alle neuen Typen von Elektro- und Hybridfahrzeugen mit einem sogenannten AVAS ausgestattet sein. In zwei Jahren, ab Juli 2021, müssen die Hersteller nicht nur bei neuen Fahrzeugtypen, sondern bei allen Neuwagen mit Elektro- und Hybridantrieb ein AVAS einbauen. Ältere Fahrzeuge können, müssen aber nicht nachgerüstet werden. Unter dem Stichwort „Umweltbonus” fördert der Staat die private Anschaffung eines künstlichen Warngeräuschs mit 100 Euro. Auch den Kauf von Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeugen fördert die Bundesregierung mit mehreren Programmen.
Zwei Meinungen zum Thema AVAS
Christoph Erni, CEO der Juice Technology AG, Hersteller von mobilen E-Auto-Ladestationen
„Dass leiser Verkehr kein Problem ist, beweist China täglich. Hierzulande aber lassen sich selbst Behindertenverbände instrumentalisieren, um der sterbenden Verbrennerindustrie die Stange zu halten. Die Folgekosten der Dauerbeschallung der Menschheit sind gigantisch. Druck, Stress, psychische Probleme, Tinnitus und mehr. Allein in der kleinen Schweiz wird der volkswirtschaftliche Schaden aus Verkehrslärm auf über zwei Milliarden Franken beziffert – pro Jahr. Dabei handelt es sich je circa zur Hälfte um Gesundheitskosten und um wirtschaftliche Ausfälle. Deutschland ist 80-mal größer, die Kosten sind es auch. Und jetzt kommt eine Technologie, die endlich Ruhe bringt: die E-Mobilität. In chinesischen Städten schweben elektrische Busse, Autos und Roller lautlos an Kreuzungen vorbei. Und: Niemand kommt unters Auto. Denn die Fußgängerampeln haben natürlich einen Rhythmusgenerator für Blinde. Und alle anderen gewöhnen sich in wenigen Stunden daran, dass das Auge wichtiger ist als das Ohr. Aber darum geht es nicht. Das Ziel ist, einen Pluspunkt der E-Mobilität zu vernichten. Wie lange dauert es, bis diese Fehlentwicklung rückgängig gemacht wird und wieder Ruhe einkehrt?“
Klaus Hahn, Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV)
„Lautlose Fahrzeuge gefährden nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen – auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder einer geistigen Beeinträchtigung, für Kinder, Fahrradfahrer, ältere und unaufmerksame Verkehrsteilnehmende besteht ein Sicherheitsrisiko. Die Lösung des Problems ist ein Acoustic Vehicle Alerting System. Die Neuregelung ist das Ergebnis einer Schlichtung zwischen dem DBSV und den drei Bundesministerien für Umwelt (BMU), Verkehr (BMVI) und Wirtschaft (BMWi). Denn wenn für Elektromobilität öffentliche Gelder fließen, muss auch die damit verbundene Sicherheitstechnik gefördert werden – dafür haben wir lange gekämpft. Das nun endlich eingeführte AVAS-Begrüßungsgeld des BMWi sollte alle noch unentschlossenen Käufer von Elektrofahrzeugen endgültig überzeugen, mit einem AVAS für mehr Sicherheit auf unseren Straßen zu sorgen.