Mit der S-Klasse und dem EQS erfüllt Mercedes-Benz seit 2021 die gesetzlichen Anforderungen für hochautomatisiertes Fahren. Bestellbar ist die als DRIVE PILOT bezeichnete Zusatzausstattung seit Mitte 2022. Krafthand hat ein Fahrzeug mit dieser Funktion probegefahren.
Teilautomatisiertes Fahren gehört für viele schon zum Alltag. Dabei muss der Fahrer stets die volle Kontrolle über das Fahrzeug haben, um reagieren zu können, wenn das System an seine Grenzen stößt. Entstehen Personen- oder Sachschäden, haftet immer der Fahrer – so ist zumindest die Gesetzeslage beim assistierten beziehungsweise teilautomatisierten Fahren auf Level 1 und 2.
Vor Kurzem fuhren wir nun ein Serienfahrzeug, das über die beiden ersten Automatisierungslevels hinausgeht: den Mercedes EQS. Er kann wie die neue S-Klasse auch in bestimmten Situationen auf dem Automatisierungslevel 3 und in einem speziellen Fall sogar auf Level 4 fahren. Bevor wir genauer auf die Funktionen eingehen, die bei Mercedes-Benz dafür realisiert wurden, folgt zunächst die Beschreibung der Herausforderungen der beiden Automatisierungsstufen Level 3 und 4.
Gleich vorweg: Autonomes Fahren auf Level 5, also das komplett autonome Fahren – auf ausnahmslos allen Straßen – ist momentan noch in weiter Ferne.
Der DRIVE PILOT von Mercedes-Benz ist momentan nicht mehr als ein fortschrittlicher Stauassistent.
autonomes Fahren – Level 3
Warum Unternehmen bisher zögerten, das hochautomatisierte Fahren auf Level 3 anzubieten, hat vor allem mit der Haftungsfrage zu tun. Ab Automatisierungslevel 3 ist der Fahrer nämlich zumindest für einen gewissen Zeitraum nicht mehr für die Fahrt verantwortlich. Der Fahrer darf sich also vorübergehend vom Verkehr abwenden und der Hersteller übernimmt die Haftung bei einem Schaden.
Die UN-Regulation 157 der UNECE (United Nations Economic Commissions for Europe) regelt dazu den weltweiten Einsatz von solchen Assistenzsystemen.
Mercedes-Benz erfüllt diese technische Zulassungsvorschrift eigenen Angaben zufolge als erster Hersteller überhaupt.
autonomes Fahren – Level 4
Das als vollautomatisiertes Fahren betitelte Automatisierungslevel 4 kann eine bestimmte Fahraufgabe komplett selbstständig übernehmen – der Fahrer ist hier entweder Passagier oder – wie etwa bei automatisierten Parkvorgängen – gar nicht mehr im Wagen.
Dies bedeutet, dass das Fahrzeug bestimmte Streckenabschnitte völlig ohne Fremdeingriff zurücklegen kann und bei Funktionen wie dem autonomen Einparken kein Fahrer (Fahrzeugbesitzer) vor Ort sein muss.
Automated Valet Parking mit INTELLIGENT PARK PILOT
Für das Automated Valet Parking (AVP) genannte vollautomatisierte Einparken bietet Mercedes-Benz mit dem INTELLIGENT PARK PILOT in Zusammenarbeit mit Bosch eine Level-4-Lösung in einem Parkhaus am Stuttgarter Flughafen an – seit Ende November 2022 für den Serienbetrieb nach SAE-Level 4 vom KBA zugelassen.
Das in den sechziger Jahren erbaute und relativ eng geschnittene Parkhaus läuft dabei im normalen Regelbetrieb – autonom fahrende Autos teilen sich somit das Parkhaus mit von Menschen gesteuerten Fahrzeugen.
Wie komplex und aufwendig der Versuch einer völligen Automatisierung der Parkfunktion ist, zeigt sich auch daran, dass die Fahrfunktion nur in diesem einen Parkhaus möglich ist. Zudem ist momentan eine durchgehende technische Aufsicht von einem Menschen nötig. Er muss im Fall der Fälle eingreifen und das Fahrzeug anhalten oder freigeben können.
Da das Fahren auf Level 3 und Level 4 in einem Serienfahrzeug schon noch eher ungewöhnlich ist, haben wir uns mit Experten von Mercedes-Benz in Stuttgart getroffen.
Dabei konnten wir einen EQS im beschriebenen Parkhaus fahren lassen und die hochautomatisierten Fahrfunktionen auf der Autobahn testen.
Automated Valet Parking – der Einparkvorgang im Test
Die automatische Parkfunktion auf Level 4 lässt sich bei S-Klasse und EQS per Smartphone über die Mercedes-me-App bedienen. Der Fahrer muss damit vorab einen Parkplatz reservieren, da die Haltepunkte, an denen die Fahrzeuge an das Parksystem abgegeben und wieder abgeholt werden können (Drop-off- und Pick-up-Area), im Parkhaus begrenzt sind.
Zur Abgabe des Fahrzeugs muss der Fahrzeugführer nur noch in das Parkhaus einfahren, sein Gepäck am vorgeschriebenen Haltepunkt ausladen, sich neben das Fahrzeug stellen und den Parkvorgang per Smartphone über die gleiche App starten. Wird die Eingabeaufforderung auf dem Display bestätigt, liegt die Verantwortung für den weiteren Parkvorgang bei Mercedes-Benz beziehungsweise Bosch.
Die Anwesenheit der Person, die den Auftrag per Smartphone erteilt hat, ist nicht mehr erforderlich. Wird das Fahrzeug wieder abgeholt, gehen die Passagiere ebenfalls zum Haltebereich und warten auf den Wagen, den sie vorher per App gerufen haben.
Es ist zu erwarten, dass andere Hersteller mit ähnlichen Lösungen auf Level 3 nachziehen.
In beiden Fällen nimmt das Fahrzeug behutsam Fahrt auf und steuert den ihm zugewiesenen Parkpunkt in Schrittgeschwindigkeit an. Kameras und Sensoren in der Decke übernehmen die Kommunikation mit dem Wagen, überwachen den gesamten Fahrweg und steuern das Auto durch das Parkhaus.
Bei unseren Parkversuchen funktionierte das System fehler- und unfallfrei, wenn auch nicht immer reibungslos. Da sich das Fahrzeug grundsätzlich defensiv verhält, blieb es beispielsweise bei unklaren Signalen einfach stehen, um niemanden zu gefährden. Auch die Kommunikation mit den Menschen in den anderen Fahrzeugen gestaltete sich manchmal schwierig, da diese nicht genau einschätzen konnten, wie das fahrerlose System reagiert und was es vorhat. Zuverlässig, aber langsam, fand das Fahrzeug trotzdem seinen Platz.
Der Aufwand, um diese Funktion zu gewährleisten – wie etwa die ständige Bereitstellung eines Menschen, der das System vor Ort überwacht –, ist sehr hoch und zeigt, dass es noch ein langer Weg ist, um Level 4 massentauglich zu machen.
Automated Valet Parking (Video)
Hochautomatisiertes Fahren (Level 3) im Test
Schon etwas alltagstauglicher ist das hochautomatisierte Fahren auf Level 3. Allerdings steht auch hier oft Wunsch gegen Wirklichkeit. Denn bis sich der Assistent aktivieren lässt, sind einige Voraussetzungen notwendig. Zum einen muss es sich um eine Autobahn mit gut sichtbaren Fahrbahnmarkierungen und baulich getrennten Fahrspuren handeln. Zum anderen darf es nicht regnen und nicht kälter als 4 °C sein. Bei Nacht, in Baustellen oder Tunnels und bei Geschwindigkeiten über 60 km/h lässt sich das System ebenfalls nicht aktivieren. Zur Orientierung benötigt das Fahrzeug zudem andere Fahrzeuge in der Nähe.
Vereinfacht gesagt, funktioniert das System nur in einer Stausituation und ist somit vorerst nicht mehr als ein sehr fortschrittlicher Stauassistent.
Sind aber all diese Voraussetzungen erfüllt, lässt sich die Fahraufgabe an das Fahrzeug beziehungsweise den DRIVE PILOT übergeben. Dies geschieht über die beiden Bedienelemente im Lenkradkranz.
Ist die Funktion verfügbar, leuchtet sie zunächst weiß und bei Aktivierung durch den Fahrer türkis. Das funktionierte bei unserem Test problemlos, kam aber aus den erwähnten Gründen nur selten zum Einsatz.
Fazit – Testfahrt mit dem Mercedes-Benz EQS 580
Beim von uns gefahrenen EQS 580 war schon beim assistierten Fahren auf Level 2 ein Entwicklungssprung spürbar. So markierte das System über das Head-up-Display beispielsweise jedes erkannte Fahrzeug. Der Fahrer kann somit in Echtzeit nachvollziehen, was die Sensoren erkennen.
Hochautomatisiertes Fahren wird auch in nächster Zukunft nur in kleinen Teilbereichen möglich sein.
Bei den Fahrten auf Level 3 und 4 wurde allerdings auch klar, dass es nicht so einfach ist, die menschlichen Fähigkeiten durch künstliche Systeme zu ersetzen. Trotzdem sind hier in den nächsten Jahren auch von weiteren Herstellern vergleichbare Lösungen zu erwarten. Nächste Schritte bei Fahrten auf der Autobahn sind dann sicher die erhöhte Fahrgeschwindigkeit auf 130 km/h und automatische Spurwechsel.