Der freie Sachverständige wird immer mehr zum Partner des Kfz-Profis – bei der Instandsetzung ist dieser daher mehr denn je auf eine aussagefähige und beweissichere Dokumentation der erforderlichen Reparaturarbeiten angewiesen. KRAFTHAND stellt deswegen im Rahmen einer Artikelreihe das Sachverständigengutachten genauer vor. Im ersten Teil steht der Bagatellschaden im Fokus.
Wer den Schaden hat, soll dafür nicht zusätzlich bestraft werden. So ähnlich könnte die Devise lauten, wenn der Geschädigte in einem Pkw-Unfall mit der gegnerischen Versicherung den Schadensaufwand abrechnen möchte. In letzter Zeit werben immer häufiger auch Haftpflichtversicherer mit Komplettangeboten, um – so offiziell – die Unannehmlichkeiten aus dem Schadensereignis möglichst gering zu halten. In Wahrheit werden diese Angebote durch ein knallhartes ökonomisches Kalkül bestimmt – nämlich, die Kosten auf Seiten der Versicherungen zu senken. Zu diesem Zweck gehen diese Kooperationen mit Werkstätten im In- und Ausland ein, wobei den ‚Vertragspartnern’ Inhalt und Höhe des Aufwands quasi in den Vertrag ‚diktiert’ werden.
Die Konsequenz: Zum Teil mangelhaft ausgeführte Arbeiten, welche sich allerdings erst später offenbaren – in einigen Fällen letztlich beim Gebrauchtwagenhändler, der ein solches Fahrzeug weiterveräußern will.
Grundsatz: freies Gutachten beim Haftpflichtschaden
Gerade deswegen ist es laut BGH für den Geschädigten wichtig, sich auf ein Dokument stützen zu können, in dem unabhängig und objektiv alle Kosten und Reparaturschritte erfasst werden, die erforderlich sind, um das beschädigte Fahrzeug soweit wie möglich wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen.
Daher steht es zunächst dem Geschädigten selbst frei, ein Schadensgutachten von einem freien und qualifizierten Sachverständigen einzuholen bzw. sich über seine Werkstatt zukommen zu lassen. Die von der Haftpflichtversicherung vorgeschlagenen Gutachter muss er folglich nicht akzeptieren.
Manche Versicherer werben auch damit, dass sie für die Schadensabrechnung zunächst lediglich einen Kostenvoranschlag inklusive der digitalisierten Schadensbilder benötigen. Sofern diese Unterlagen via E-Mail zugesandt werden, kann der Geschädigte darüber hinaus mit einer zügigen Bearbeitung rechnen – so die gängige Aussage. Ein Kostenvoranschlag erlangt allerdings nicht diejenige Beweiskraft, die einem qualifizierten Gutachten innewohnt. Dieser Umstand ist den Versicherern sehr wohl bewusst. Im Übrigen werden im Kostenvoranschlag nur Reparaturpositionen erfasst. Angaben zum Nutzungsausfall (Mietwagenkosten) und zur Wertminderung fehlen häufig oder dürfen von vornherein nicht aufgenommen werden. Selbst wenn die Versicherung das Fahrzeug von einem Sachverständigen untersuchen lässt, kann der Geschädigte in jedem Fall einen weiteren Gutachter heranziehen. Vor Gericht soll im Ernstfall „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien herrschen (AG München, Az.: 132 C 3134/97).
Allenfalls soll der Geschädigte in Ausnahmefällen nach Ansicht der Rechtsprechung auf einen freien Gutachter verzichten – und zwar dann, wenn die Kosten für das Gutachten selbst im Vergleich zur Schadenshöhe zu hoch ausfallen würden. Denn auch für den Geschädigten gilt: Er soll nicht am Unfall verdienen und deswegen gegenüber dem Schädiger zur Sparsamkeit verpflichtet sein.
Kostenvoranschlag
Wie bereits erwähnt, könnte der Kostenvoranschlag der Reparaturfachwerkstatt – dessen Kosten der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer zu tragen haben – durchaus als Alternative in Betracht gezogen werden (AG Mainz, ZfS 1998, 132). Dessen Charme, billiger zu sein, erkauft sich der Geschädigte mit erheblichen Nachteilen. Neben der geringeren Beweiskraft könnte sich im Zuge der Instandsetzung herausstellen, dass der Reparaturaufwand doch erheblich höher sein wird, als ursprünglich im Kostenvoranschlag angenommen.
An diesen Nachteilen entzündet sich dann häufig ein Streit über die Höhe und Erforderlichkeit der Reparaturschritte und des -aufwands. In einem derartigen Fall wäre ein beweiskräftiges Gutachten, vor allem im Zuge einer gerichtlichen Auseinandersetzung, hilfreicher (AG München, Az.: 132 C 3134/97).
Bagatellschäden: Kosten-Nutzen-Relation
Da der Geschädigte trotz des Schadensfalls den Schädiger nicht über Gebühr beanspruchen darf, gilt für ihn eine sogenannte – vorhersehbare – Kosten-Nutzen-Relation. Danach ist ein qualifiziertes Schadensgutachten dann entbehrlich, wenn es sich bei dem Schaden um einen sogenannten Bagatellschaden handelt, der in keinem Verhältnis zu den Kosten des Sachverständigengutachtens steht.
Gleichwohl darf sich der Geschädigte nicht auf die Aussagen der gegnerischen Haftpflichtversicherung, wann ihrer Meinung nach ein Bagatellschaden vorliege, verlassen, um so sein Recht auf einen freien Sachverständigen im Vorfeld zu beschneiden. Laut dem BGH können nämlich bei einem Pkw nur ganz geringfügige, äußere Schäden (also oberflächliche Lackschäden) unter den Begriff des Bagatellschadens fallen, nicht dagegen Blechschäden. Dieser Grundsatz gilt sogar dann, wenn selbst beim Blechschaden der Reparaturaufwand gering war und keine weitergehenden Folgen, etwa die Bildung von Rost, zu erwarten wären. Der BGH will mit dieser Aussage das Risiko eines späteren Folgeschadens für den Geschädigten auch bei zuverlässigen Prognosen auf ein Minimum beschränken.
Da der Geschädigte auch selbst entscheiden kann, ob ein freier Sachverständiger notwendig ist, kommt es bei der Beurteilung hinsichtlich des Schadens auch auf die Sichtweise des Geschädigten an. Nur wenn für ihn zum Zeitpunkt des Schadensfall zweifelsfrei erkennbar war, dass es sich nur um einen oberflächlichen Lackschaden handelt, soll auch tatsächlich ein Bagatellschaden vorliegen. Fallen indes in diesem Fall die Reparaturkosten höher als 715 Euro aus, so verlässt auch der Lackschaden die Bagatellgrenze.
Die Beurteilung dafür hängt vom Kenntnisstand eines Geschädigten ab, der trotz des Schadensereignisses als ‚verständiger wirtschaftlich denkender Mensch‘ an den Fall herangeht, wobei der BGH durchaus in Betracht zieht, dass es sich beim Geschädigten um einen technischen Laien handelt.
Bagatellschadensgrenze
Eine einheitliche Rechtsprechung zu einer ökonomischen Höchstgrenze existiert nicht. Teilweise wird, wie eben erwähnt, der Betrag von 715 Euro genannt. Allerdings ist es für einen technischen Laien nicht immer nachvollziehbar, wann noch ein einfacher Schaden gegeben sein könnte oder doch nicht sichtbare Teile bei einem Unfall in Mitleidenschaft gezogen wurden (Beispiel: Stoßfänger und nicht sichtbare Halterungen et cetera). Gerade deshalb erscheint bereits aus Beweissicherungsgründen ein qualifiziertes Schadensgutachten unerlässlich. Spätere Einwendungen seitens des Haftpflichtversicherers können damit wirksam abgewehrt werden.
Dieses Einschätzungsrisiko schlägt sich dementsprechend auch in einem Urteil des AG München (Az: 132 C 3134/97) nieder. Denn ‚die Erforderlichkeit der Beauftragung des Sachverständigen zur Schadensermittlung beurteilt sich nicht nach den tatsächlich festgestellten Reparaturkosten, weil der Geschädigte als Laie in der Regel die Schadenshöhe nicht verlässlich schätzen kann.‘ Das heißt, selbst wenn die tatsächlichen Reparaturkosten im Nachhinein geringer ausfallen würden als die bereits zitierten 715 Euro, hat die Versicherung dennoch die Gutachterkosten zu übernehmen. Das AG Mainz hat im Übrigen die Bagatellgrenze bereits bei 500 Euro angesiedelt (Az.: 83 C 561/08).
Dieses Absenken ist konsequent. Zudem stellt der BGH in einem aktuellen Urteil (Az.: VI ZR 249/11) klar: ‚Die Einholung eines Sachverständigengutachtens dient nicht allein dem Nachweis des vom Schädiger zu tragenden Schadensanteils, sondern liegt auch im eigenen Interesse des Geschädigten, weil das Gutachten ihm Gewissheit über das Ausmaß des Schadens und die von ihm zu tragenden Kosten verschafft.‘
Diese Gewissheit kommt nicht nur dem Geschädigten zugute, sondern fördert zudem die Planungssicherheit auf Seiten des Kfz-Profis, der das beschädigte Fahrzeug zu reparieren hat. Bereits aus diesem Grund haben sowohl der Kfz-Profi als auch der Geschädigte darauf hinzuwirken, stets einen unabhängigen Sachverständigen einzuschalten.
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