Freischalten dürfen reicht nicht
Mit dem Projekt DIAKOM-E hat das Kompetenzzentrum der HWK Bremen Methoden entwickelt, um Auszubildenden mehr Fachwissen für die Reparatur und Diagnose am HV-System zu vermitteln. Vor Ort hat Krafthand erfahren, wie weit das Konzept reicht.
Wie gut ist die Branche auf die E-Mobilität vorbereitet? Verkürzt ausgedrückt stand diese Frage oder besser gesagt die Antwort darauf am Anfang des Projekts DIAKOM-E. Die Verantwortlichen für die Kfz-Ausbildung im Kompetenzzentrum der Handwerkskammer Bremen jedenfalls sind der Meinung, dass es nicht ausreicht. Es genüge bei weitem nicht, Azubis nur über Aufbau und Funktion des Hochvoltsystems sowie Gefahren von Hochspannung und das Freischalten des Systems aufzuklären. Viel mehr aber gibt der derzeit gültige Lehrplan mit dem K4-Lehrgang für HV-Technik für Kfz-Mechatroniker-Azubis nicht vor.
Nach Ansicht von Jörg Schäfer und Kai Schiller braucht es aber einiges mehr, um langfristig für die Herausforderungen bei der Reparatur und Wartung von E-Autos gewappnet zu sein. Die beiden gelernten und seit Jahren bei der HWK Bremen tätigen Kfz-Profis fungierten als Leiter beziehungsweise federführender Ausbilder bei dem vom Bundesinstitut für Berufsbildung mitfinanzierten Projekt DIAKOM-E, das 2020 startete und im Juni 2023 abgeschlossen wurde.
Kompetenz vor reinem Fachwissen
Für die Zielsetzung, den Auszubildenden mehr Diagnosekompetenz zu E-Autos mit auf den Weg zu geben, standen nicht nur fachliche/technische Aspekte im Mittelpunkt, sondern auch ein ganz neues Konzept bei der Wissensvermittlung. So kann es nach Auffassung der Verantwortlichen nicht mehr darum gehen, nach Schema F pures Fachwissen durch Abarbeiten von Arbeitsaufträgen zu vermitteln. Viel wichtiger ist es ihrer Ansicht nach, dass sich Azubis Kompetenzen für die Lösungen von Aufgaben, sprich Arbeitsaufträgen aneignen. Hier stehen das eigene Denken und Handeln im Vordergrund, ohne sich an vorgegebene oder eingefahrene Schemata halten zu müssen.
In erster Linie geht es bei DIAKOM-E darum, Diagnosekompetenz
für reale und relevante Fehlerbilder an Elektrofahrzeugen aufzubauen.
Fachwissen ist wichtig, Kompetenz noch viel mehr
Warum der Experte für Technikdidaktik Ralph Dreher das im Kfz-Gewerbe oft sture Vermitteln von reinem Fachwissen für übertrieben hält, macht er im Krafthand-Interview gleich in seiner ersten Antwort an einem Beispiel klar. Dass er die Zukunft viel mehr im Erlernen von Kompetenz sieht, erklärt er ebenso wie die Gefahren durch E-Mobilität für freie Werkstätten. mehr …
Mit anderen Worten und etwas vereinfacht ausgedrückt: Wie die Azubis zum Ziel kommen (z. B. wann, wie und wo eine Isolationsmessung zu erfolgen hat), erarbeiten sie sich selbst. Das heißt, sie sollen nicht mehr nur „blind“ einer geführten Fehlersuche oder ähnlich zementierten Prozessen folgen. Natürlich werden sie dabei nicht allein gelassen, sondern die Ausbilder der HWK begleiten das Geschehen und greifen gegebenenfalls ein, so die Macher von DIAKOM-E.
Doch bevor wir in diese Thematik tiefer eintauchen, erst noch zu einem weiteren Schlüssel des Projekts: dem Artega GT. Ausbilder Kai Schiller hat den roten Sportflitzer, der von 2009 bis 2012 in Kleinserie gebaut wurde, mit seinen Azubis und anderen Lehrkräften in rund drei Jahren zu einem vollfunktionsfähigen E-Auto umgebaut.
Da stellt sich natürlich die Frage: Wozu das Ganze? Man hätte doch auch ein Serienauto wie einen e-Golf nehmen können. Das Problem, so Schiller, bei einem Auto von der Stange ist: „Für die Azubis ist es aufgrund der abgekapselten und teils schlecht zugänglichen HV-Komponenten schwerer, das HV-System und das Zusammenspiel der einzelnen Bauteile vollumfänglich zu verstehen.“ Zwar lässt sich hier mit Animationen, Bildern und Grafiken viel machen, aber die meisten lernen am „lebenden Objekt“, in dem Fall am Schulungsauto, viel besser.
Spezielles Schulungsauto
als Schlüssel
Und erst recht ist das so mit Prüfungen wie der Potenzialausgleichs- und Isolationsmessung oder dem Lokalisieren eines Isolationsschadens. Wie lässt sich denn herausfinden, ob beim Onboard-Ladegerät, der E-Maschine, dem Inverter oder sonst wo die Isolation versagt?
Natürlich ließen sich die dafür notwendigen Messungen auch an einer Schalttafel nachvollziehen. Nur bleiben Messungen daran immer graue Theorie, während das Prüfen an dem Artega-Umbau den Vorteil hat, Theorie und Praxis zu vereinen. Für das Training wurden entsprechende Messstellen berücksichtigt und verbaut, die vergleichbar mit Serienautos in technischen Unterlagen dokumentiert sind. Diese stehen den Azubis für die gestellte Aufgabe auch zur Verfügung.
Womit wir wieder beim neuen Ausbildungskonzept sind, bei dem unter anderem die Vermittlung von Kompetenz anstelle des reinen Paukens von Fachwissen im Vordergrund steht. Um den Lösungsweg zu finden, können, ja müssen sich die Azubis eigene Wege zur Lösung des Problems erarbeiten. Wichtig ist nicht, wie man ans Ziel kommt, sondern in welcher Zeit die Aufgabe gelöst wird. Dafür ist es nicht tabu, im Internet zu googeln, wie es Kfz-Profis in der Werkstatt ja auch tun.
Zu dem Lehrkonzept gehört es zudem, Tätigkeiten und Prüfungen, die sich Azubis am Artega GT erschlossen haben, auf Serienautos zu übertragen. Zum Beispiel auf einen e-Golf, der in den Werkstätten der Bremer HWK ebenfalls vorhanden ist. Um keinen falschen Eindruck zu vermitteln: Natürlich steht Sicherheit ganz oben und die Azubis werden selbstverständlich über das Gefahrenpotenzial von HV-Systemen aufgeklärt, um den nötigen Respekt davor aufzubauen.
DIAKOM-E – für mehr Diagnosekompetenz an E-Autos
Auf ihrer Website teilen die Initiatoren der HWK Bremen ihre Erkenntnisse aus dem Projekt DIAKOM-E, deren erstes Ziel es ist, mehr Diagnosekompetenzen für reale und relevante Fehlerbilder an Elektrofahrzeugen aufzubauen. Das soll anderen Schulungsinstitutionen die Möglichkeit geben, von dem Projekt zu profitieren und die Erfahrungen für sich zu nutzen. Deshalb stehen auch die Umbaupläne des Artega GT online.
Zudem erwägen die Hansestädter, Train-the-Trainer-Lehrgänge durchzuführen, um anderen Lehrkräften Know-how aus dem Projekt mit auf den Weg zu geben. Dabei gibt es auch den Ansatz, via binnendifferenziertem Ausbildungskonzept neue Wege bei der Wissensvermittlung zu gehen.
Kooperationspartner bei dem von 2020 bis Juni 2023 laufenden Projekts waren als Förderer das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesinstitut für Berufsbildung. Die Universitäten Siegen und Bremen waren als Partner für die Umsetzung des Ausbildungskonzepts und den Einsatz von Lern- und Arbeitsaufgaben in der beruflichen Bildung ebenfalls in das Projekt involviert.
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