Vor Kurzem ließ uns folgender Werkstattfall nachdenklich werden und zugleich staunen: Ein Kunde beschrieb unserem Serviceberater das Fehlverhalten beim Bremsen seines Ford Fiesta mit Baujahr 1993: „Wahllos versagt der Bremsdruck und das Auto lässt sich nicht wie gewohnt abbremsen.“
Einen Zusammenhang mit Geschwindigkeit und Fahrstrecke sah er nicht. Seiner Meinung nach war momentan allerdings die Bremsleistung in Ordnung.
Mit einem Blick durch die Scheibenräder erkannte der Diagnosetechniker sogleich die überhitzte, vordere rechte Bremsscheibe. Deren Rostrand war rehbraun verfärbt, im Vergleich dazu war die linke vordere Bremsscheibe normal dunkelbraun. Er vermutete aufgrund der Sichtprüfung und der Verfärbung eine schwergängige oder feste Radbremse. Bei einer starken Überhitzung der Bremse kommt es zu Dampfblasenbildung der Bremsflüssigkeit in der Bremsleitung und in Folge zum Druckverlust beim Bremsvorgang. Der Serviceberater vereinbarte mit dem Kunden die Instandsetzung der vorderen Bremse.
Unser Mechatroniker machte sich an die Arbeit und demontierte die vordere Bremsanlage. Doch unsere Vermutung wurde nicht bestätigt: Bremssattel und Sattelführungen sowie Bremsbeläge in den Anlageflächen des Sattels waren freigängig. Der Serviceberater erinnerte sich, dass es speziell beim Fiesta häufig Probleme mit verstopften Bremsschläuchen an der Vorderachse gab. Doch auch dort konnte der Fachmann nach eingehender Prüfung nichts Auffälliges finden.
Rutschende Batterie
Der Kfz-Profi überprüfte nun die Bremsanlage, angefangen vom Bremspedal bis hin zum Bremskraftverstärker – allerdings ohne Beanstandungen. Spätestens jetzt war uns klar, dass der Fehler (auch in Anbetracht des relativ hohen Fahrzeugalters) im Hauptbremszylinder oder Bremskraftverstärker liegen musste. Um bei einem Gebrauchtteilehändler die benötigten Ersatzteile zu ordern, galt unser Augenmerk nochmals Hauptbremszylinder und Bremskraftverstärker, um eventuell Ersatzteilnummern oder Ähnliches zu finden. Ebenso betrachteten wir die Lage und Form der Anschlüsse der Bremsleitungen.
Dabei machte unser Mechatroniker eine erstaunliche Entdeckung. Die Bremsleitungen waren bereits ab Werk im Motorraum großzügig verlegt. Dabei führte eine Leitung sehr dicht an der Fahrzeugbatterie entlang, ohne diese jedoch zu berühren. Trotzdem waren für den Fachmann in dem Bereich an dieser Bremsleitung undefinierbare Verfärbungen zu erkennen. Allerdings befand sich der Batteriepluspol auch ohne die erforderliche Abdeckung in ausreichender Entfernung zur Leitung. Die Abdeckung hätte – auch wenn sie vorhanden wäre – nichts genützt, denn der Kunde hatte selbst, wie sich nun herausstellte, die Polbefestigungen auf übliche Batterieklemmen für konische Batteriepole umgerüstet.
Mit einem Griff an die Fahrzeugbatterie, um die Polbefestigungen zu prüfen, hatte der Mechatroniker den Grund der Bremsenfehlfunktion gefunden. Ebenso oberflächlich wie die Verkabelung an den beiden Batteriepolen angebracht war, hatte der Kunde die Batterie befestigt. Sie ließ sich unter der losen Klemme innerhalb des Batteriekastens in Richtung Bremsleitung verschieben. Somit kam es während der Fahrt durch die abstehenden Kabelklemmen am Pluspol unterhalb der Bremsleitung zur Berührung und zum Kurzschluss. Daraufhin wurde die Bremsflüssigkeit in der Leitung erhitzt und der entstandene Druck innerhalb der Leitung verursachte eine Druckbeaufschlagung im vorderen rechten Bremssattel. Dadurch wurde ein Bremsvorgang ausgelöst und das entstandene Dampfpolster ließ den Fahrer ins ‚Leere’ treten – das passte zu der eingangs erwähnten Fehlerbeschreibung. Rutschte die Batterie wieder von der Leitung weg, trat das Problem nicht mehr auf. Nach der ordnungsgemäßen Bremsenreparatur und Befestigung der Batterie inklusive neuer Verkabelung konnten wir das Fahrzeug dem erstaunten Kunden zurückgeben.
Zu Ende denken… Band 5 – Knifflige Fälle aus dem Werkstattalltag
1. Auflage 2013, von Georg Blenk, 136 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 15,80 Euro