Seit November 2012 müssen gemäß EU-Reifenkennzeichnungs-Verordnung alle Pkw-, Transporter- und Lkw-Reifen europaweit mit dem Reifenlabel versehen sein. Mit Michelin hat ein großer Reifenhersteller die Kennzeichnung auf die Agenda gehoben und die Einführung forciert. Zuerst stand nur der Abrollwiderstand zur Diskussion. Geeinigt hat man sich EU-weit auf zwei weitere Kriterien: Die Nasshaftung und das Abrollgeräusch. Gänzlich beschreiben kann das Reifenlabel die Eigenschaften eines Reifens gleichwohl nicht, der Endverbraucher sollte jedoch eine Orientierung bekommen. Georg Blenk erkundigte sich beim Geschäftsführer des Bundesverbands Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV), Hans-Jürgen Drechsler, ob das Reifenlabel drei Jahre nach der Einführung den gewünschten Erfolg gebracht hat.
Krafthand-Online: Herr Drechsler, das Reifenlabel steht in Konkurrenz zu den Reifentests von ADAC und Co. Konnte sich das Label drei Jahre nach der Einführung als Orientierungshilfe durchsetzen?
Hans-Jürgen Drechsler: Das Reifenlabel – als sinnvolle zusätzliche Orientierung für den gewerblichen wie privaten Verbraucher beim Reifenkauf – hat sich unseren Erfahrungen zufolge drei Jahre nach der Einführung (noch) nicht durchgesetzt. Dies ist insbesondere beim Verbraucher der Fall. Dies hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass das Label zum Teil als Konkurrenz zu den einschlägigen, neutralen Reifentests gesehen wird. Dies war vom Gesetzgeber definitiv so nicht beabsichtigt.
KHO: Vor kurzem kritisierte der Reifenhersteller Continental (Krafthand-Online berichtete), dass es keine abgesicherten Prüfungen unabhängiger Institutionen gibt. Bei Missbrauch – die Reifenhersteller stufen ihre Produkte selbst ein – sind keine Strafen zu erwarten. Wo liegt die Problematik?
HJD: Gemäß europäischer Reifenkennzeichnungs-Verordnung, also der gesetzlichen Grundlage, sind die Labeldaten von den Reifenherstellern selbst zu ermitteln (Selbsttests nach einem vorgeschriebenen Prüfprozedere) und können daher ’nur‘ im Rahmen der Produktüberwachung der einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten ‚überwacht oder überprüft‘ werden. Dies ist möglicherweise ein ‚Geburtsfehler‘ dieser Verordnung. Die Zuständigkeiten liegen für die Überprüfung in Deutschland bei den Bundesländern. Aber ihnen fehlen dazu augenscheinlich das entsprechende Personal und die Budgets, um überhaupt im ersten Schritt Überprüfungen durchführen zu können. Erst dann stellt sich die Frage nach Sanktionen bei etwaigen Verstößen.
KHO: Große Herstellermarken stehen für sich selbst. Ist bei der Vermarktung des Reifenlabel von Seiten der Reifenhersteller noch Luft nach oben?
HJD: Ich glaube schon, denn besondere Marketingaktivitäten ‚Pro Reifenlabel‘, sowohl in Bezug auf die herausragende Darstellung der eigenen Produkte, als auch insbesondere in Richtung Verbraucheraufklärung, konnten wir bis dato von den großen Herstellermarken de facto nicht feststellen – warum auch immer.
Hier könnte man vermuten, dass mittlerweile der Abstand zu Quality- und Budgetprodukten (Premiumpositionierung, Niedrigpreispositionierung im eigenen Haus) nicht so deutlich ausgefallen ist, wie ursprünglich angenommen. In diesem Kontext, aber dafür permanent (sicherlich nicht unberechtigterweise), öffentlich Klage zu zur Zeit noch fehlenden Produktüberwachung zu führen, halte ich für eher kontraproduktiv. Im Übrigen ist dies möglichweise eine weitere Ursache für die noch vorherrschende ablehnende Haltung der Verbraucher zum Reifenlabel.
KHO: Die Werkstätten und Montagebetriebe tun sich ebenfalls bei der Vermarktung des Reifenlabel schwer. Mangelt es an Aufklärung oder fehlt schlichtweg die Zeit?
HJD: Da bin ich eigentlich anderer Meinung, Reifenfachhandel und Werkstätten haben sich sehr wohl gründlich auf das Reifenlabel, mit Unterstützung der Reifenhersteller vorbereitet (siehe hierzu zum Beispiel die separate Website des wdk (mit dem BRV) – www.dasreifenlabel.de vorbereitet.
Darüber hinaus exisitiert auch die gesetzliche Vorschrift (dokumentiert in der Reifenkennzeichnungsverordnung), dass Reifen, die in Verkaufsräumen ausgestellt werden und oder online oder offline angeboten und beworben werden, immer zu kennzeichnen/zu labeln sind (einschließlich des Labelings in technischen Verkaufsunterlagen). Darüber hinaus müssen die Labelwerte auch überprüfbar auf den Rechnungen dokumentiert werden. Dies wird vom Reifenfachhandel und den Werkstätten auch so eingehalten und wurde bis dato unter anderem auch mehrfach durch die Gewerbeaufsichtsämter der einzelnen Bundesländer überprüft.
KHO: Es gibt keine Probleme?
HJD: Probleme gibt es, das will ich überhaupt nicht bestreiten. Beispielsweise bei der Erklärung des Reifenlabels im Rahmen eines Verkaufgesprächs beim Reifenfachhandel und in den Werkstätten. Das beratende und aufklärende Gespräch wird noch zu wenig gesucht um die Vorteile bestimmter Produkte noch mehr in den Vordergrund zu rücken. Auf der anderen Seite stoßen der Handel und die Werkstätten noch auf das Unverständnis der Kunden, bei denen sich das Reifenlabel noch nicht durchgesetzt hat beziehungsweise bei denen das Label eher negativ belegt ist. Dies verwundert nicht, wenn permanent kommuniziert wird, dass das Reifenlabel sowieso im Vergleich zu Reifentests nicht aussagefähig ist und man darüber hinaus davon ausgehen muss dass die angegebenen Werte (Klassen) eh nicht stimmen, da es sich um Eigentests der Reifenhersteller handelt.
KHO: Was sollte aus ihrer Sicht passieren, damit das Reifenlabel einen entsprechenden Stellenwert erlangt? Schließlich hat alleine die Einführung allen Beteiligten Unsummen gekostet.
HJD: Es bedürfte meines Erachtens schon einer gemeinsamen, groß angelegten Aufklärungskampagne aller Beteiligten (Gesetzgeber, Reifenhersteller, Reifenfachhandel/Werkstätten und möglichst auch der Automobilclubs und der Umweltorganisationen) gegenüber dem gewerblichen und privaten Verbraucher. Herausgearbeitet müssen die eindeutigen Vorteile des Reifenlabels – als sehr nützliche Information zu drei genannten Performanceeigenschaften – Rollwiderstand, Kraftstoffeffizienz, Nasshaftung, Reifenabrollgeräusch. Das Label steht eben nicht im Wettbewerb zu den einschlägigen Reifentests sondern ergänzt sie. Eine gemeinsame Kampagne sehe ich im Moment allerdings nicht einmal im Ansatz. Ob tatsächlich dieses Instrument überhaupt noch in der Lage wäre das mittlerweile eher negative Image der Reifenlabels wieder zu korrigieren, kann man sicherlich auch anzweifeln.
KHO: Eine letzte Frage zur Strategie der Reifenhersteller: Kommt es vor, dass Hersteller hauseigene, vergleichbare Produkte aus markt-strategischen Erwägungen heraus unterschiedlich labeln (Downlabeling)?
HJD: Genauso wie unserer Kenntnis nach noch keine geprüften und verifizierten Ergebnisse von konkreten Verstößen gibt (nach den definierten Prüfkriterien der EU-Reifenkennzeichnungsverordnung, von neutralen Prüforganisationen), existieren auch keine Beweise zu einem möglicherweise erfolgten Downlabeling. Aber es ist theoretisch vorstellbar und möglich ist es auch.
KHO: Herr Drechlser, ich bedanke mich für das Gespräch.