Moderne Fahrzeuge kommen mit Spurhalte- und Notbremsassistenten, adaptiven Lichtsystemen, Adaptive Cruise Control und vielem mehr daher. Verantwortlich für die Funktion der Assistenzsysteme sind Sensoren und Kamerasysteme. KRAFTHAND hat sich beim Experten Manfred Rudhart erkundigt, was Kfz-Profis bei der Kalibrierung beachten sollten.
In vielen Fällen müssen Radar- und Lasersensoren oder Kamerasysteme neu angelernt beziehungsweise kalibriert werden. Dies ist beispielsweise nach dem Tausch der Windschutzscheibe oder der Reparatur eines Unfallschadens der Fall.
Grundsätzlich hilft es dem Kfz-Profi zu verstehen, wie die Sensoren und Kamerasysteme zusammenspielen und wie sie funktionieren. Für die Aufgaben selbst sind dann entsprechende Kalibriereinrichtungen sowie ein moderner Diagnosetester notwendig – und natürlich ein ausnivellierter Arbeitsplatz.
Herr Rudhart, sind etwaige Vorbehalte berechtigt – speziell bei freien Kfz-Betrieben – was den Umgang mit Fahrerassistenzsystemen und die Kalibrierung im Werkstattalltag angeht?
Es stimmt schon, dass sich mit der Weiterentwicklung und Verbreitung von Fahrerassistenzsystemen die Anforderungen an Kfz-Betriebe bedeutend erhöht haben. Hinzu kommt, dass freie Werkstätten naturgemäß mit einer höheren Anzahl an Fahrzeugmodellen konfrontiert werden, deren Sensoren herstellerbedingt wiederum verschieden kalibriert werden müssen.
Eine anfängliche Skepsis der Werkstattbetreiber ist deshalb durchaus nach vollziehbar. Aber mit der Investition in geeignete Prüfmittel und der dazugehörenden Schulung der Mitarbeiter eröffnen sich auch neue Chancen und Möglichkeiten. Viele Reparaturen können zwangsläufig nur durch eine Kalibrierung der verschiedenen Sensoren erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Spätestens dann benötigt die Werkstatt den Zugriff auf geeignete Kalibriermöglichkeiten.
Der Kfz-Profi braucht ein ganzheitliches Verständnis für Fahrerassistenzsysteme.“
Mit welchen Herausforderungen sind die Betriebe in Bezug auf die Kalibrierung von Fahrerassistenzsystemen konfrontiert?
Mit der Weiterentwicklung der Fahrerassistenzsysteme wächst auch die Komplexität des jeweils erforderlichen Kalibriervorgangs. Technologisch bedingt arbeiten die Systeme mit verschiedenen Sensortechniken, was wiederum die Investition in neue Prüfmittel und neue Kenntnisse erfordert. Prüfeinrichtungen müssen je nach Fahrzeug und Marke erweitert und ergänzt werden.
Was sind die Grundvoraussetzungen, um professionell Assistenzsysteme einzustellen und zu kalibrieren?
Neben geeigneten Prüfmitteln braucht es ein ganzheitliches Verständnis für die Fahrerassistenzsysteme. Der Kfz-Fachmann muss wissen, wie die einzelnen Systeme und deren Zusammenspiel funktionieren. Nur so kann er beurteilen, ob ein System nach einer Beschädigung am Fahrzeug oder nach einer Reparatur neu kalibriert werden muss.
Welche Rolle spielt beim Kalibriervorgang – beispielsweise von einem Front- Radarsensor – die geometrische Fahrachse?
Diese (Weitbereichs-)Radarsensoren erfassen ihre Hindernisse in einem Abstand von mehreren hundert Metern und stehen durch ihre fahrspurbezogene Ausrichtung in der direkten Verbindung mit der geometrischen Fahrachse. Wird diese bei der Kalibrierung nicht beachtet oder auch später durch einen Bordsteinrempler verändert, kann dies fatale Folgen für die Funktion der in Verbindung stehenden Systeme haben. So können vorausfahrende Fahrzeuge beispielsweise auf der benachbarten Fahrbahn falsch erkannt werden. Ein unberechtigter Bremseingriff wäre beispielsweise so eine fatale Folge.
Wann muss der Kfz-Profi statisch, wann dynamisch kalibrieren – und wie unterscheiden sich die Verfahren?
Ob ein System statisch oder dynamisch kalibriert werden muss, unterliegt in der Regel den Vorgaben des jeweiligen Fahrzeugherstellers. Ein geeigneter Diagnosetester ist für beide Varianten zwingend erforderlich. Während jedoch für die statische Kalibrierung noch ein Kalibriertarget notwendig ist und die geometrische Fahrachse ermittelt werden muss, werden für die dynamischen Kalibrierungen keine weiteren Prüfmittel benötigt.
Einziger Wermutstropfen ist, dass die dynamische Kalibrierfahrt je nach System mindestens fünf Minuten dauern und bei einer Mindestgeschwindigkeit von rund 70 km/h durchgeführt werden muss. Dies ist keine leichte Aufgabe – speziell bei Kfz-Betrieben in Innenstädten. Gleiches gilt bei einer Kalibrierfahrt unter widrigen Witterungsbedingungen.
Eine dynamische Kalibrierung im Stadtgebiet ist kein leichtes Unterfangen.“
Immer mehr, zumal komplexe Fahrerassistenzsysteme kommen in modernen Pkw zum Einsatz. Lohnt sich also für Kfz-Betriebe die Investition in Wissen und Technik?
Die Antwort auf diese Frage muss mehrere Aspekte beachten. Zum einen geht es um die wirtschaftliche Seite. Wie viele Kalibrierleistungen können gewinnbringend verrechnet werden und wie schnell lassen sich die Kosten für Prüfmittel und Schulungen amortisieren?
Zudem geht es um die Chancen und Möglichkeiten für den Kfz-Betrieb, sich weiterhin professionell auf dem Markt behaupten zu können. Kann ein Teil der Arbeiten in Zukunft ohne dieses Know-how überhaupt noch durchgeführt werden? Eines ist jedenfalls sicher, die hier geforderte Kompetenz entwickelt sich weiter bis zum geplanten Ziel der Automobilindustrie: autonomes Fahren. Die Anforderungen steigen demnach stetig!
Herr Rudhart, herzlichen Dank.
Die Fragen stellte Georg Blenk.
Umfeldorientierte Fahrerassistenzsysteme
Autor Manfred Rudhart liefert in der neuen KRAFTHAND-Fachbroschüre Umfeldorientierte Fahrerassistenzsysteme – Funktion, Justage, Prüfeinrichtungen einen Überblick über die gängigsten Assistenzsysteme sowie über Technik und Funktion verschiedener Sensoren. Anhand konkreter Beispiele beschreibt er die Justage und Kalibrierung in der Werkstattpraxis. Er zeigt Tipps und Tricks sowie Problemfelder für (freie) Werkstattbetriebe auf.
Die 48-seitige Broschüre ist im Krafthandshop erhältlich und kostet 24,95 Euro.
Krafthand Medien, Tel. 0 82 47/30 07 90, www.krafthand-shop.de