Assistenzsystem

Die Grenzen der Assistenzsysteme

Umfelderkennung, Radar- und Lidarsensoren
Die Funktion von Bremsassistenzsystemen basiert auf einer einwandfreien Umfelderkennung durch Radar- oder Lidarsensoren und einer Mono- oder Stereokamera. Bild: Bosch

Zweites Beispiel: Der Besitzer eines Golf VII musste kurz nach dem Kauf leider feststellen, dass sein Notbremsassistent nicht funktioniert. Weder warnte das System, noch leitete es eine autonome Bremsung ein. Weil im Fehlerspeicher kein Eintrag über eine Fehlfunktion vorhanden war, musste der Markenhändler einen Spezialisten aus der entsprechenden Fachabteilung aus Wolfsburg hinzuziehen. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass die Kalibrierung des Radarsensors ab Werk minimal verstellt war. Hier müssen Werkstätten in Zukunft sicher noch sensibler werden – letztlich hätte man darauf selbst kommen können.

Das dritte Beispiel erlebte die Redaktion mit einem 2er-BMW: Dieser leitete beim Spurwechsel von einer verengten Autobahnbaustelle auf die normale Fahrspur unvermittelt eine kurzzeitige Vollbremsung ein. Wahrscheinlich, weil beim Einlenken die vorhandene Leitplanke vom Radarsensor als stehendes Hindernis erfasst und somit ein Bremsmanöver eingeleitet wurde.

Wie zuverlässig aber Bremsassistenten heute schon funktionieren, das zeigt der Praxistest mit einem Volvo XC 90 im Klettwitzer Technology Center der DEKRA.

Drängende Fragen

Auch wenn sich die drei erwähnten ‚Problemfälle’ durch entsprechende Software-Updates und Werkstattmaßnahmen aus der Welt schaffen lassen, drängen sich natürlich Fragen auf: Müssen Methoden her, um etwa an bestimmten Stützpunkten eine echte Funktionsprüfung von Bremsassistenten vornehmen zu können? Mit einem selbstgebastelten Hindernis lässt sich dies nämlich nicht realisieren. Weshalb, dazu am Ende mehr.

Eine echte Funktionsprüfung könnte notwendig sein, wenn Kunden bemängeln, der Bremsassistent funktionierte nicht, und im Fehlerspeicher findet sich kein Eintrag. Im Übrigen: Natürlich müssen sich auch die Sachverständigenorganisationen eingehend mit der Prüfung solcher Systeme beschäftigen.

KRAFTHAND-Service: Werkstätten müssen sich vermehrt mit Fahrerassistenzsystemen sowie dem Justieren von Radarsensoren auseinandersetzen. Worauf ist hierbei zu achten, warum müssen nicht mehr alle Sensoren justiert werden und was sind Ursachen für deren Fehlfunktion. Hier gibt die Redaktion Antworten auf diese Fragen.

Eine Frage ganz anderer Natur, die in Zukunft die Gemüter häufiger bewegen und auf die Funktion von FAS abzielen könnte, lautet: Was ist, wenn es aufgrund eines Systemaussetzers zum Unfall kommt oder dieser nicht abgemildert wird, so wie es die Autobauer versprechen? Ist dann wirklich nur der Autofahrer Schuld? Schließlich liegt – nach heutiger Gesetzeslage – die letzte Verantwortung bei ihm und er kann sich nicht uneingeschränkt auf Assistenzsysteme verlassen. Oder trifft den Autobauer eine Teilschuld? Immerhin gilt: Was im Fahrzeug ist, muss auch zuverlässig funktionieren. Es wird sicher spannend, ob diesbezüglich bald erste Streitfälle vor Gericht auftauchen und wie dann entschieden wird.

Herausforderungen für das Kfz-Gewerbe

Vor einer Aufgabe anderer Art stehen Autoverkäufer und Serviceberater. Fakt ist nämlich: Bremsassistenten haben, wie alle anderen Assistenzsysteme auch, ihre Grenzen, und das muss den Kunden erklärt werden. Damit können die Hersteller ungerechtfertigten Kundenbeanstandungen wegen vermeintlicher Fehlfunktionen entgegenwirken.

DEKRA Experte König sagt: Es kommt darauf an, Autokäufern und Werkstattkunden zu erklären, wofür das jeweilige Assistenzsystem gut ist, was es kann und vor allem, was es nicht kann. Dazu ein Beispiel: Noch nicht alle Notbremsassistenten können Fußgänger erkennen. Sie sind im Wesentlichen darauf ausgelegt, vorausfahrende Fahrzeuge zu erkennen und früh genug zu reagieren.“

Warum nicht? Schließlich basieren diese Systeme auf Radar- oder Lidarsensoren im Zusammenspiel mit einer Mono- oder einer Stereokamera.

König: Der Notbremsassistent soll zunächst warnen, wenn man sich einem vorausfahrenden Fahrzeug so schnell und so weit nähert, dass ein Auffahrunfall droht. Reagiert der Fahrer nicht auf die Warnung und eine Kollision ist nicht mehr abzuwenden, leitet der Notbremsassistent autonom eine Notbremsung ein. Da ein Fußgänger jedoch nicht die radarreflektorischen Eigenschaften und Umrisse eines Fahrzeugs hat, wird der Notbremsassistent auf Personen nicht reagieren.

Es ist also alles eine Konfigurationsfrage?

König: Im Grunde ja. Ein Radar- oder auch Lidarsensor sowie eine Kamera bilden die Basis für solche Systeme. Letztlich hängt es von der Software ab, ob Bremsassistenten auf Fahrzeuge, Personen oder bestimmte Wildtiere reagieren. Deswegen ist es wichtig, genau zu erkunden, was das System in dem einzelnen Fahrzeug kann. Gerade in diesem Bereich gibt es ständige Verbesserungen, sodass neuere oder auch aufwändigere Systeme immer mehr können.

Nur mit diesem Wissen über die Leistungsfähigkeit lässt sich also vermeintlichen Beanstandungen entgegnen. Dazu zählt eben auch, dass ein Bremsassistent zunächst nur warnt – und erst dann autonom bremst, wenn ein Unfall normalerweise nicht mehr zu verhindern ist. Das heißt, dem Fahrer soll die Möglichkeit gelassen werden, bis zur letzen Sekunde noch auszuweichen. Würde der Assistent  schon vorher bremsen und es deshalb zu Unfällen kommen, könnte der Autolenker argumentieren, dass ihm die Hoheit über das Führen des Fahrzeugs entzogen wurde.

Zum Abschluss des KRAFTHAND-Gesprächs kommt König noch einmal darauf zurück, was Bremsassistenzsysteme können und wo die Grenzen sind. In diesem Zusammenhang erklärt der DEKRA Experte, dass einige Radarsysteme zum Beispiel auch Schwierigkeiten haben, Strohballen zu erkennen, weil diese nicht die reflektorischen Eigenschaften und Umrisse eines Fahrzeugs oder Fußgängers haben. Deshalb gibt es auch in neueren Fahrzeugen zusätzliche Bild erkennungssysteme.

Für Werkstätten heißt das: Die Funktion eines Bremsassistenten lässt sich leider nicht so leicht prüfen, indem man ein derartiges Hindernis als Versuchsobjekt auf die Fahrbahn legt. Die Warnung und eine Notbremsung würden ausbleiben.

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