Die elektrische Gefahr

Torsten Schmidt, Chefredakteur der KRAFTHAND: „Wenn die OEMs immer mehr in den Direktvertrieb einsteigen und dieses Konzept greift, ist klar, das Markenautohäuser immer mehr zu reinen Servicestützpunkten werden.“

ja es stimmt, die Neuzulassungen von E- und Hybridautos sind im vergangenen Jahr sprunghaft gestiegen. Richtig ist aber auch, dass die Zahlen im Vergleich zu den Verbrennern immer noch deutlich hinterherhinken. Damit ist klar: In den nächsten – wohl mindestens zehn – Jahren leben Werkstätten vorrangig von Autos mit konventioneller Technik, markenunabhängige Kfz-Bertriebe sowieso.

Also besteht erstmal keine Gefahr für die Freien durch die womöglich wartungsärmeren E-Autos. Ein zwar naheliegender, jedoch kein sehr weitsichtiger Gedanke. Denn im Vertragshandel wird – auch auf Druck der OEMs – massiv aufgerüstet. Schon heute fließt viel Geld in Equipment und vor allem in Know-how für die Wartung und Reparatur von Autos mit Stromantrieb.

Denn selbst wenn die Antriebstechnik in reinen E-Fahrzeugen im Vergleich zu Verbrennern mit ihren aufwendigen Einspritz-, Zünd- und Abgasnachbehandlungssystemen auf den ersten Blick weniger komplex erscheint (Was ist an einem E-Motor schon dran?), täuscht das. Taucht man nämlich tiefer in die Materie ein, zeigen sich etwa das Thermomanagement oder der Aufbau einer Batterie als äußerst komplex.

Zusätzlich schreitet die Entwicklung bei E-Autos weiter voran und die darin verbauten Systeme werden immer ausgeklügelter. Wie eben „früher“ bei Verbrennern auch. Was das für Wartung und Service bedeutet, wissen wir alle: Leichter wird es nicht. Und manche Branchenvertreter sehen gerade darin in Verbindung mit der Konnektivität der Autos – und E-Autos sind Treiber der Vernetzung – eine große Chance für Markenwerkstätten, sich durch den frühzeitigen Aufbau von Know-how von den Freien abzusetzen.

So gesehen geht weniger von den E- und Hybridautos eine echte elektrische Gefahr aus, denn die lässt sich im Werkstattalltag sehr gut beherrschen. Vielmehr ist es eine Gefahr im übertragenen Sinn. Wobei ich an dieser Stelle den Fürsprechern der Markenbetriebe widerspreche.

Ich sehe für die markengebundenen Betriebe nämlich lediglich einen zeitlichen Vorsprung. Vorausgesetzt natürlich, die Freien sind sich „dieser Gefahr“ bewusst und beschäftigen sich ebenfalls frühzeitig mit der Technologie von E- und vernetzten Fahrzeugen.

Praktische Hilfe dafür gibt übrigens KRAFTHAND immer wieder mit Hintergrundbeiträgen zu E- und Hybridautos. In Ausgabe 1-2/2021 ging es beispielsweise um den Leckagetest an der HV-Batterie, die Isolationsüberwachung in E-Fahrzeugen oder das Druckausgleichselement in HV-Batterien. Weitere spannende Themen werden folgen. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine stets nutzwertige Lektüre.

torsten.schmidt@krafthand.de