Die 70er – Beeinflusst von Ölkrise und Freizügigkeit
Die Siebziger waren wild – gesellschaftlich beeinflusst von Flowerpower und sexueller Befreiung. Das spiegelte sich auch in der KRAFTHAND wider. Mutige Unternehmen fielen mit frivolen Anzeigenmotiven auf und zeigten, dass man sich in diesen Jahren wieder etwas (zu)traute. Obwohl es mit der Automobilisierung der Gesellschaft weiter voranging – immerhin hatten Ende der 70er bereits 62 Prozent der Haushalte einen Pkw –, war dieses Jahrzehnt auch geprägt durch die Ölkrise und den ersten ernsthaften grünen Bemühungen für eine bessere Umwelt. Deshalb wurde – wie bereits in anderen Krisenjahren – über alternative Antriebe und Treibstoffe nachgedacht. Vor allem aber, wie sich Schadstoffemissionen von Fahrzeugen senken lassen. In den USA wurde der Katalysator eingeführt. Und im deutschen Werkstattalltag hielt immer mehr Prüftechnik Einzug: von der Bremsenprüfung über Motortests bis zu den ersten Diagnosecomputern.
Zwar zog der Diagnosetester erst in den 90ern flächendeckend in die Werkstätten ein. Seine Anfänge gehen jedoch in die 70er Jahre zurück. So berichtet KH 1972: „Maschinen kontrollieren Maschinen.“ VW hat damals die Computer-Diagnose eingeführt, die etwa Soll-Ist-Vergleiche zuließ. 1972 begeht zudem der Dieselmotor sein 75-jähriges Jubiläum – bezogen auf den ersten Prüfstandlauf 1897. Das Patent hatte Rudolf Diesel aber bereits 1892 angemeldet. Darum werden heuer „125 Jahre Diesel“ gefeiert.
Gleichzeitig wird wieder über Wasserstoff als alternativer Treibstoff für Verbrennungsmotoren (nicht für Brennstoffzellen!) nachgedacht. In den 70ern glaubt man, frühestens in 20 Jahren Wasserstoff als Treibstoff in Serie zu bringen. Wie wir wissen, hat BMW lange mit Wasserstoff für Verbrenner experimentiert, ohne den Knackpunkt der Speicherung im Fahrzeug lösen zu können.
Treffende Voraussagen
Die Kfz-Branche hat es Mitte der 70er Jahre wegen der Ölkrise und des Nahostkriegs mit einer Absatzkrise zu tun. Dennoch erwartet der damalige Opel-Chef John P. McCormack trotz des allgemeinen Trends nicht, dass Deutschland ein Volk von Kleinwagenfahrern wird. Seine damals ernst gemeinte Begründung: Weil keine Anzeichen bestehen, dass die Menschen kleiner werden. Zudem sagt er dem Dieselmotor eine gute Zukunft im Pkw voraus und ist optimistisch, die Krise zu überleben. Mit allem hatte er Recht.
Recht hatte auch Mercedes-Benz mit seinem Abstandswarner. Schon 1975 gibt es also erste Fahrerassistenzsysteme. 1977 geht es im Beitrag „Automobiltechnik 77“ um weitere Neuheiten in der Kfz-Technik. Darin wird etwa über den in USA bereits in Serie produzierte Katalysator berichtet – der bei uns erst in den 80ern aufkam. Zudem wird vorausgesagt, dass die L-Jetronic beste Zukunftsaussichten hätte, was sich auch bewahrheitete.
Werbung spiegelt stets den Zeitgeist wider. So verwundert es nicht, dass im Jahrzehnt der sexuellen Befreiung recht freizügige Anzeigenmotive in der KRAFTHAND zu sehen sind. Heute wohl ein Fall für Feminist(inn)en. Dem Zeitgeist entspricht auch die Einführung eines Tempolimits auf Landstraßen. Allerdings beklagt der Autor des Editorials „Vielleicht gut gemeint“ die Tempo-100-Regel für zweispurige Fahrbahnen: „Wir werden dahin schleichen“ – und teilt sicher die damalige Meinung vieler Autofahrer.
Was war los in den 70ern?
Im Jahr 1971 entsteht die Organisation Ärzte ohne Grenzen und Willy Brandt erhält den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen um die Entspannung zwischen Ost und West. 1973 bewirkt die Ölkrise das Sonntagsfahrverbot. Im gleichen Jahr wird der Audi 80 B1 zum Auto des Jahres gekürt. 1974 ist Deutschland erstmals Gastgeber für die Fußballweltmeisterschaft und gewinnt das Turnier. Im gleichen Jahr feiert das Land 25 Jahre Bundesrepublik. Mitte der 70er Jahre formiert sich die Anti-Atomkraft-Bewegung mit den Großdemonstrationen in Brokdorf und Gorleben. Im April 1975 gründen Bill Gates und Paul Allen Microsoft und exakt ein Jahr später Steve Jobs und Steve Wozniak die Firma Apple. Im August 1977 stirbt Elvis und wird zur Legende. 1979 findet in Genf die erste Weltklimakonferenz statt.
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