Die Experten der zentralen GTÜ-Klassikabteilung besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Dabei greifen sie auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. Weil es viele spannende Aspekte zur Historie der verschiedenen Old- und Youngtimer gibt, veröffentlicht KRAFTHAND in loser Folge exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation.
Bei vielen Jungs kam in der Kindheit irgendwann der Wunsch auf, eine Seifenkiste zu bauen. Was brauchte so eine Seifenkiste? Erstaunlich wenig, um einen Berg hinunterzufahren. Sie musste leicht sein, vier Räder, eine simple Seilzuglenkung, einen Sitz und ein wenig Sperrholz als Karosserie drumherum haben. Ja okay, vielleicht noch eine Bremse, um nach der Ziellinie nicht in der Bande zu enden. Die Faszination lag in der Einfachheit, mit der man den Rausch der Geschwindigkeit genießen konnte. Immerhin fuhren die Boliden bis zu 50 km/h.
Das A und O
Lotus-Gründer Colin Chapman schien vor allem diese Einfachheit im Kopf gehabt zu haben, als er seine Autos am Reißbrett in seinem Schuppen konstruierte. Das Leistungsgewicht eines Fahrzeugs verstand er als das A und O und so waren seine Modelle weniger von großvolumigen Motoren als von leichter Bauweise geprägt.
Er reduzierte das, was man zum Fahren brauchte, auf das Wesentliche und sorgte für ein Maximum, um im Wettbewerb zu bestehen. Insbesondere die Engländer waren in den 1950er und 60er Jahren verrückt danach. An den Wochenenden fuhren sie mit ihrem Fahrzeug zu Rennen – demontierten Scheinwerfer oder Frontscheiben, maßen sich in den Clubmeisterschaften und fuhren wieder nach Hause.
Auf die Sechs folgt die Sieben
Von 1952 bis 1955 produzierte Chapman mit dem Lotus Mark VI sein erstes Fahrzeug in Serie und verdiente sich den Ruf als echter Autobauer, der einer blühenden Zukunft entgegensah. Die Leute waren begeistert von der Einfachheit. Und die hervorragenden Fahreigenschaften erlaubten es, vermeintlich überlegene Fahrzeuge zu schlagen.
Mit dem Lotus Seven, der 1957 das Licht der Welt erblickte, setzte der Autoenthusiast seiner Seifenkiste noch eins drauf. Das Fahrzeug bestand im Wesentlichen aus folgenden Zutaten: Ein verwindungssteifer Gitterrohrrahmen nahm den knapp 1,2 Liter kleinen aber standfesten Ford-Motor mit 40 PS auf. Ein 3-Gang-Getriebe und eine Kardanwelle brachten die Kraft auf die Hinterachse, welche vor Ehrfurcht starr war. Vorn wurden die Räder an Dreieckslenkern aufgehängt und mit einem Stabi verbunden. Eingepackt in Aluminium und mit zwei Sitzen, die durch einen recht hohen Kardantunnel getrennt waren, stand das kleine Auto fix und fertig für die Waage bereit. Ergebnis: 445 Kilogramm – leer versteht sich. Überrascht? Noch nicht? Das kommt spätestens, wenn man damit fährt. Denn die 11 Kilogramm pro Pferdestärke brachten den Wagen immerhin auf 140 km/h. Und auch wenn der Sprint von 0 auf 100 km/h mit 18 Sekunden einem ziemlich lange vorkommen mag – zwischen Stoppuhr und Gefühl liegt mindestens ein breites Grinsen.
Vor dem Vergnügen steht bekanntlich aber immer die Arbeit. So auch beim Lotus Seven. Denn durch die im Königreich übliche Verbrauchssteuer bot Chapman den smarten Flitzer als Bausatz und damit günstiger an. Allerdings durfte dem Kit keine Aufbauanleitung zugefügt werden. Schlau genug, fand Chapman aber auch hier eine clevere Lösung und schrieb einfach eine Anleitung zur Demontage, die man dann halt rückwärts befolgen musste.
Für nach heutigen Verhältnissen rund 1.500 Euro erhielt der Lotus-Fahrer das Versprechen, dass der Bausatz innerhalb von zwölf Stunden und ohne Mechanikerausbildung aus dem Karton heraus zur Fahrmaschine wird. Legt man das auf das Prinzip eines skandinavischen Möbelherstellers um, kann man sich denken, welch illustre Geschichten dieser Bausatz zu Tage und wie viele Gemüter er zur Weißglut bringen konnte.
Mit Beitritt der Insel zur EWG und der Abkehr der Verbrauchs- hin zur Mehrwertsteuer war aber der preisliche Vorteil von Bausätzen passé. Bis dahin entstanden die überarbeiteten Versionen wie der S2 in 1960, der S3 ab 1968 und ab 1970 die Serie 4, die grundlegende Designänderungen erhielt, aber weniger gut bei den Kunden ankam. Eher unverständlich – immerhin war der S4 der erste Seven, der mit einer Heizung zu haben war. Auch in der Motorenleistung legte der Seven stetig zu: Aus den anfänglichen 40 PS wurden schnell um 80 PS und zum Ende hin brachte ein Twin-Cam-Motor sogar 125 PS an die Hinterräder.
Mangels Liquidität entschied sich Colin Chapman schlussendlich für die Produktion von Rennwagen und beendete die Kitcar-Ära, indem er die Produktionsrechte an einen seiner letzten Händler – Caterham – verkaufte. Das auf Basis des S3 modifizierte Modell wird noch heute gebaut. Chapmans Philosophie hat viele Kinder. Firmen wie Donkervoort, Westfield, Rush oder sogar Irmscher bauen teils immer noch ihre Versionen des leichtgewichtigen Engländers und denken dabei sicher auch an die Seifenkisten ihrer Kindheit.