Für einen Designer muss es das Größte sein: Alle Konventionen über Bord werfen, sich einen Dreck um die geltenden Regeln scheren. Einfach mal machen, was man will. Und der Vorstand hat keine Ahnung. Passiert so etwas bei Opel, kommt das einer Kulturrevolution im Hause Biedermeier gleich. Aber Opel hatte ja selbst die Voraussetzungen geschaffen und Anfang der 60er Jahre mit dem hauseigenen Styling-Studio das erste Designcenter eines europäischen Automobilherstellers eingerichtet.
Wegen seiner Ähnlichkeit mit dem 70er Stingray des Mutterkonzerns GM wurde der Opel-Sportler auch als „Corvette des kleinen Mannes“ betitelt.
Erhard Schnell und seine hochmotivierte Crew schnitzten mit Plastilin an einem Sportwagen für jedermann. Ohne offiziellen Auftrag. Als die Konturen des Concept-Car „Experimental GT“ final feststanden, wurde es höchste Zeit für eine umfassende Beichte. Zum Glück war der Vorstand hellauf begeistert. Und so staunten auf der IAA 1965 Experten und Autonarren über dieses Fahrzeug mit den ungewohnt scharfen Kurven. Aber alle waren sich einig: Dieses Auto baut Opel nie.
Opel baute den GT doch
1968 allerdings lief der erste Opel GT vom Band, auch weil ihn die Aura der Kreativität, in der alles erlaubt und alles möglich ist, von der ersten Idee an nicht mehr verlassen hatte. Das betraf nicht nur den Sportwagen selbst, sondern auch seine Begleitumstände. Da war der Werbeslogan, der heute als geflügeltes Wort gilt: „Nur Fliegen ist schöner.“ Und da war der offizielle Werbespot, der so frech mit den Nachteilen des GT spielte, wie sich das heute kein Autobauer mehr mit einem seiner Modelle trauen würde: Ein beleibter Herr mittleren Alters versucht vergeblich, in die flache Flunder einzusteigen. Ur-komisch und noch heute ein Youtube-Klassiker.
In der Tat war der GT nur 1,22 Meter hoch, und obwohl die obere Türkante bis weit ins Dach hineinreichte, war das Einsteigen schwieriger als das Fahren in der halbliegenden Sitzposition. Aber wen sollte das abhalten? Die geschwungenen Kotflügel, die versteckten Scheinwerfer, die nicht aufgeklappt, sondern per Hebel rausgedreht wurden, die runde bullige Seitenansicht und die scharfe Abrisskante am Heck, die auch bei hohen Geschwindigkeiten für ausreichend Abtrieb sorgte, die vier runden Heckleuchten, das sportliche Interieur mit Drei-Speichen-Lenkrad und Rundinstrumenten – alles Merkmale, die den GT zu einem begehrenswerten Fahrzeug machten. Dazu kamen die kurzen Schaltwege für das Vierganggetriebe, das die Kraft an die Hinterachse überträgt. Ein echter Zweisitzer ohne Kofferraum mit wenig Stauraum hinter den Sitzen, inklusive Reserverad.
Hilfe aus Frankreich
Bei der Karosserie setzte Opel auf die Hilfe französischer Spezialisten. Die Firma Chausson formte in Gennevilliers kunstvoll das Blech, in Creil war Brissonneau & Lotz für Lackierung und Interieur verantwortlich. Im Bochumer Opel-Werk warteten dann Getriebe, Achsen und Motor. Eigentlich waren es zwei Motoren. Den GT gab es mit dem 1,1-l-Reihenmotor aus dem Opel Kadett B mit 60 PS und mit dem aus Platzgründen leicht modifizierten 1,9-l-CIH-Motor aus dem Opel Rekord C, der 90 PS leistete. Die Basismotorisierung fand angesichts der sportlichen Form des GT aber wenig Anklang und wurde schon 1970 eingestellt. Schließlich hieß der Opel-Sportler wegen seiner Ähnlichkeit mit dem 70er Stingray des Mutterkonzerns GM auch die „Corvette des kleinen Mannes“. Da zählte natürlich jede Pferdestärke.
Die Einsteigerversion des GT kostete nur rund 10.000 Deutsche Mark. Das war nicht viel für einen Sportwagen, der nicht nur durch sein Äußeres, sondern auch mit seinen inneren Werten glänzte. Mit vielen Maßnahmen – wie zum Beispiel Drei-Punkt-Sicherheitsgurten oder Überroll- und Seitenaufprallschutz – setzte der GT in Bezug auf die Sicherheit für seine Zeit Maßstäbe. Und er animierte zu abenteuerlichen Versuchen. Ob mit Elektromotor oder als „Nagelfeile“ mit Dieselmotor brach der GT einige Weltrekorde und erzielte dabei Höchstgeschwindigkeiten bis 189 km/h.
Der damalige Werbeslogan für den Opel GT „Nur Fliegen ist schöner“ ist noch heute ein bekanntes Sprichwort.
Nur aus dem ursprünglich geplanten Cabrio wurde nichts. Der 1969 vorgestellte Aero GT blieb eine Studie. Dem Erfolg schadete das nicht. In nur fünf Produktionsjahren wurden mehr als 103.000 Opel GT gebaut, die Hälfte der Fahrzeuge landete in den USA. Doch als der französische Karosseriebauer den Besitzer wechselte und fortan Renault beliefern musste und in den USA Sicherheitsvorschriften in Kraft traten, die ohne zu teure Anpassungen nicht mehr umzusetzen waren, wurde der Opel GT ein Opfer der Umstände. Seine Ära endete 1973.