Fünf Kriterien sind zu beachten

Betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten der Coronakrise

Strichmann, Paragraphsymbol
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Sind betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten der Coronakrise rechtens und welche Rahmenbedingungen müssen Arbeitgeber beachten? Rechtsexperte Stefan Schlöffel gibt Antworten.


Der Beitrag des Fachanwalts für Arbeitsrecht aus Düsseldorf und Mitglied im VDAA zeigt „die materiellen Voraussetzungen für sozial  gerechtfertigte und damit wirksame betriebsbedingte Kündigungen“ auf. Dabei veranschaulicht der Autor „die durch das Gesetz und durch die Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung, die sich auch nicht durch die aktuelle Krise geändert haben“. Berücksichtigung findet aber das Verhältnis zwischen betriebsbedingten Kündigungen und der Kurzarbeit.

Achtung: In den Betrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, hat Unkenntnis böse Überraschungen im Arbeitsgerichtsverfahren zur Folge. Nur wer die Spielregeln kennt, kann im Voraus abwägen, ob eine betriebsbedingte Kündigung erfolgreich gerichtlich durchgesetzt werden kann.

1. Grundsatz

Nach § 1 Kündigungsschutzgesetz ist eine betriebsbedingte Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt und damit wirksam, wenn

  • der Arbeitnehmer in dem Betrieb nicht weiter beschäftigt werden kann
  • keine anderweitige freie Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb besteht und
  • wenn bei Kündigung nicht aller vergleichbaren Arbeitnehmer zumindest eine ausreichende Sozialauswahl vorgenommen worden ist.

2. Betriebliches Erfordernis

Das Wesen der betriebsbedingten Kündigung ist, dass ein betriebliches Erfordernis einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegensteht. Gründe im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers spielen keine Rolle.

In Betracht kommen als betriebliches Erfordernis außerbetriebliche oder innerbetriebliche Ursachen. Außerbetriebliche Ursachen, wie beispielsweise Umsatz- und Absatzrückgang, sind von den Arbeitsgerichten voll überprüfbar. Es ist deshalb schwierig und nicht zu empfehlen, eine Kündigung auf sogenannte außerbetriebliche Ursachen zu stützen. Beispielsweise muss der Arbeitgeber, der eine Kündigung mit einem Auftragsrückgang rechtfertigen will, darlegen, dass es sich um einen dauerhaften Auftragsrückgang und nicht nur um übliche, gegebenenfalls saisonbedingte Schwankungen handelt. Gerade in der jetzigen Situation will und wird niemand davon ausgehen, dass die Krise dauerhafte Auswirkungen auf die Arbeitswelt hat.

Sofern sich das Unternehmen auf außerbetriebliche Ursachen berufen will, muss es die fehlende Möglichkeit einer zukünftigen Weiterbeschäftigung auf der Basis von Referenzzeiträumen mehrerer Jahre der Vergangenheit darlegen. Nur wenn durch diesen Vergleich erkennbar wird, dass eine abweichende, negative Entwicklung eingetreten ist, kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit angenommen werden

Tipp: Die betriebsbedingte Kündigung sollte sich daher immer auf eine Unternehmerentscheidung als sogenannte innerbetriebliche Ursache stützen!

3. Unternehmerentscheidung

Eine Unternehmerentscheidung, beispielsweise durch eine dementsprechende Willensäußerung der Geschäftsführung, setzt voraus, dass sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblichen Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Voraussetzung ist also eine nachvollziehbare und überprüfbare organisatorische Maßnahme, also ein unternehmerisches Konzept. Die Folge dieses Konzepts ist der Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten/ Arbeitsplätzen.

Die Unternehmerentscheidung muss zum Zeitpunkt der Kündigung eines Arbeitnehmers noch nicht umgesetzt worden sein. Es genügt, dass zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, gewisse Maßnahmen vorzunehmen, zum Zeitpunkt der Kündigung schon vorhanden und abschließend gebildet worden sind. Spätestens mit Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist muss die Umsetzung jedoch dazu führen, dass keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für den Arbeitnehmer besteht.

Erforderlich ist ebenfalls, dass zum Zeitpunkt der Kündigung durch den Arbeitgeber dargelegt werden muss, welche Maßnahmen er ergriffen hat, damit die Unternehmerentscheidung zu dem von ihm vorgesehenen Zeitpunkt umgesetzt werden kann. (Angebote von Drittanbietern, Abteilung schließen/outsourcen.)

Ausschlaggebend: der Beschäftigungsbedarf

Beschränkt sich die Unternehmerentscheidung auf den Kündigungsentschluss, führt das Bundesarbeitsgericht (BAG) in ständiger Rechtsprechung aus, dass die Vermutung, die Unternehmerentscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht von vornherein besteht.

Die Unternehmerentscheidung muss zu einer Änderung des Beschäftigungsbedarfs führen, das heißt die Änderung des Beschäftigungsbedarfs ist Folge der Unternehmerentscheidung.

Die Darlegung der Verteilung der verbleibenden Arbeit auf die verbleibenden Arbeitskräfte bereitet im Rechtsstreit häufig Schwierigkeiten. Sie wird vom Arbeitgeber oft nur aufgrund von kaum objektivierbaren Erfahrungswerten anhand einiger äußerer Anhaltspunkte „geschätzt“. Diese Einschätzung ist dem Gericht so plausibel zu machen, dass es den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs feststellen kann. Hierzu bedarf es nicht stets einer detaillierten Darlegung der Arbeitsverteilung „bis zum letzten Handgriff“, aber ein genauer Vortrag, wie die verbleibenden Mitarbeiter die Arbeit ohne Mehrarbeit erledigen können, ist erforderlich.

4. Ultima ratio

Eine betriebsbedingte Kündigung darf immer nur das letztmögliche Mittel sein, um den sich aus der Unternehmerentscheidung folgenden angepassten Personalbedarf zu erreichen. Gibt es andere mildere Mittel, ist die betriebsbedingte Kündigung eben nicht durch dringende Erfordernisse bedingt. Solche anderen milderen Mittel können zum Beispiel der Abbau von Überstunden oder der Abbau etwaiger dauerhafter Leiharbeit im Betrieb sein.

In Zuge der Coronakrise stellt sich insbesondere die Frage, ob die Kurzarbeit ein anderes milderes Mittel darstellt mit der Folge, dass betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind. Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 23. Februar 2012, 2 AZR 548/10) spricht geleistete Kurzarbeit dafür, dass die Arbeitsvertragsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel ausgehen.

Ein vorübergehender Arbeitsmangel (siehe oben II. betriebliches Erfordernis) rechtfertigt jedoch keine betriebsbedingte Kündigung. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber aber durch konkreten Sachvortrag entkräften.

Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen.

Haben die Arbeitsvertragsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, das betriebsbedingte Kündigungen überflüssig macht, sind betriebsbedingte Kündigungen möglich, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht.

Ein milderes Mittel ist auch die Änderungskündigung statt der betriebsbedingten Beendigungskündigung. Sofern also im Unternehmen ein anderer freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf den der Arbeitnehmer kraft Direktionsrecht oder durch Änderungskündigung hätte weiter beschäftigt werden können, ist eine betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen.

Eine betriebsbedingte Kündigung ist selbst dann unwirksam, wenn nur eine befristete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers besteht.

Der Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung zu besseren Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

5. Sozialauswahl

Sofern dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, ist eine betriebsbedingte Kündigung dennoch sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Voraussetzung einer Auswahl ist, dass die Anzahl der auf den jeweiligen Kündigungsentschluss beruhenden Kündigungen geringer ist als die Anzahl der in Betracht kommenden Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat jedoch einen gewissen Wertungsspielraum, der dazu führt, dass sich nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können.

Die Sozialauswahl erfolgt grundsätzlich in drei Schritten:

  1. Bildung der Auswahlgruppe
  2. ausreichende Berücksichtigung der sozialen Gesichtspunkte innerhalb der Auswahlgruppe
  3. Nichteinbeziehen von sogenannten Leistungsträgern.

Eine fehlerhafte Sozialauswahl kann grundsätzlich nur die Sozialwidrigkeit solcher Kündigungen nicht bewirken, die auch ohne den Fehler bei jedem Zuschnitt einer ausreichenden Sozialauswahl angestanden hätten. Für sie war nämlich der Fehler nicht kausal.

Kriterien der Sozialauswahl

Im Rahmen der Sozialauswahl sind folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Lebensalter
  • Unterhaltspflichten
  • Schwerbehinderung

Diese Kriterien der Sozialauswahl stehen in keinem Rangverhältnis, sondern stehen gleichwertig nebeneinander. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gibt es keinen allgemein verbindlichen Bewertungsmaßstab dafür, wie diese Abgrenzungskriterien zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Demzufolge hat der Arbeitgeber einen gewissen Wertungsspielraum, das heißt, er hat nur eine ausreichende Sozialauswahl vorzunehmen. Dies hat zur Folge, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können (BAG vom 29. Januar 2015, 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426).

Der Arbeitgeber kann neben den vier Kriterien auch andere soziale Gesichtspunkte berücksichtigen, solange die vier Grundkriterien ausreichend berücksichtigt bleiben.

Fazit: Praktisch wird dies in jedem Einzelfall zu entscheiden sein und bedarf einer genauen Darlegung des Arbeitgebers. Generell gilt, dass die Auswahlentscheidung vertretbar sein muss; sie muss nicht „perfekt“ sein.

Verstößt eine Kündigung gegen eine wirksame Auswahlrichtlinie ist sie sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam.