Der Hersteller von Fahrzeugsitzen und Sitzkomponenten, Johnson Controls, stellt auch an den Klangeindruck von Autositzen hohe Ansprüche. Das Sound & Vibration-Labor am Standort Solingen hat sich mit einem Team von Akustikingenieuren auf diese komplexe Aufgabenstellung spezialisiert. Zum ganzheitlichen Sound Management zählen gezieltes Sound Design bereits in der Produktentstehung, eigene Soft- und Hardware für akustische Prüfprozesse sowie ein Remote-Testing-System. Es erlaubt die kontinuierliche und lückenlose Überwachung von aktuell 219 Prüfständen an Produktionsstandorten von Johnson Controls weltweit.
„Im Alltag begegnen uns von morgens bis abends unzählige Produkte mit individuellem Sound – vom verlässlichen Verschlussgeräusch der Haarshampoo- Flasche über das knusprige Krachen von Cornflakes im Mund bis hin zum sonoren Summen eines Autositzes bei der Höhenverstellung“, erläutert Stefan Lingnau, Leiter des Sound & Vibration-Labors von Johnson Controls in Solingen. In allen drei Fällen setzen die Hersteller auf gezieltes Sound Design – um den Verbraucher auch akustisch von der effektiver Funktion des Verschlusses, der Frische oder der Premiumqualität zu überzeugen.
Der Klang eines guten Autositzes
Der Fahrzeugsitz weist als eines der mechanisch komplexesten Zulieferteile im automobilen Innenraum zahlreiche Geräuschquellen auf – unter anderem verschiedenste Getriebe, Schienen, Federn und elektrische Antriebe. Hier setzt die Arbeit von Stefan Lingnau und seinem Team an. Bereits bei der Sitzkonstruktion ist es ihr Ziel, unangenehme Geräusche auszuschließen und dafür zu sorgen, dass ein Sitz gut klingt. Was „gut“ in diesem Zusammenhang bedeutet, erklärt Lingnau mit dem Begriff „wertadäquat“: „Das individuelle Geräuschprofil eines Sitzes muss den Anspruch des Kunden akustisch umsetzen und zum Innenraum des jeweiligen Fahrzeugmodells passen.“ Dabei spielen das ausgeprägte Markenbewusstsein und die sehr differenzierten Sound-Identitäten der Fahrzeughersteller eine immer wichtigere Rolle. „Die Türen eines Mittel- oder Oberklassemodells vermitteln beim Schließen ein markenspezifisches Hörerlebnis. Mit dem Sound Design von Sitzen setzen wir dieses Erlebnis auch im Innenraum konsequent fort“, so Lingnau. Neben der physikalischen Akustik sind dabei die Methoden und Erkenntnisse der Psycho-Akustik wesentlich für die Ingenieure. Denn was ist technisch gemeint, wenn ein Sitz „quietscht“, „rasselt“ oder „knackt“? Mit Hilfe so genannter „Geräuschmuster“ (noise patterns) werden subjektive Wahrnehmungen von Geräuschen erfasst, beschrieben, messbar und reproduzierbar gemacht. Am Ende des Entwicklungsprozesses steht ein optimal gestaltetes und aufeinander abgestimmtes Soundprofil des Sitzes.
Unschlagbare Kombination: menschliches Ohr und technisches Messinstrument
Der nächste Schritt im Sound Management führt direkt in die Messtechnik des Sound & Vibration Labs in Solingen. „Mensch nicht ohne Maschine und umgekehrt“ lautet hier der Erfahrungswert. Alle Prüfstände und Messinstrumente sind Eigenentwicklungen. „Wir konzipieren Testmethoden für die verschiedensten Anforderungen, setzen sie vor Ort in Hard- und Software um und kalibrieren die Messinstrumente auch selbst“, sagt Lingnau. Jeder neue Prüfstand wird in zweifacher Ausfertigung gebaut, dann startet die Validierung durch Testreihen im bi-direktionalen Verfahren: eine Maschine arbeitet mit den Werten, die das geschulte menschliche Gehör eines Akustikingenieurs aufnimmt, in die andere fließen ausschließlich Daten aus der technischen Messung ein. „Erst wenn Mensch und Maschine zuverlässig zum gleichen Ergebnis kommen schalten wir neue Prüfstände frei. Im Durchschnitt erfolgt das zwischen dem tausendsten und dem dreitausendsten Test“, erklärt Lingnau.
Das Ohr am Produktionsband – über tausende von Kilometern
Aus dieser Solinger Kleinserienfertigung von akustischen Messinstrumenten entstand innerhalb weniger Jahre ein international vernetztes Prüfsystem, das weltweit einzigartig ist. Über Datenleitungen haben die Akustikingenieure des Sound & Vibration-Labors damit immer ein Ohr am Band. Jeder Sitz aus der Serienfertigung durchläuft an den akustischen Prüfständen eine Hundert- Prozent-Prüfung, er wird in allen seinen Einstellrichtungen getestet. Die mit den Seriendaten des Produkts verknüpften Sounddaten werden aufgezeichnet. Überschreitet eine Messung die definierten Toleranzwerte, erhalten die Akustik- Ingenieure in Solingen eine Information. Lingnau: „In diesem Fall holen wir uns die betreffende Soundkonserve per Remote-Zugang in unser System, hören sie ab, schauen uns die grafische Darstellung an und starten die Fehleranalyse. Oft über tausende von Kilometern hinweg.“ Ohne auch nur einen Blick auf den Sitz geworfen zu haben, kommen die Ingenieure so nahezu jeder Fehlerursache auf die Spur. Ihre Trefferquote bei der Lösung akustischer Probleme liegt bei 98 Prozent.
Dieses Zusammenwirken von hochentwickelten Instrumenten, globaler Einsetzbarkeit, Rückverfolgbarkeit, Präzision und Effizienz überzeugt nicht nur Kunden von Johnson Controls, sondern auch die Deutsche Gesellschaft für akustische Qualitätssicherung (DGaQS). Sie hat das System und sein Datenformat als internationales Format zur standardisierten akustischen Qualitätssicherung vorgeschlagen. Das enorme Einsparpotenzial bei Reaktionszeiten und Personalkosten liegt auf der Hand. Noch weitaus bedeutender sind jedoch die Kosten einzuschätzen, die dank des Remote- Testing-Systems gar nicht erst entstehen: Denn rund 65 Prozent aller Reklamationen an Sitzen von Neufahrzeugen gehen auf Geräusche zurück, die den Käufer stören.
Insgesamt 219 akustische Prüfstände stehen aktuell als „verlängertes Ohr“ des Solinger Teams in Produktionsstandorten von Johnson Controls in den USA, China, Polen, Rumänien und Ungarn. Um seine weltweite Führungsrolle in der akustischen Qualitätssicherung auszubauen, arbeitet Johnson Controls Automotive Seating kontinuierlich an der Erweiterung seines Remote-Testing- Netzwerks: Bis Ende 2013 soll die Zahl der akustische Prüfstände in Werken von Johnson Controls auf insgesamt 260 ausgebaut werden.