Der Thermal Runaway ist das Problem

Worauf bei verunfallten E- und Hybridautos zu achten ist

Nicht jedes verunfallte Elektro- oder Hybridauto brennt lichterloh, wie gerne in den Medien propagiert. Doch was ist zu tun, wenn eine Werkstatt ein solches Fahrzeug abschleppen soll oder vom Abschlepper auf den Hof gestellt bekommt? Krafthand gibt Antworten darauf.

Kaputtes Elektroauto nach einem Crashtest
Selbst bei dieser extremen Verformung fing der Akku des Testträgers im Dekra-Crashtest nicht Feuer. Bild: Dekra

E-Fahrzeuge sind in der Regel mit vielen, voneinander unabhängigen Schutzmechanismen ausgestattet, von denen mehrere gleichzeitig versagen müssten, um eine Gefährdungssituation zu ermöglichen. Die Systemarchitektur bietet grundsätzlich durch die vollständige elektrische Trennung des Hochvoltsystems von der Karosserie ein hohes Maß an Sicherheit. Diese Sicherheit des HV-Systems überwachen in serienmäßigen Personenkraftwagen elektronische Systeme. Bei Unfällen wird mit der Airbagauslösung und zum Teil mit zusätzlichen Crash-Sensoren in aller Regel auch das HV-System abgeschaltet.

Sicherer als gedacht

Crashversuche der Dekra ergaben selbst bei hohen Geschwindigkeiten keine größeren Gefahren als bei konventionell angetriebenen Fahrzeugen. Vorrangig ging es den Sachverständigen bei ihren Tests um die Brandgefahr. Im Dekra-Crashtest-Center in Neumünster wurden dafür ein Renault Zoe und drei Nissan Leaf gecrasht. Die Kollisionen mit einem Eisenpfahl sollten unterschiedliche Szenarien eines Baumanpralls simulieren. Dabei lagen die Geschwindigkeiten weit über denen, die bei Standard-Crashtests üblich sind.

Grundsätzlich, so Dekra-Unfallforscher Markus Egelhaaf, wäre gerade der seitliche Baumanprall bei derartig hohen Geschwindigkeiten kaum zu überleben. „Das gilt aber für jede Art von Pkw, ganz unabhängig von der Antriebsart“, so der Experte. Das Hochvoltsystem der Elektrofahrzeuge wurde beim Crash immer zuverlässig abgeschaltet. Und trotz massiver Deformation der Antriebsbatterie kam es in keinem Fall zu einem Brand.

Problematisch wird die Bergung und Reparatur bei schwereren Unfällen mit verformtem und beschädigtem Akku.

Thermal Runaway

Die Brandgefahr der Lithiumakkus beruht immer auf einem Kurzschluss. Bricht oder schmilzt der Kunststoffseparator in einer Zelle, wird diese kurzgeschlossen und kann Feuer fangen. Das große Problem ist jetzt, eine Kettenreaktion durch den sogenannten Thermal Runaway zu vermeiden. Dieser entsteht, wenn durch den Brand einer einzelnen Zelle oder durch ein konventionelles Feuer in der Nähe der Batterie die Hitze zu groß wird und unbeschädigte umliegende Zellen kollabieren. Die optimale Betriebstemperatur von Lithiumzellen liegt bei zehn bis 60 °C. Darüber beginnt die Zelle sich zu zersetzen und entwickelt ihrerseits Hitze. Die kritische Temperatur liegt bei 120 °C. Ab diesem Wert können sich intakte Zellen selbst entzünden und eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen.

Hochvoltsystem eines Elektroautos im Motorraum
Bevor am Fahrzeug gearbeitet wird, muss unbedingt von einem entsprechend qualifizierten Mitarbeiter sichergestellt werden, dass das Hochvoltsystem stromfrei geschaltet ist. Bild: Krafthand

Deshalb sollte ein Brand immer mit Wasser bekämpft werden. Dabei ist dessen Hauptaufgabe nicht das Löschen, sondern das Kühlen des Umfelds, um ein Übergreifen zu verhindern. Die Ableitung der Wärme ist also von größter Bedeutung.

Wer Hand anlegen darf und wer nicht

Doch wer entscheidet, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen? Wer darf überhaupt an einem elektrifizierten Fahrzeug Hand anlegen, wenn es einmal verunfallt ist? Darüber sprach Krafthand mit Stefan Jacobs, dem Geschäftsführer des VBA, dem Verband der Bergungs- und Abschleppunternehmen. „Die Entscheidungshoheit bei einem Verkehrsunfall liegt immer bei der Feuerwehr. Entscheidet diese, dass der Zustand eines Fahrzeugs mit batterieelektrischem Antrieb zu gefährlich für einen normalen Abtransport ist, kann sie eine Quarantäneverwahrung anordnen. Dann wird das Auto in einen Container verbracht und geflutet“, erklärt der Experte.

„Grundsätzlich sollte bei jeder Panne von E-Autos ein qualifizierter Abschlepper gerufen werden. Hier ist wichtig, dass ausschließlich Pannenhelfer mit der Befähigung zu ‚nichtelektrotechnischen Arbeiten an HV-Fahrzeugen‘ nach DGUV-Information 200-005 Stufe 1 überhaupt ans Fahrzeug dürfen, die dann oft aus Werkstätten mit angeschlossenen Pannendiensten stammen.“

Ist das Fahrzeug von einem Helfer mit der Freigabestufe 1 als „eigensicher“ eingestuft, darf er es verladen und in eine beliebige Werkstatt bringen, wo es von Mechanikern, die ebenfalls über die entsprechende Schulung für Elektrofahrzeuge verfügen, instandgesetzt werden kann. Problematisch wird es erst, wenn eine Einstufung als „eigensicher“ nicht mehr möglich ist, weil beispielsweise ein Schaden an der Hochvoltkomponente vorliegt. Erkennbar ist dies bei verunfallten Autos, wenn etwa der Airbag ausgelöst hat. Hierfür braucht der bergende Mitarbeiter bereits die BGI/GUV-I-8686-Stufe-2-Freigabe. Er darf dann die Spannungsfreischaltung des verunfallten Fahrzeugs vornehmen und die Spannungsfreiheit feststellen. Danach kann das Fahrzeug dem Pannenhelfer (Stufe 1) übergeben werden und dieser kann es gefahrlos verladen und abtransportieren. In der Werkstatt kann es dann als spannungsfrei normal repariert werden. Zur Inbetriebnahme braucht es dann jedoch wieder einen Fachmann der Stufe 2.

Wasser kommt zum Einsatz, um zu kühlen, nicht um zu löschen. Denn die Ableitung der Wärme ist von größter Bedeutung.

Problematisch wird die Bergung und Reparatur bei schwereren Unfällen, bei denen der Akku verformt oder beschädigt wurde. Hat das Fahrzeug bereits gebrannt und wurde gelöscht, schätzt die Feuerwehr die Gefahr einer erneuten Entflammung der Zellen ein und bestimmt, ob das Fahrzeug in einem Brandschutzcontainer abtransportiert werden muss. Ist noch kein Feuer ausgebrochen, muss ein Spezialist mit der Freigabestufe  3 die potenzielle Bedrohung einschätzen, da er für Arbeiten unter Spannung am HV-System und in der Nähe berührbarer unter Spannung stehender Teile qualifiziert ist. Ist er in der Lage, das Fahrzeug spannungsfrei zu schalten und für sicher zu befinden, kann es normal verladen werden.

In der Werkstatt empfiehlt es sich, das Auto für einige Tage auf einem Betonboden mit ausreichend Sicherheitsabstand zu brennbaren Stoffen abzustellen, bevor mit der Reparatur begonnen wird. Gesetzliche Richtlinien gibt es hierfür noch immer nicht. „Lediglich Opel schreibt für den Ampera einen betonierten Quarantäneplatz mit umlaufend 15 Meter Abstand zu brennbaren Materialien vor. Andere Hersteller geben lediglich an, das Fahrzeug außer Sichtweite potenzieller Kunden zu deponieren“, erläutert Jacobs.

Notschalter eines Elektrofahrzeugs mit dem dasSystem stromfrei geschaltet werden kann
Alle Elektrofahrzeuge verfügen über einen solchen Notfallschalter, mit dem das Hochvoltsystem stromfrei geschaltet werden kann. Bild: Krafthand

Steigt jedoch die Zellentemperatur über 60 °C oder läuft Elektrolyt aus, kann die Verwahrung im Container mit anschließender Flutung der letzte Ausweg sein. Dabei ist zu bedenken, dass eine solche Bergung zu schweren Umweltschäden führen kann. Das Lithium im Fahrakku reagiert mit dem zur Kühlung eingesetzten Wasser zu Fluorwasserstoffsäure, auch Flusssäure genannt. Diese ist hochgiftig für Mensch und Umwelt und muss als Giftmüll entsorgt werden. Die Entsorgung mehrerer Kubikmeter Flusssäure ist sehr teuer. Zudem ist bis heute nicht geklärt, wie lange ein E-Fahrzeug nach einem Brand gekühlt in Quarantäne bleiben muss.

Fazit

Ein Arbeiten an einem defekten oder leicht verunfallten Elektroauto ist also immer dann gefahrlos möglich, wenn es spannungsfrei geschaltet oder der Akku unbeschädigt ist und von Fachleuten mit der entsprechenden Qualifikation freigegeben wurde. In diesem Fall ist auch ein Transport in die Werkstatt unbedenklich. Lediglich schwer verunfallte Fahrzeuge mit Schäden an der Batterie benötigen eine spezielle Behandlung.

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