Was passiert, wenn Freie nicht an Daten der Connected Cars kommen

„Dann wären wir raus“

Chefredakteur Torsten Schmidt hat Stefan Onken, Geschäfts führer des Teilegroßhändlers Matthies, und Peter Wagner, Geschäftsführer Continental Aftermarket, in Frankfurt während der Automechanika getroffen (von links). Bilder: Schrecke

Im Interview erläutern Stefan Onken von Matthies und Peter Wagner von Continental, wie der freie Markt auf die Connected Cars und die Bestrebungen der Fahrzeughersteller reagieren muss. Ihrer Meinung nach spielt dabei der OBD-Dongle ein zentrale Rolle.

Vor gut einem Jahr haben sich Peter Wagner, Geschäftsführer Aftermarket bei Continental, und KRAFTHAND schon einmal über die OBD-Dongles und die sogenannten Connected Cars unterhalten. Hintergrund für das in der Ausgabe 17/2017 veröffentlichte Interview waren Fragen darüber, inwieweit die vernetzten Fahrzeuge das Geschehen auf dem Reparaturmarkt verändern könnten.

Aber auch, dass Continental – so wie viele andere Anbieter – einen OBD- Dongle anbietet, der eine Fernabfrage von wartungs- und reparaturrelevanten Daten erlaubt, und vor allem, der schon damals als Pilotprojekt bei dem Teilegroßhändler Matthies im Einsatz war.

Automobilhersteller haben durch die Vernetzung der Fahrzeuge klar im Sinn, ihre Kunden enger an ihre Vertragshändler zu binden.

Um zu erfahren, wie es heute aussieht, hat die Redaktion den Besuch der Automechanika genutzt, um mit dem Geschäftsführer der Continental-Aftermarket-Sparte erneut zu sprechen. Mit dabei dieses Mal: Stefan Onken, Geschäftsführer des Hamburger Teilegroßhändlers Matthies, der erläutert, weshalb sein Unternehmen den Dongle für die Zukunft fast schon als existenziell ansieht.

Herr Wagner, können Sie zunächst bitte noch einmal kurz erklären, welche Daten damit auslesbar sind – außer OBD- Daten?

Wagner: Was die Daten betrifft, so sind wir dabei, über den Dongle auch Level- 2-Daten abzurufen. Das heißt, nicht nur abgasrelevante Informationen, wie sie in der Hauptsache die OBD bietet, sondern auch individuelle Informationen, zum Beispiel Kilometerstand, Treibstoffstand oder wann der nächste Service fällig ist und welche Fehlercodes gesetzt sind.

Was dient den Werkstätten als Gerät für die Fernauslese?

Wagner: Der PC oder ein Smartphone – sowohl iOS- als auch Android-Geräte kommen hier in Frage.

Herr Onken, warum beschäftigen Sie sich als Teilegroßhändler überhaupt mit dem Thema OBD-Dongle?

Onken: Matthies als Lieferant vornehmlich für freie Werkstätten will sicherstellen, dass diese auch in fünf Jahren und darüber hinaus noch wettbewerbsfähig sind. Daran haben wir natürlich auch selbst ein Interesse. Es ist wichtig, die Autofahrer an die freien Werkstätten zu binden. Denn die Automobilhersteller haben durch die Vernetzung der Fahrzeuge klar im Sinn, ihre Kunden enger an ihre Vertragshändler zu binden.

Beim Reparaturgeschäft der Zukunft geht es natürlich auch um den Kampf um Daten.

Zum Beispiel, indem sie über die Ab frage des Kilometerstands rechtzeitig Informationen darüber bekommen, wann der nächste Kundendienst fällig ist?

Onken: Genau. Aber es geht deutlich darüber hinaus. Nehmen wir beispielsweise die Fernabfrage der Batteriespannung. Ist diese zu niedrig, kann ich den Kunden darüber informieren, dass sein Auto nicht anspringen wird und er eine neue Batterie braucht. Dem Kunden erspart das Ärger und das Geschäft mit der Batterie macht die Werkstatt, weil der Kunde keinen Pannendienst braucht, da die Batterie schon gewechselt wird, bevor sie ausfällt.

Zudem ist es kein Geheimnis, dass die OEMs bei den sogenannten Connected Cars auch Fehlerspeicherabfragen via Funk vornehmen. Die wissen damit genau, ob und im Idealfall auch warum eine Motorkontrollleuchte aufleuchtet. Und seien Sie sicher, die Fahrzeughersteller werden den betroffenen Autofahrer umgehend kontaktieren, um ihn in ihr Werkstattnetz zu lotsen.

Und damit wären die freien Werkstätten und Sie als Teilegroßhändler raus?

Onken: Zumindest ist dann die Gefahr groß, dass sich der Autofahrer sagt, wenn der Fahrzeughersteller sich schon meines Problems angenommen hat, gehe ich auch in die vorgeschlagene Markenwerkstatt“.

Wagner: Sicher wechseln Autofahrer bei einer guten Kundenbeziehung nicht sofort von der freien Werkstatt zum Vertragshändler und umgekehrt. Doch bieten Letztere dauerhaft einen besseren Service, könnte sich das auch ändern.

Datenflusses bei vernetzten Fahrzeugen: Ziel der Fahrzeughersteller ist es unter andren wie im Szenario 1, durch den Zugriff auf die Daten der Connected Cars einen Vorteil bei den Service und Reparaturen zu ergattern. Zwar haben sich die Autobauer verpflichtet, auch den freien Markt Zugang zu verschaffen, aber ob dies wirklich ohne Diskriminierung möglich sein wird ist fraglich. Um zumindest einigermaßen Chancengleichheit herzustellen, dient der OBD-Dongle wie in Szenario 2. Langfristig plant Interessenverbände und Teilezulieferer des Szenario 3 dar, bei dem ein Dienstleister als Schnittstelle fungiert um die gewünschten daten direkt vom Server der Autobauer zu bekommen.

Und ein OBD-Dongle ist derzeit die einzige Möglichkeit, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Onken: Stand heute ist der Dongle aus unserer Sicht die einzige am Markt verfügbare Lösung, um an die Daten, über die wir sprechen, zu kommen. Die Automobilhersteller sagen zwar, sie würden jedem die Daten der vernetzten Fahrzeuge zur Verfügung stellen, aber …

... Müssen die OEMs das nicht sogar?

Onken: Ja natürlich. Aber letztlich ist das nicht so, wie es sein sollte. Deshalb setzen wir zunächst auf den Dongle von Continental.

Wagner: Zur Wahrheit gehört außerdem: Die OEMs sind momentan noch nicht so weit beim Thema Datenabfrage via Mobilfunknetz wie sie das gerne wären. Deshalb hat der Dongle eine längere Halbwertzeit, als wir noch vor ein, zwei Jahren gedacht hatten.

Und die Dongles sind modellspezifisch konfiguriert, sodass auch Daten jenseits der gesetzlichen OBD-Standards auslesbar sind?

Wagner: Ja, alles was auf dem CAN-Bus liegt, lässt sich auslesen. Dazu gehören beispielsweise auch Daten der Klimaanlage oder anderer Fahrzeugsysteme. Diese Daten jenseits des OBD-Standards bringen die wirklich interessanten Anwendungsfälle, nur codiert jeder Hersteller sie unterschiedlich. Wir bringen sie in ein einheitliches Format und übersetzen den Code in Textform.

Und wo erfolgt die Initialisierung des Dongles, sprich wo wird er für das jeweilige Fahrzeugmodell freigeschaltet?

Wagner: Das geschieht im Backend, also over the air per Mobilfunknetz. Erst dann kann der Dongle arbeiten, da er erst dann die notwendigen Informationen über Pinbelegung und die im jeweiligen Fahrzeug vorhandenen ECUs bekommt.

Bei all den Vorteilen, warum sollte sich ein Autofahrer einen Dongle in sein Fahrzeug stecken lassen? Und vor allem, warum sollte er den Dongle auch noch bezahlen?

Onken: Ein Anwendungsfall ist derzeit, denen einen Dongle zu verkaufen, die Probleme mit sporadisch auftretendem Fehler an ihrem Auto haben. Hier bietet die Echtzeitdiagnose große Vorteile. Der Dongle dient dann als verlängerter Diagnosearm.

Und was kostet er?

Onken: Der Dongle liegt im ersten Jahr inklusive Mehrwertsteuer und Lizenz bei 79 Euro und in den Folgejahren bei 34,90 Euro.

Wagner: Aber es wird sicher auch einen Mix geben. Werkstätten können entscheiden, ob ein Kunde so wichtig ist, dass ihm der Dongle kostenfrei oder zu einer geringen Schutzgebühr zur Verfügung gestellt wird. Denn beim Reparaturgeschäft der Zukunft geht es natürlich auch um den Kampf um Daten.

Onken: Genau. Der Dongle dient der Kundenbindung und vor diesem Hintergrund kann es sich für Werkstätten sicher lohnen, guten Kunden den Dongle kostenfrei oder günstig zu überlassen.

Neben den Kosten ist für die Akzeptanz des Dongles auch der Datenschutz ein Aspekt, der geklärt sein muss.

Onken: Datenschutz ist ein zentrales Thema. Hier ist eine hohe Transparenz wichtig – ohne zigseitige Nutzungsbedingungen.

Wie stellen Sie diese Transparenz her?

Onken: Die Daten gehören dem Autofahrer und er stimmt über eine Smartphone-App zu, dass die Kfz-Werkstatt XY die Informationen via Dongle auslesen kann. Er kann auch sein O.K. geben, ob Geodaten oder nur die Fahrzeugdaten übermittelt werden sollen. Aus Gesprächen wissen wir, dass die Nutzer eigentlich nur bei den Geodaten sensibel sind und deren Übermittlung teils ablehnen. Das ist ja auch legitim und vollkommen verständlich.

Wie viele Dongles haben Sie derzeit im Feld?

Onken: Etwa 1.000.

Wie sehr sind Werkstätten an dem Thema OBD-Dongle und allgemein an der Datenproblematik aus Connected Cars interessiert?

Onken: Das Interesse ist extrem groß. Wir haben wahrscheinlich kaum ein Thema, das derzeit mehr beschäftigt. Allen in den Werkstätten ist die von uns anfangs skizzierte Wettbewerbssituation klar.

Gibt es keinerlei Skepsis?

Wagner: Doch schon, aber eher weil viele das Thema noch nicht im Detail verstehen. Es geht um Fragen wie: Was kann das System? Wie funktioniert es? Aber das wird alles kommen.

Onken: Wir als Firma Matthies sind das Thema schon früh angegangen. Und wir investieren derzeit in die Zukunft. Auch wenn Herr Wagner gesagt hat, dass die Donglelösung länger aktuell sein wird als gedacht, ist trotzdem Fakt: In ein paar Jahren wird jedes Auto Daten senden. Und wenn wir als freier Markt dann nicht an Daten kommen – ob via Dongle oder etwa mit einer SIM-Kartenlösung über spezielle Plattformen wie Caruso – wären wir raus. Das ist allen Werkstätten bewusst und deshalb ist auch das Interesse da.

Dann haben Sie doch sicher einen Fahrplan, wann wie viele Dongles im Markt sind. Sind 50.000 in fünf Jahren realistisch?

Onken und Wagner lachen und antworten einhellig: Das ist eine gute Zahl. Nur wollen wir diese schon früher erreichen. Ziel ist es, eine mittlere fünfstellige Zahl bis Ende 2019 verbaut zu haben

Herr Onken, Herr Wagner, vielen Dank.

Das Gespräch führte Torsten Schmidt.

 

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